TV-Tipp: "Angst in meinem Kopf" (ARD)

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TV-Tipp: "Angst in meinem Kopf" (ARD)
10.10., ARD, 20.15 Uhr: "Angst in meinem Kopf"
Eine Gefängnisangestellte macht eine traumatische Erfahrung, die ihr Leben verändern wird: "Angst in meinem Kopf" erinnert an Christian Görlitz’ Film "Sieben Stunden" (Arte/BR), der eine auf den ersten Blick ganz ähnliche Geschichte erzählt.

Bei Görlitz handelt es sich um eine Psychotherapeutin, in Thomas Stillers Thrillerdrama ist die Hauptfigur eine normale Vollzugsmitarbeiterin der JVA Hannover. Ihr Erlebnis ist zwar längst nicht so drastisch wie die Leiden der Therapeutin, die über Stunden hinweg vergewaltigt worden ist, aber ein Trauma trägt Sonja Brunner (Claudia Michelsen) trotzdem davon, als Häftling Zeuner (Raphael Herforth) mehrere Geiseln nimmt, um seine Freilassung zu erpressen. Der Versuch schlägt fehl, aber Zeuner, der die Männer und Frauen zuvor mit einer leicht entflammbaren Flüssigkeit übergossen hatte, kann im letzten Moment sein Feuerzeug entzünden.

Der Auftakt verspricht Hochspannung, und tatsächlich wird vor allem die Musik von Fabian Römer dafür sorgen, dass sich der Film immer wieder vorübergehend zu einem packenden Thriller wandelt. Über weite Strecken ist "Angst in meinem Kopf" jedoch ein Drama über eine Frau, die sich mit dunklen Mächten einlässt und schließlich die Kontrolle verliert. Die Geiselnahme ist im Grunde nur ein Prolog: Weil Sonja nach dem traumatischen Erlebnis nicht mehr an ihren alten Arbeitsplatz zurückkehren will, lässt sie sich in ein Kleinstadtgefängnis in der Nähe versetzen. Dort gibt es zwar eine geschlossene Station, aber das Dasein ist für Häftlinge und Aufseher vergleichsweise beschaulich; "leben und leben lassen" sei die Devise, sagt der hilfsbereite Kollege (Marco Hofschneider), der sie in den neuen Job einführt. Allerdings muss die Familie umziehen, was vor allem die Tochter (Ruby M. Lichtenberg) doof findet; Ehemann Jens (Matthias Koeberlin) ist Hausmann und versucht sich als Schriftsteller. Da Sonja im neuen Job weniger verdient, fehlt das Geld an allen Ecken und Enden, weshalb sie sich nach einigem Zögern auf das Angebot von Häftling Thiel (Torsten Michaelis) einlässt, gegen gute Bezahlung als Kurier zu fungieren. Als sie erkennt, dass Thiel und der mittlerweile ebenfalls in die JVA verlegte Zeuner ein teuflisches Komplott ersonnen haben, ist es zu spät.

Claudia Michelsen verkörpert die brave JVA-Angestellte gewohnt gut und mit viel Empathie; Ralph Herforth ist als das personifizierte Böse der perfekte Gegenentwurf. Auch Torsten Michaelis ist als zwar opportunistischer, aber zunächst gar nicht mal unsympathischer Verbrecher eine treffende Besetzung. Die faszinierendste Rolle hat jedoch Charly Hübner als tiefenentspannter Häftling Sturm, der buddhagleich in seiner Zelle hockt und eine fast freundschaftliche Beziehung zur Schließerin entwickelt. Das gegenseitige Vertrauen wird so intensiv, dass Sturm die Frau mit einer äußerst drastischen Traumerzählung daran erinnern muss, warum er im Gefängnis sitzt: Der Mann ist ein Serienmörder. Dennoch sind die entsprechenden Szenen von einer berückenden Zartheit, zumal beide tiefe Einblicke in ihr Seelenleben gewähren. Sturm ist es auch, der Sonja klar macht, dass sie beide ihr Leben hinter verschlossenen Türen verbringen; mit dem Unterschied, dass sie im eigenen Bett schlafen darf. Außerdem besitzt dieser Häftling, der seine Zelle nie zu verlassen scheint, so viel Macht, dass er Thiel und Zeuner in ihre Schranken weisen kann. Das ändert sich, als ihm der einzige Strohhalm genommen wird, an den er sich im Gefängnis klammern kann.

Thomas Stiller hat unter anderem die Gangsterballade "12 Winter" gedreht, steht als Autor und Regisseur aber in erster Linie für vorzügliche Filme über Menschen in Extremsituationen, allen voran "Sie hat es verdient" (2011) mit Liv Lisa Fries als jugendliche Mörderin. Er hat auch das Drehbuch zu Aelrun Goettes vielfach ausgezeichnetem Film "Unter dem Eis" geschrieben; in dem Drama zerbricht eine Familie an einem düsteren Geheimnis. Auch Sonja verrät ihrem Mann nicht, warum sie ihm plötzlich ein neues Auto und der Tochter ein Smartphone kaufen kann. Neben der hochinteressanten personellen Konstellation im Gefängnis und den ausnahmslos ausgezeichneten darstellerischen Leistungen liegt der Reiz von "Angst in meinem Kopf" jedoch im Spiel mit den Genres, weil der Film immer wieder zwischen und Drama und Thriller wechselt; selbst wenn dieser Wechsel zur Folge hat, dass die Intensität zwischendurch nachlässt, weil die familiäre Ebene naturgemäß nicht so spannend ist wie die Gefängnisszenen. Dramaturgisch gesehen sind jedoch beide Seiten wichtig, weil sie Sonjas Gemütslage illustrieren (Bildgestaltung: Marc Liesendahl): Über weite Strecken ist das warme Licht im Refugium der heimischen Wohnung ein deutlicher Kontrast zu den kühlen Gefängnisbildern; nach dem Umzug jedoch, als die Spannungen zunehmen und die anfangs liebevolle Beziehung in eine handfeste Ehekrise gerät, werden die Farben und damit auch die Atmosphäre immer düsterer.

Wie sorgfältig Stiller den Film konzipiert hat, zeigt eine zufällige Begegnung gegen Ende. Jetzt erst wird der tiefere Sinn einer Szene gleich zu Beginn deutlich, als das Ehepaar bei Bekannten zu Gast ist: Sonja hat der attraktiven jungen Frau einen Job in der JVA besorgt, doch die Geiselnahme hat unauslöschliche Spuren in ihrem Gesicht hinterlassen; spätestens jetzt ist klar, dass die gerade aufgrund ihrer Ausweglosigkeit beklemmende Geschichte auch für Sonja kein gutes Ende nehmen wird.