TV-Tipp: "Cheat – Der Betrug"

Auf dem Tisch steht ein altmodischer Fernseher
Foto: Getty Images/iStockphoto/vicnt
TV-Tipp: "Cheat – Der Betrug"
9.6., ARD, 21.45 Uhr
Die ARD hat in der langen Zeit ihres Bestehens Tausende von Fernsehfilmen produzieren lassen. Die meisten haben ein bestimmtes Verfallsdatum, doch es gibt eine Vielzahl großartiger Produktionen, die eine Wiederholung verdient hätten, aber schon ewig in irgendwelchen Archiven verstauben. Stattdessen zeigt das "Erste" an Pfingsten einen zweiteiligen Import aus Großbritannien, dessen Qualität bei weitem nicht an gute hiesige Fernsehfilme heranreicht: "Cheat" ist nicht etwa für die BBC entstanden, sondern für den britischen Privatsender ITV. Immerhin lässt sich auf diese Weise beobachten, wie konsequent die Dramaturgie auf die Werbeunterbrechungen abgestimmt ist: Alle zehn Minuten gibt es einen Höhepunkt in Form eines Cliffhangers. Die dramatische Wirkung verpufft allerdings, denn die Handlung geht anschließend weiter, weil es bei der ARD-Ausstrahlung natürlich keine Pause gibt. In Großbritannien wurde "Cheat" zudem als Vierteiler ausgestrahlt, also in Form von vier kommerziellen Stunden (45 Minuten + 15 Minuten Werbung).

Der Film erzählt eine im Grunde einfache Geschichte, die sich zwar mehr und mehr zum Psychothriller entwickelt, mit drei Stunden aber trotzdem entschieden zu lang ist: College-Dozentin Leah (Katherine Kelly) hat gute Aussichten auf eine Festanstellung im ehrwürdigen Cambridge, aber dann stürzt ihr gesamtes Leben quasi über Nacht in sich zusammen; und alles offenbar bloß, weil sie Studentin Rose (Molly Windsor) beim Betrug ertappt hat. Als sie die junge Frau dann auch noch während einer Vorlesung demütigt, sinnt Rose auf Rache. Als erstes macht sie sich an Leahs Verlobten Adam (Tom Goodman-Hill) ran, dann sorgt sie dafür, dass die hoffnungsvolle Karriere der Dozentin endet. Weil sich Drehbuchautorin Gaby Hull bei ihrer Geschichte offenbar durch die antike griechische Medea-Sage inspirieren ließ, gipfelt der Rachefeldzug schließlich in einen Mord, für den sich Leah verantworten muss.

Damit ist nicht zu viel verraten, denn "Cheat" nimmt das früh vorweg: Die Geschichte wird als lange Rückblende erzählt. Rahmenhandlung ist ein Gespräch zwischen Dozentin und Studentin im Gefängnis, weshalb im Pressematerial der ARD allzu überschwänglich die Rede davon ist, der Film sei "durch Zeitsprünge meisterhaft prononciert"; was immer das heißen mag. Aber dort steht auch, Regisseurin Louise Hooper habe die Geschichte "raffiniert inszeniert", und davon kann keine Rede sein, selbst wenn die Bildgestaltung (Ed Rutherford) sorgfältig ist und die Musik (Edmund Butt) markante Akzente setzt. Das Qualitätsniveau entspricht dem guten Durchschnitt des deutschen Fernsehfilms, und wie Zeitsprünge tatsächlich "meisterhaft prononciert" werden, belegen regelmäßig die "Spreewald-Krimis" (ZDF), in denen die verschiedenen Zeitebenen auf ungemein kunstvolle Weise miteinander verwoben werden. Außerdem verstößt die britische Produktion gegen ein ungeschriebenes Gesetz der Filmsprache: Rückblenden dürfen nicht lügen.

Größeres Manko von "Cheat" sind jedoch die Schauspieler; einige Nebendarsteller agieren recht hölzern. Außerdem ist die junge Molly Windsor für eine faszinierende Schurkin bei weitem nicht charismatisch genug, und auch Katherine Kelly verleiht ihrer Figur nicht genügend Tiefe, um wirkliches Mitgefühl zu wecken. Format gewinnt allein Tom Goodman-Hill, der zum tragischen Opfer der Geschichte wird. Die wiederum ist allerdings gut ausgedacht. Rose entwickelt eine finstere kriminelle Energie, die in der Tat zum Fürchten ist, zumal Leah zu ihrer Verblüffung feststellt, dass die Studentin ihren Racheplan offenbar bereits vor dem Beginn ihres Studiums geschmiedet hat. Noch größer ist der Schock der Dozentin, als sie eine Verbindung zwischen sich und Rose entdeckt, mit der sie nie gerechnet hätte.

Die Handlung sorgt gerade im zweiten Teil (Pfingstmontag, 21.45 Uhr) für einige echte Überraschungen und ist durchaus abwechslungsreich, zumal die Psychotricks und die gezielten Provokationen der jungen Frau von ausgesuchter Bosheit sind; es dauert jedoch eine Weile, bis Buch und Regie in den ersten neunzig Minuten zur Sache kommen. Allerdings ist die deutsche Fassung stellenweise nur schwer zu ertragen, weil die Figuren lauter lebensferne Synchronsätze von sich geben und ständig diese typischen inhaltlich völlig unmotivierten Kunstpausen machen ("Wollen … wir darüber reden?", "Erläutern Sie … uns das doch mal"). Die Sprecherin von Molly Windsor irritiert zudem durch eine mitunter etwas seltsame Betonung. Echte Spannung kommt ohnehin erst in Teil zwei auf, wenn sich Regisseurin gelegentlicher moderater Thriller-Elemente bedient. Jetzt zeigt sich auch, dass Hull und Hooper die ganze Zeit mit dem Publikum gespielt haben.