TV-Tipp: "Tatort: Borowski und das Haus der Geister" (ARD)

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TV-Tipp: "Tatort: Borowski und das Haus der Geister" (ARD)
2.9., ARD, 20.15 Uhr
In den Annalen des "Tatort" aus Kiel wird es über diese Episode dereinst heißen: "Erster Auftritt von Almila Bagriacik als Kommissarin Mila Sahin". Das stimmt natürlich, aber "Borowski und das Haus der Geister" ist aus gleich mehreren Gründen bemerkenswert, und die haben sowohl mit der Handlung wie auch mit ihrer Umsetzung zu tun.

Wie schon zuletzt in "Borowski und das Land zwischen den Meeren" ermittelt der Hauptkommissar in der Provinz, und erneut scheinen metaphysische Kräfte am Werk, aber Borowski (Axel Milberg) muss sich auch einigen handfesten Gespenstern stellen: Zum ersten Mal in der 15jährigen Historie des "Tatort" aus Kiel taucht seine Ex-Frau auf. Gegenspieler in dieser Geschichte ist jedoch ein alter Freund: Vor vier Jahren ist die Frau von Frank Voigt (Thomas Loibl) spurlos verschwunden. Borowski glaubt bis heute, dass ihr Mann sie auf dem Gewissen hat. Ein Brief seines Patenkindes Grete (Emma Mathilde Floßmann) veranlasst ihn, zum ersten Mal in das Haus der Familie zurückzukehren. Frank ist wieder verheiratet, aber Anna (Karoline Schuch), seine zweite Frau, bittet Borowski, über Nacht zu bleiben: Sie glaubt, dass ihr der Geist der toten Heike nachstellt. Der rational denkende Ermittler ist dagegen überzeugt, dass sein früherer Freund seine zweite Frau, die seit dem Suizid ihres Bruders unter einem Trauma leidet und Psychopharmaka nimmt, in den Wahn treiben will, und zwar ähnlich wie in dem britischen Bühnen- und Kinoklassiker "Gaslicht" (1938/1940). Doch warum?

Mehr noch als "Gaslicht" oder die 1944 erfolgte gleichnamige amerikanische Adaption (deutscher Titel: "Das Haus der Lady Alquist") diente Drehbuchautor Marco Wiersch offenbar Daphne du Mauriers Roman "Rebecca" beziehungsweise dessen Verfilmung durch Alfred Hitchcock (1940) als Inspiration. Auch für Elmar Fischers Inszenierung gibt es mit zwei Klassikern von Robert Aldrich berühmte Vorbilder: "Was geschah wirklich mit Baby Jane?" (1962) und "Wiegenlied für eine Leiche" (1964). Stellenweise erzählt Fischer ("Unterm Radar") die Geschichte wie einen Thriller mit kräftigen Anleihen beim Horrorfilm. Wenn Anna nachts, von vermeintlichen Dämonen gepiesackt, in Panik gerät, sorgen einfache, aber ungemein wirkungsvoll inszenierte Momente für perfekte Schockeffekte; wer solche Filmerlebnisse mit ins Bett nimmt, wird womöglich noch davon träumen. Töne aus dem Hochfrequenzbereich zerren nicht nur an Annas Nerven. Die in diesen Szenen konsequent dissonante Musik und die kreischenden Geigen tun ein Übriges, um Annas Schockerlebnisse zu unterstreichen.

Clever kontrastieren Buch und Regie den packenden Prolog unmittelbar darauf mit unbeschwerten Urlaubsaufnahmen. Ohne die gruseligen Auftaktbilder wäre "Borowski und das Haus der Geister" ein völlig anderer Film, zumal die sonnigen Sommerfrischebilder einen reizvollen Gegensatz zur düsteren Geschichte bilden; so jedoch liegt von Anfang an ein Schatten über dem Wiedersehen der alten Freunde. Die Angstlustszenen sind ohnehin nur die eine Seite eines Krimis, mit dem der NDR und die Produktionsfirma Nordfilm der regelmäßig überdurchschnittlich hohen Qualität des "Tatorts" aus Kiel treu bleiben. Die andere Seite ist das Katz-und-Maus-Spiel zwischen den beiden Männern, die ihre Beziehung offenbar stets auch als eine Art Wettstreit betrachtet haben. Außerdem hat Borowski für Voigts erste Frau geschwärmt, während der Freund offenbar eine Affäre mit Gabrielle Borowski (Heike Trinker) hatte.

Enormen Anteil an der Intensität des Films hat die Bildgestaltung durch Philipp Sichler. Mitunter sind es einfache kleine technische Details, die für große Wirkung sorgen: Ein gemeinsames Essen zu Beginn hat der Kameramann so geschickt gefilmt, dass der Eindruck entsteht, der Tisch zwischen Borowski und Voigt sei zwanzig Meter lang. Bei vielen Dialogszenen verzichtet Sichler auf Schärfentiefe, sodass man gar nicht anders kann, als sich auf die Personen zu konzentrieren. Zwischendurch gibt es immer wieder Drohnenaufnahmen aus einer vertikal Draufsicht, die gewissermaßen für die göttliche Perspektive steht.

Und dann ist da ja noch Mila Sahin. Borowskis neue Mitarbeiterin ist ein völlig anderer Typ als die filigran-fragile Sarah Brandt, was nicht zuletzt der Boxsack namens "Walter" in Milas Büro demonstriert. Bei ihrem ersten Auftritt spielt Almila Bagriacik noch eindeutig nur die zweite Geige, aber die mehrfach ausgezeichnete Schauspielerin ("Hördur", "4 Blocks") mit den türkischen Wurzeln hat ihr Talent schon oft unter Beweis gestellt, allen voran als emotionales Zentrum in Züli Aladags Beitrag zur "NSU"-Trilogie ("Mitten in Deutschland: Die Opfer"). Der "Tatort" aus Kiel ist ihre zweite Rolle dieser Art: Schon in der nach nur zwei Filmen wieder eingestellten Degeto-Reihe "Kommissar Pascha" hat sie sich erfolgreich neben Tim Seyfi behauptet. Das wird ihr im "Tatort" aus Kiel ohne Frage auch gelingen. Der wie improvisiert wirkende Pas de deux, als sich Borowski auf einem Parkplatz zur Wartenschleifenmelodie einer Hotline bewegt und seine Mitarbeiterin spontan mittanzt, ist ein schönes Sinnbild für die gemeinsame berufliche Zukunft des Paars.