TV-Tipp: "Mord im alten Land" (ZDF)

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TV-Tipp: "Mord im alten Land" (ZDF)
23.4., ZDF, 20.15 Uhr
Angesichts der Krimischwemme im Fernsehen ist es kein Wunder, wenn Vielsehern der eine oder andere Figurenentwurf bekannt vorkommt. Bei Sarah Kohr hat das allerdings seinen Grund: "Mord im Alten Land" ist nicht ihr erster Fall. In dem Alpenthriller "Der letzte Zeuge" (2014) hat Lisa Maria Potthoff eine Berliner Polizistin gespielt, die sich auf eine unfreiwillige Heldinnenreise begeben musste: Sie floh mit einem kleinen Jungen, der gegen einen Gangster aussagen sollte, in die Tiroler Berge. Nun kehrt Sarah Kohr zurück, aber mit Ausnahme der von Stefan Kolditz geschaffenen Titelfigur und ihres damaligen Geliebten, Staatsanwalt Mehringer (Herbert Knaup), haben die beiden Krimis nicht mehr viel gemeinsam.

Allerdings bewegt sich auch "Mord im Alten Land" auf eindrucksvoll hohem Spannungsniveau. Darüber hinaus ist es Drehbuchautor Timo Berndt in Anlehnung an die Vorgaben von Kolditz gelungen, die Hauptrolle mit einigen markanten Zügen zu versehen; es dürfte ohnehin nicht leicht sein, eine Figur zu kreieren, die nicht umgehend an andere erinnert. Ähnlich wie die TV-Ermittlerinnen Helen Dorn oder Winnie Heller ("Kommissarin Heller", beide ebenfalls ZDF) ist Sarah kein Teamplayer; sie hält sich weder an Vorschriften noch an Anweisungen, wie Mehringers Frau Anna (Stephanie Eidt), ebenfalls Polizistin, irgendwann missmutig feststellt. Dass Sarah niemandem traut, liegt auch an der Kollegin: Anna weiß von der einstigen Affäre, ist daher voreingenommen und überzeugt, Sarah habe die Seiten gewechselt.

Schon diese Zuspitzung auf der persönlichen Ebene ist ziemlich spannend, aber auch die eigentliche Krimihandlung ist hochinteressant. Sie beginnt mit einem Notruf. Sarah arbeitet mittlerweile für einen norddeutschen Kriminaldauerdienst und wird zu einem Labor gerufen. Dort entdeckt sie eine erstochene Mitarbeiterin und einen blutverschmierten Mann mit Messer, der sie attackiert. Ein Jahr später steht er vor Gericht. Die Indizienlage scheint eindeutig, auch wenn Thomas Lichter (Marcus Mittermeier) hartnäckig seine Unschuld beteuert. Es gelingt ihm jedoch, zu fliehen und Sarah als Geisel zu nehmen. Wieder in Freiheit, lässt sie sich vom KDD in die Fahnungsabteilung von Dietmar Liebknecht (Rudolf Kowalski) versetzen, denn mittlerweile hat sie Hinweise entdeckt, die Lichters Version untermauern. Ihr neuer Chef lässt sie gewähren, aber Staatsanwalt Mehringer ist skeptisch, und seine Frau verfolgt die Ermittlungen der jüngeren Kollegin mit großem Argwohn. Tatsächlich hat Sarah keine Ahnung, mit wem sie sich da anlegt: Weil ein internationaler Konzern skrupellos alle Zeugen beseitigt, werden sie und Lichter nicht nur von Killern gejagt; nach dem Tod eines Kollegen ist nach Ansicht von Anna Mehringer auch eine Polizistenmörderin.

Regisseur Marcus O. Rosenmüller, der fürs ZDF schon seit Jahren die Taunus-Krimis nach Nele Neuhaus verfilmt, hätte sich die eine oder andere etwas effekthascherisch anmutende Zeitlupensequenz sparen können, aber die Musik von Boris Bojadzhiev treibt den Film regelrecht vor sich her. Dank des ausgeklügelten Drehbuchs resultiert die durchgängig hohe Spannung von "Mord im Alten Land" – der Titel bezieht sich auf jenen Teil der Elbmarsch, der für seine Obstplantagen bekannt ist – nicht allein aus dem bewährten Erzählmuster "Allein gegen alle" und dem Komplott, dem Sarah auf die Spur kommt. Mindestens genauso reizvoll ist die personelle Konstellation, allen voran die wieder erwachenden Gefühlen des Staatsanwalts, der für die Polizistin aber nur eine Affäre war, wie sie sagt, sowie die unverhohlene Ablehnung durch seine Frau; dabei haben sich die beiden längst getrennt. Davon abgesehen ist die Hauptfigur faszinierend. Sollte Lisa Maria Potthoff ihre Mitwirkung als Inselpolizistin in den "Usedom"-Krimis der ARD wegen der mutigen bis tollkühnen Sarah Kohr aufgegeben haben, wäre dies nur allzu verständlich: Die kühle Ermittlerin könnte die Lara Croft des deutschen TV-Krimis werden. Der Film erzählt ohnehin keine "Wo waren Sie…"-Geschichte, aber es gibt einige sorgsam choreografierte Action-Elemente, die für Produktionen dieser Art äußerst ungewöhnlich sind. Dass Potthoff in diesen Nahkampfszenen eine ausgezeichnete Figur macht, ist das Ergebnis eines harten Trainings der israelischen Selbstverteidigungstechnik Krav Maga. So etwas hat in der Tat keine andere deutsche TV-Kommissarin zu bieten, und schon deshalb ist es schön, dass keine weitere vier Jahre bis zu Sarah Kohrs nächstem Fall vergehen werden: Der dritte Film ist bereits abgedreht.