TV-Tipp: "Praxis mit Meerblick: Der Prozess"

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TV-Tipp: "Praxis mit Meerblick: Der Prozess"
20.4., ARD: "Praxis mit Meerblick: Der Prozess"
Der zweite von zwei neuen Filmen aus der ARD-Reihe "Praxis mit Meerblick", "Der Prozess", ist eine doppelte Fortsetzung, denn er knüpft nicht nur an die in der Vorwoche ausgestrahlte Episode an, sondern vor allem an den Auftakt im vorigen Jahr ("Willkommen auf Rügen"): Nora Kaminski (Tanja Wedhorn), neue Partnerin in der Praxis eines alten Freundes, hatte ihre Anstellung als Ärztin auf einem Kreuzfahrtschiff verloren, weil sie einem Patienten mit Herzproblemen angeblich unter der Hand ein Potenzmittel verkauft hat; anschließend ist sie von der Witwe des beim Liebesakt prompt verstorbenen Mannes verklagt worden.

Weil die Kunde der Klage auf der Insel die Runde machte, wollten die Rügener nicht mehr von Nora behandelt werden. In der zweiten Episode ("Söhne und Brüder") spielte der anstehende Prozess seltsamerweise konsequent keine Rolle mehr; als hätte Autor Michael Vershinin die Klage komplett vergessen. Im dritten Film bildet sie nun das Zentrum der Handlung.


Das Drehbuch stammt diesmal von Marcus Hertneck, der für Tanja Wedhorn bereits die Reihe "Reiff für die Insel" mitentwickelt hat. Er nutzt den Prozess für einen gelungenen Genre-Mix aus Arzt- und Anwaltsfilm, zumal sich auf diese Weise auch die romantische Ebene dramatisieren lässt: Nora und ihr Patient aus dem letzten Film, Fischer Matthias (Shenja Lacher), haben mittlerweile eine Beziehung. Weil ihr Anwalt unpässlich und sein Vertreter überfordert ist, bittet sie ihren Ex-Mann Peer (Dirk Borchardt) um eine Empfehlung, und da dem Juristen gerade eine weitere Frau abhanden gekommen ist, besinnt er sich auf Noras Vorzüge und kommt höchstselbst nach Rügen, um sie vor Gericht zu vertreten. Das entpuppt sich allerdings als schwieriger als gedacht, denn die Gegenseite zaubert einen Zeugen aus dem Hut, der dabei gewesen sein will, als Nora dem Passagier das Mittel verkauft hat. Nun steht Aussage gegen Aussage, und Nora droht neben dem Schmerzensgeld ein Strafrechtsprozess wegen Körperverletzung mit Todesfolge. Zentrale Figur der rein medizinischen Ebene ist eine Künstlerin (Petra Kelling), die nach einem Treppensturz ins Krankenhaus muss. Dort lehnt sie aber jede Behandlung ab: Sie hat Leukämie und sich mit dem Tod abgefunden. Dem Blutbild und der Meinung ihres ständigen beruflichen Gegenspielers (Patrick Heyn) zum Trotz glaubt Nora nicht an Blutkrebs, und tatsächlich stellt sich raus, dass die Symptome der Frau eine ganz andere Ursache haben. Dank der entsprechenden Nachforschungen trägt dieser Handlungsstrang zart kriminalistische Züge, ein Element, das auch in den gleichfalls von der ARD-Tochter Degeto verantworteten Reihen "Die Eifelpraxis" und "Die Inselärztin" für Spannung sorgt.


Hertneck steht als Autor für eine Form der anspruchsvollen Unterhaltung, die sich auch durch subtil verpackten intelligenten Humor auszeichnet. Die Freitagsfilmgeschichten des früheren Kritikers, angefangen mit "Geschenk des Himmels" (2005), waren ausnahmslos sehenswert. "Der Prozess" funktioniert auch dramaturgisch besser als der letzte Film. Während "Brüder und Söhne" etwas kraftlos vor sich hinplätscherte, steuert der dritte Teil auf einen multiplen Höhepunkt zu. Natürlich hatte Hertneck den Vorteil, Vershinins verschiedene Geschichten zum Abschluss bringen zu können. So hat sich zum Beispiel Noras keimgepeinigter Freund Richard (Stephan Kampwirth) in eine Therapie gegen Zwangsstörungen begeben, damit er und seine polnische Freundin Joanna (Anja Antonowicz) ihre Liebe auch körperlich ausleben können, und Noras Sohn Kai (Lukas Zumbrock) schafft es dank der Unterstützung von Praxishilfe Mandy (Morgane Ferru) endlich, seinem Vater zu gestehen, dass er sein Jurastudium abbrechen und "sinnlos frei" sein möchte. Die Schlussfolgerung, Hertneck habe bloß beendet, was der Kollege begonnen hat, ist daher nicht völlig falsch. Außerdem waren die meisten wichtigen Figuren mit Ausnahme des Gatten bereits eingeführt. Dennoch muss es auch am Drehbuch liegen, dass der Film insgesamt stimmiger wirkt; die Regisseurin war mit Sibylle Tafel in beiden Fällen schließlich die gleiche. Die Handlungsstränge sind diesmal viel stärker miteinander verknüpft, weil der Prozess alle Figuren betrifft. Auch Sohn Kai und Mandy zerbrechen sich den Kopf, wie sie Nora helfen können. Dass sie sich dabei ineinander verlieben, ist ein willkommener Nebeneffekt; Lukas Zumbrock und Morgane Ferru spielen das erneut sehr schön, zumal die gebürtige Zürcherin, in den ersten Filmen vor allem Paradiesvogel, deutlich mehr Spielmaterial hat. Für Reibungspunkte sorgt Noras Ex-Mann, dessen Erscheinen nicht ohne Folgen für die Beziehung zwischen Nora und Matthias bleibt, und natürlich kommt es zu der für viele Liebesfilme unvermeidlichen (und entsprechend klischeehaften) Szene: Der Fischer taucht ausgerechnet dann auf, als sich Peer gerade ganz besonders zu Nora hingezogen fühlt. Außerdem dämmert Matthias, dass die Ärztin eine Nummer zu groß für ihn sein könnte, wie ihm Noras regelmäßig als undurchschaubare Figur auftauchender Patient (Michael Kind im Ballonseidenblouson) klar macht. Dass Wedhorn (46) ein paar Jahre älter ist als Lacher (40), unterstreicht diesen Eindruck noch. Der Altersunterschied ist in der Tat sichtbar, allerdings sehen beide wesentlich jünger aus, als sie tatsächlich sind, weshalb die jugendliche flotte Kleidung Noras auch nie unpassend wirkt.


Neben den ausnahmslos guten Schauspielern machen vor allem viele beiläufig amüsante und von Tafel entsprechend ansprechend inszenierte Momente Spaß, wenn Kai zum Beispiel bei Mandys Klangschalentherapie eine Erektion bekommt oder Richard von Peer beim Umarmen eines Baumes überrascht wird. Die ständigen Provokationen von Krankenhausarzt Heckmann gipfeln diesmal in eine Auseinandersetzung, die Nora mit einem umwerfenden rechten Haken beendet. Und die Mitarbeiter der Produktionsfirma, Real Film, werden sich freuen, dass Matthias’ Hausbank den Namen Real Nordbank trägt.