TV-Tipp: "Mordkommission Istanbul - Der letzte Gast" (ARD)

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TV-Tipp: "Mordkommission Istanbul - Der letzte Gast" (ARD)
15.3., ARD, 20.15 Uhr
Zum Stichwort Türkei dürfte zumindest den politisch interessierten Zuschauern in diesen Tagen alles Mögliche einfallen, aber vermutlich kein Krimi mit romantischem Seitenstrang. Das Geschäftsmodell der ARD-Tochter Degeto sieht jedoch vor, dass Produktionen wie "Mordkommission Istanbul" jahrelang durch die dritten Programme wandern, deshalb muss die Handlung der Filme zeitlos sein.

Einziger indirekter Bezug des 19. Falls für Kommissar Mehmet Özakin zu den aktuellen Ereignissen in der Türkei ist die Tatsache, dass sich die Handlung zu großen Teilen außerhalb der Metropole am Bosporus zuträgt, weil Dreharbeiten in Istanbul wegen der Anschlagsgefahr derzeit nicht opportun sind. Angesichts der Willkür, der viele politische Gefangene ausgesetzt sind, mutet es fast schon zynisch an, wenn sich ein Anwalt in "Der letzte Gast" über das unverhältnismäßige Vorgehen der Polizei beschwert und sein Mandant, ein Zuhälter und mutmaßlicher Mörder, tatsächlich auf freien Fuß kommt. Davon abgesehen ist es äußerst bedauerlich, dass die Donnnerstagskrimis aus Istanbul im Unterschied zu den "Kroatien-Krimis" oder den "Tel-Aviv-Krimis" so wenig in der Geschichte und Kultur des Landes verwurzelt sind; das war zwischenzeitlich schon mal anders.

Immerhin ist die Geschichte interessant: Im Vorort Nika werden ein Taxifahrer und sein Fahrgast erschossen. Es hat schon einige Raubüberfälle in der Gegend gegeben, bislang allerdings noch keine Toten. Als nach einem anonymen Hinweis bei einem Mann sowohl das Diebesgut wie auch die Mordwaffe gefunden werden, scheint der Fall gelöst, aber Özakin (Erol Sander) glaubt nicht an Zufälle: Der ermordete Kunde war ein Hamburger Geschäftsmann und auf dem Weg zu einem früheren Freund, Akbay (Ünal Silver), einem Reeder, dem der Deutsche einst die Frau ausgespannt hat; damals ist aus der Freundschaft Feindschaft geworden. Komplex wird die Gemengelage, als sich rausstellt, dass Akbays Tochter (Almila Bagriacik) längst wieder Geschäfte mit dem Deutschen gemacht hat. Spätestens jetzt hätte sich die Gelegenheit ergeben, auf die schwierigen deutsch-türkischen Verhältnisse einzugehen, zumal sich daran auch in den nächsten Jahren sicher nichts ändern wird; stattdessen fragt sich Özakin, was den Hamburger bewogen hat, die Höhle des Löwen aufzuschen. Außerdem finden der Kommissar und sein treuer Mitstreiter Mustafa (Oscar Ortega Sánchez) dank des Zufallsschnappschusses einer Touristin raus, dass dem Mörder einige Finger fehlen. Das führt sie zu besagtem Zuhälter, den sie aber wieder laufen lassen müssen.

Dank einer vorzüglichen Kameraarbeit (Andreas Doub), die nicht nur schöne Aufnahmen der türkischen Riviera liefert, sondern immer wieder für sorgsam ausgeleuchtete Bilder sorgt, ist "Der letzte Gast" ästhetisch anspruchsvoll. Auch die Musik (Stefan Will und Marco Dreckkötter) ist dank ihrer für "Mordkommission Istanbul" typischen Kombination aus mitreißenden orientalischen Klängen und Thriller-Elementen ausgezeichnet. Ein anderer Teil der Akustik ist dagegen ziemlich irritierend. Wie so oft in den deutschen Auslandsproduktionen führt die Synchronisierung einiger Mitwirkender dazu, dass die sprachliche Ebene sehr uneinheitlich klingt, weil die einen so reden, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist, während die anderen das typische saubere Synchrondeutsch von sich geben. Das fällt vor allem bei Arnel Taci auf. Der einst durch die ARD-Serie "Türkisch für Anfänger" bekannt gewordene Schauspieler spielt den eifrigen Polizeichef von Naki, hört sich aber an wie ein Berliner. Trotzdem ist Taci als Türke – geboren wurde er im heutigen Bosnien-Herzegowina – überzeugender als Marion Mitterhammer, die die Ex-Frau des Reeders verkörpert. Und noch eins irritiert: Das Deutsch, das die Türken sprechen, soll natürlich türkisch sein, weshalb es prompt Probleme gibt, wenn jemand deutsch spricht. "Ich machen Fotos, understand? Klick-klick!" radebrecht die deutsche Touristin, während sich die Taxifahrer in flüssigem Deutsch fragen, was die komische Frau von ihnen will.

Dem Drehbuch sind solche Details nicht anzulasten. Es stammt von Horst Freund, der zuletzt zwei ungewöhnliche Krimis für den "Tatort" aus Ludwigshafen geschrieben hat: In "Roter Tod" (2013) fürchtete die Kommissarin, sich mit HIV infiziert zu haben, "Tod auf dem Rhein" (2010) spielte auf dem Hockenheimring und war recht faktenreich, aber mit der Rasanz der Rennwagen konnte die Inszenierung nicht Schritt halten. Das ist bei "Der letzte Gast" anders. Regisseur Bruno Grass hat bereits mit dem zweiteiligen "Mordkommission Istanbul"-Thriller "Im Zeichen des Taurus" (2016) bewiesen, dass er in der Lage ist, die Spannung selbst über 180 Minuten hochzuhalten. Gemessen daran fällt seine zweite Arbeit für die Reihe allerdings nicht weiter aus dem gewohnten Rahmen. Wie schon vor einem Jahr die 18. Episode, "Der verlorene Sohn", orientiert sich "Der letzte Gast" am früheren Muster der Filme: Özakin ist für Verfolgungsjagden zuständig, Mustafa gibt den Pausenclown, dem bei der Bootsfahrt nach Naki schlecht wird und der ganz wuschig wird, als er ein attraktives Filmsternchen befragen darf. Die Einleitung der entsprechenden Szene gab es exakt in dieser Form zuletzt in "Marie Brand und der Duft des Todes": Mustafa hört, wie eine Frau bedroht wird, bricht die Tür auf und rettet sie vor dem Angreifer; dabei hat sie bloß eine Szene geprobt.

Auf horizontal kleiner Flamme köcheln dagegen weiterhin die unausgesprochenen Anziehungskräfte zwischen Özakin und seiner schönen Nachbarin, der Rechtsmedizinerin Derya (Melanie Winiger), selbst wenn das Drehbuch ihnen einen typischen Komödienauftakt gönnt: In sympathischer Parallelmontage plumpsen beide in allerdings unterschiedlichen Zimmern auf ein Hotelbett, weil die defekte Waschmaschine des Polizisten in den Wohnungen Überschwemmungen verursacht hat. Dass Derya noch mit ihrem ebenso fähigen wie taktlosen Chef liiert ist, gehört gleichfalls in Romanzenfach. Recht clever sorgt Freund dafür, dass sich das potenzielle Paar beruflich noch näher kommt: Sie bittet Özakin, die Identität eines vergewaltigten zwölfjährigen Mädchens herauszufinden, und es ist tatsächlich eine kleine Überraschung, wie dieser vermeintliche Nebenstrang dazu beiträgt, dass der Kommissar die Morde in Naki aufklären kann. In diesem Zusammenhang sorgt Grass dann doch noch für eine Einstellung mit echtem Gänsehautfaktor, als das Mädchen auf dem Seziertisch scheinbar wieder zum Leben erwacht.