TV-Tipp: "Wüstenblume" (3sat)

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TV-Tipp: "Wüstenblume" (3sat)
8.3., 3sat, 22.25 Uhr
Gute Filme zeichnen sich unter anderem dadurch aus, dass sie auf mehreren Ebenen funktionieren. Das klappt natürlich nur, wenn die Geschichte entsprechend komplex ist. Ein Werk, das sich konsequent auf eine Hauptfigur konzentriert, kann diese Voraussetzung naturgemäß bloß schwer erfüllen. Schon allein deshalb ist Sherry Hormann (Buch und Regie) mit ihrer Adaption des Buches "Wüstenblume" von Waris Dirie etwas ganz Besonders gelungen.

Und vermutlich war Hormanns vielschichtiger Erzählansatz der Grund, warum die fraglos faszinierende, aber auch etwas schwierige afrikanische Schönheit ausgerechnet einem deutschen Produzenten (Peter Herrmann, "Nirgendwo in Afrika") und einer deutsch-amerikanischen Regisseurin die Erlaubnis gab, ihre ebenso fesselnde wie bestürzende Lebensgeschichte zu erzählen.

Man kann "Wüstenblume" als Film über eine atemberaubende Karriere sehen: Ein 13jähriges somalisches Mädchen soll für fünf Kamele an einen viel älteren Mann verschachert werden. Sie flieht zur Familie ihrer Mutter nach Mogadischu und wird zu einer Tante in die somalische Botschaft nach London geschickt. Als in der Heimat ein Bürgerkrieg ausbricht und das Personal abberufen wird, bleibt Waris, mittlerweile eine attraktive junge Frau (Liya Kebede), illegal in London und arbeitet als Putzfrau in einem Schnellimbiss. Dort entdeckt sie der bekannte Modefotograf Terence Donovan (im Film Terry Donaldson, gespielt von "Harry Potter"-Bösewicht Timothy Spall). Sie macht quasi über Nacht Karriere. Eine Romanze rundet diese Erzählebene zum vermeintlich märchenhaften Biografie- und Karrierefilm ab.

Aber das ist nur die eine Seite der Medaille, die schillernde, die glamouröse. Spätestens mit der letzten Rückblende, die eines der grausamsten Rituale überhaupt dokumentiert, kommt die Handlung zu ihrem eigentlichen Thema: Nach dem Ende ihrer Model-Arbeit hat Waris Dirie ihr Leben dem weltweiten Kampf gegen die Genitalverstümmelung junger Mädchen verschrieben. Geschickt lässt Hormann diese düstere Seite der Aschenputtelkarriere beinahe beiläufig einfließen: Eine junge Verkäuferin (Sally Hawkins) nimmt Waris aus Mitleid unter ihre Fittiche und geht mit ihr ins Krankenhaus, als sie über Schmerzen im Unterleib klagt. Der Arzt ist schockiert: Als Waris ein kleines Mädchen war, wurden ihre Klitoris sowie die inneren und äußeren Schamlippen entfernt. Anschließend wurde die Vagina zugenäht. Diese in Afrika und zum Teil auch Asien verbreitete Tradition soll dem späteren Ehemann die Reinheit der Frau garantieren. Der ohne Betäubung irgendwo in der Wüste vorgenommene Eingriff ist derart entsetzlich, dass man sich fragt, wie Menschen zu derlei fähig sein können.

Naturgemäß steht diese Erzählebene in scharfem Kontrast zum traumhaften Aufstieg vom Nomadenmädchen zum Supermodel. Die flüssige Kombination dieser beiden so konträren Blickwinkel ist vielleicht die bemerkenswerteste Leistung der Regisseurin, die ihre größten Erfolge in den Neunzigern mit Komödien hatte ("Frauen sind was Wunderbares", "Irren ist männlich"). Während Hormann die Jahre in der Botschaft mit einer simplen, aber ungeheuer wirkungsvollen Einstellung überspringt, sind die Rückblenden in Waris’ Kindheit auch optisch deutlich vom Rest der Geschichte im hektischen London abgesetzt (Kamera: Ken Kelsch). Nicht minder herausragend ist die Führung der Darsteller. Das gilt vor allem für die aus Äthiopien stammende Hauptdarstellerin Kebede, die Waris Dirie verblüffend ähnlich sieht, aber auch für Sally Hawkins (bei der Berlinale für "Happy-Go-Lucky" mit einem Silbernen Bären ausgezeichnet), deren Figur Hormann für den Film erfunden hat, um ein quirliges und komödiantisches Gegengewicht zur ernsten Protagonistin zu haben.

"Wüstenblume" (entstanden 2009) ist ohnehin ein für deutsche Verhältnisse ungewöhnlicher Film. Mit elf Millionen Euro lag das Budget deutlich über dem Durchschnitt, die Außenaufnahmen entstanden an den Originalschauplätzen, die Innenaufnahmen in einem Kölner Studio; eine echte Herausforderung für Szenenbildner Jamie Leonard. Der Kampf Herrmanns um die Rechte, die jahrelangen Vorbereitungen, die umfangreichen Produktionsanstrengungen: All das war es wert, die außerordentliche Geschichte dieser Lebensreise zu verfilmen. Denn eins macht der Film in aller Deutlichkeit klar: Der Tag, der Waris Diries Leben veränderte, war nicht die Begegnung mit dem Fotografen, sondern die schrecklichen Momente in der Wüste.