TV-Tipp: "Der Sohn" (NDR)

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TV-Tipp: "Der Sohn" (NDR)
22.2., NDR, 22 Uhr
Streng genommen ist der Titel irreführend: Hauptfigur dieses düsteren Dramas ist keineswegs der 16jährige Stefan (Nino Böhlau), sondern seine Mutter (Mina Tander). Weil der Junge schon seit früher Kindheit unter Asthma leidet und Katharina mit den Männern offenbar nie viel Glück hatte, ist Stefan das Zentrum ihres Denkens, Fühlens und Handelns. Entsprechend schmerzlich erlebt sie den Prozess seiner Abnabelung. Bislang war sie gewohnt, alles unter Kontrolle zu haben, aber nun entzieht sich der Junge mehr und mehr ihrer Aufsicht.

Zunächst erzählt das Drehbuch von Dagmar Gabler und Peter Andersson eine zwar freudlose, aber nicht ungewöhnliche Mutter/Kind-Geschichte: hier ein Sohn in der Pubertät, der die Sexualität und das Leben jenseits seines behüteten Heims entdeckt; dort die auf den Jungen fixierte Katharina, deren Vorstellung von Be- und Erziehung allerdings fast schon pathologische Züge trägt. Das allein wäre Drama genug, aber Gabler und Andersson säen einen Zweifel in ihrer Hauptfigur, der schließlich Gewissheit wird: Nacht für Nacht dreht Stefan mit seinem Fahrrad einsame Runden in der Kleinstadt. Eines Tages wird die Leiche einer vergewaltigten und mit einem Gürtel erwürgten Frau gefunden. Der Tatort befindet sich ganz in der Nähe einer Skater-Anlage, bei der Stefan, der kürzlich eine Stelle beim Gartenbauamt bekommen hat, am Tag zuvor mit seinen Kollegen beschäftigt war. Derweil wird die Entfremdung zwischen Mutter und Sohn immer deutlicher; der Junge reagiert zunehmend aggressiver auf die Kontrollversuche. Katharina wiederum kommt überhaupt nicht mit seiner erwachenden Sexualität zurecht. Als sie zufällig entdeckt, dass Stefan auf seinem Laptop eine Sado/Maso-Website besucht, keimt in ihr der Verdacht, er könne der Frauenmörder sein; und so steuert die Geschichte geradewegs auf ihr tragisches Ende zu.

Geschickt lässt die Inszenierung Urs Eggers, der nach seiner Großproduktion "Gotthard" offenbar was völlig Anderes drehen wollte, bis zum Schluss offen, ob Katharinas Verdacht der Wahrheit entspricht. Die Kamera begleitet Stefan zwar bei seinen nächtlichen Streifzügen, kehrt aber stets zur Mutter zurück. Das für viele ostdeutsche Städte typische gelblich-fahle Nachtlicht - gedreht wurde in Güstrow in Mecklenburg-Vorpommern - verleiht dem Film auch dank der komplett menschenleeren Straßen eine ganz eigenwillige Atmosphäre. Egger erzählt die Geschichte trotzdem nicht als Krimi. Es wirkt zwar auch ein Polizist mit (Tobias Oertel), doch der ist bloß eine Randfigur, die Handlung konzentriert sich auf Katharina, deren Verdacht sich mehr und mehr zu einer Gewissheit wandelt, die schließlich in eine Kurzschlusshandlung mündet.

Die Bildgestaltung ist kunstvoll, zumal es Kameramann Konstantin Kröning ausgezeichnet gelingt, die aus Stefans Sicht als klaustrophobisch empfundene Enge der Mutterliebe zu vermitteln. Auch die Darsteller sind vorzüglich; gerade die vor allem durch Komödien wie "Maria, ihm schmeckt's nicht!" bekannt gewordene Mina Tander ist als überbehütende Mutter jederzeit glaubwürdig. Katharinas Verhalten ist zwar einerseits sehr extrem, aber andererseits fürchtet sie angesichts von Stefans Distanzierung um ihre Daseinsgrundlage. Dass eine Zufallsbekanntschaft (Godehard Giese) ihr Avancen macht, schmeichelt ihr zwar, doch ihre Prioritäten liegen bis zur Selbstverleugnung beim Sohn, weshalb sie den Jungen auch gegenüber ihrer Chefin stets in Schutz nimmt. Muriel Baumeister muss in dieser Rolle einen Satz sagen, der in diesem ansonsten so sorgsam gestalteten Drama wie ein Faustschlag wirkt: "Süße, it takes two to tango".


Fast schon gruselig gut ist Nino Böhlau. Der junge Schauspieler ist vor einigen Jahren erstmals in einem Münchener "Tatort" über jugendliche Unbefangenheit im Netz ("Das verkaufte Lächeln", 2014) aufgefallen. 2016 musste er in einem "Polizeiruf" aus Magdeburg ("Endstation") derart konsequent und einseitig den Schurken des Krimis mimen, dass es fast kontraproduktiv wirkte. Auch Egger verzichtet darauf, gute Seiten an Stefan zu zeigen, selbst wenn es hin und wieder kurze positive Momente gibt, etwa im Umgang mit den Kollegen. Da die Geschichte aus Sicht der Mutter erzählt wird, scheint sich der Junge mehr und mehr in ein Monster zu verwandeln; dabei sind die wahren Monster die Anderen.