Einfach mal verwildern lassen

Ein Grabkreuz im verwilderten hinteren Teil des St. Hedwigs - Friedhof im Berliner Stadtteil Hohenschönhausen.
Foto: epd-bild / Rolf Zöllner
Ein Grabkreuz im verwilderten hinteren Teil des St. Hedwigs-Friedhof im Berliner Stadtteil Hohenschönhausen.
Einfach mal verwildern lassen
Umweltschützer und Kirchen werben für mehr Natur auf Friedhöfen
Ganz schön viel Leben: Viele alte Friedhöfe sind Rückzugsort für seltene Tiere und Pflanzen. Naturschützer kämpfen dafür, dass es noch mehr werden, wollen weg von Kies und Stein. Die Nachfrage nach Umwelt-Beratung überrascht selbst die Experten.
08.11.2017
epd
Stephanie Höppner

Nein, ein Ort der Stille und des Todes ist der Friedhof für den Hobby-Vogelkundler Andreas Kepper nicht. "Man kann zu jeder Tages- oder Jahreszeit etwas hören", erzählt Kepper, der sich bei der Naturschutzorganisation Nabu ehrenamtlich engagiert. Rotkehlchen, Buntspechte und auch die knallgrünen Halsband-Sittiche, die sich im milden Rheingebiet mittlerweile heimisch fühlen, fliegen über den Friedhof im Bonner Westen hinweg. Mit leisem Gezwitscher lassen sie sich auf dem Geäst neben Parkbank oder Grab nieder.

In den immergrünen Hecken bauen sie ihre Nester, suchen zwischen Wegen und Wiesen nach Futter. "Die Wohngebiete sind eng bebaut, Friedhöfe sind als Naturbereich deshalb wichtig", erklärt Kepper. "Die Vögel können so eben mitten in der Stadt sein - und nicht nur im Wald."

Ein bunter, naturbelassener Friedhof

Schon seit Jahrzehnten wissen Naturschützer Friedhöfe als Orte des Artenerhalts zu schätzen. Vor allem alte Begräbnisstätten sind mittlerweile Heimat für viele Tiere wie Habichte, Mäusebussarde oder auch Fledermäuse. "In Berlin wurde fast die Hälfte der Brutvogelarten auf Friedhöfen nachgewiesen", sagt Katrin Koch vom Nabu Landesverband Berlin. "Die Vogelwelt kann ähnlich vielfältig sein wie in gut strukturierten Wäldern."

In den Gebüschen bauen Bodenbrüter wie das Rotkehlchen, die Nachtigall und der Zaunkönig ihre Nester. Aber auch Igel, Mäuse, Käfer und Spinnen überwintern im Gehölz. "Je bunter ein Friedhof gestaltet wird - mit blühenden, möglichst heimischen Pflanzen - desto mehr Insekten gibt es da. Und die wiederum locken als Futterquelle die größeren Tiere an", sagt Koch.

Ein bunter, möglichst naturbelassener Friedhof ist vielerorts jedoch eine Seltenheit. Denn für viele Menschen soll die Grabpflege vor allem eins sein - pflegeleicht. Glatt polierte Steinplatten, ein Kiesbett oder ein vom Gärtner akkurat gestutzter Rasen mögen zwar wenig Arbeit machen. Aus der Sicht von Naturschützern ist das jedoch wenig sinnvoll. Denn auf polierten Steinen könnten noch nicht mal Flechten wachsen.

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Statt Steinplatten schlägt Koch deshalb heimische Sträucher und Blumen vor. Herbstlaub sollte nach Möglichkeit unter Hecken und Gebüschen belassen werden, damit kleinere Tiere dort überwintern können. Für die Grabpflege sollten keine Chemikalien und kein Torf verwendet werden. Die dunkle Erde sieht zwar edel aus, sorgt jedoch für einen weiteren Abbau der stark schrumpfenden Moore in Deutschland.

Man müsse man gar nicht viel tun, um Tieren und Pflanzen etwas mehr Raum zu geben, sagt Koch. "Es geht nicht nur darum, etwas Bestimmtes zu pflanzen, sondern dass man nicht alles weghackt, was rüberwächst."

Staudengräber auf dem Waldfriedhof in Celle. Sie bieten Vielfalt für die Tiere, mehr als Kies und Stein.

Doch auch die Friedhofsbetreiber können etwas für die Arterhaltung tun. Das Projekt "Biodiversität auf kirchlichen Friedhöfen" der hannoverschen Landeskirche richtet sich an die Gemeinden und versucht, für mehr Natur zu werben. Umweltreferent Reinhard Benhöfer betreut das Projekt.

"Unsere Umweltarbeit hatte sich bis 2013 fast ausschließlich um das Thema Klimaschutz und Energieeinsparung gekümmert", sagt er. Doch auf einmal rückte das Thema Artenerhalt in den Fokus und die Frage, was Kirche dafür tun kann. Schnell kristallisierte sich heraus, dass vor allem Friedhöfe Flächen sind, auf denen ein Wandel vorangetrieben werden kann. Viele Friedhöfe haben wirtschaftliche Schwierigkeiten. "Das ist eine super Gelegenheit zu sagen: Wir müssen etwas entwickeln, was sowohl der Biodiversität dient als auch die Wirtschaftlichkeit fördert."

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Seit einigen Jahren bietet er nun mit Kollegen Seminare an und unterstützt Gemeinden beim Umwelt-Management. Ungenutzte Freiflächen werden mit Hilfe von Experten ökologisch aufgewertet. "Ein Beispiel: Aus einem Rasen, bei dem Mähen und Düngen hohe Kosten verursachen, kann man auch eine Streuobst- oder Blumenwiese machen", sagt Benhöfer. Die Nachfrage habe alle völlig überrascht. "Es gibt ein wachsendes Bewusstsein, dass wir ein Problem mit der Artenvielfalt haben - Stichwort Insektenschwund", erklärt er sich das Interesse.

Dennoch würde der Umweltreferent jedem Menschen auch weiterhin die Freiheit lassen, das Grab so zu gestalten, wie er es möchte. "Jeder hat unterschiedliche Vorstellungen von einem schönem Grab - und das muss auch erlaubt bleiben." Andreas Kepper von der Naturschutzorganisation Nabu sieht das ähnlich: "Ein solcher Grabplatz ist natürlich ideal", sagt er und zeigt auf eine verwilderte Ecke des Bonner Friedhofs. Efeu rankt sich die Steinplatte hoch, die Inschrift ist kaum noch zu entziffern. Für die Tiere scheint dies ein idealer Platz zu sein. "Doch ich verstehe, wenn das nicht jedem gefällt."