Zahl der antisemitischen Straftaten gestiegen

Zahl der antisemitischen Straftaten gestiegen
Volker Beck: Dunkelziffer vermutlich deutlich höher
In den vergangenen Monaten wurden Hunderte antisemitische und antiisraelische Straftaten registriert. Politiker fordern mehr Engagement gegen Antisemitismus.

Antisemitische und antiisraelische Straftaten nehmen in Deutschland wieder zu. Wie aus einer am Freitag veröffentlichten Antwort der Bundesregierung auf eine schriftliche Anfrage der Grünen-Fraktion hervorgeht, wurden in diesem Jahr bis zum 28. August 681 Straftaten gemeldet. Im Vorjahr waren es im selben Zeitraum 654 entsprechende Straftaten. Der Grünen-Politiker Volker Beck geht allerdings von einer deutlich höheren Dunkelziffer aus. Bundesfamilienministerin Katarina Barley (SPD) forderte einen entschiedenen Einsatz gegen Antisemitismus.

Den Angaben der Bundesregierung zufolge wurden unter anderem 434 Fälle von Volksverhetzung, 15 Gewaltdelikte sowie 70 Fälle, die Sachbeschädigung betreffen, gezählt. Weitere Delikte betreffen etwa die Störung der Totenruhe oder Nötigung. Mehr als 90 Prozent der Straftaten wurden von deutschen Staatsangehörigen verübt. 312 von 339 Tatverdächtigen waren Deutsche. Andere Straftäter kamen aus der Türkei, aus Tunesien, aus Algerien, Afghanistan oder Polen. Die Tageszeitung "Die Welt" (Freitag) hatte zuerst über die Zahlen berichtet.

Bundesfamilienministerin Barley bezeichnete Antisemitismus als "abstoßend und gefährlich". "Wir dürfen in unserem Land nie wieder zulassen, dass Antisemitismus akzeptiert oder beiläufig toleriert wird", erklärte Barley. Dafür müsse die gesamte Gesellschaft einstehen. Das beste Mittel gegen Hass und Intoleranz bleibe Bildung und Mitmenschlichkeit.

Der Grünen-Politiker Beck rechnet mit deutlich mehr Straftaten in diesem Kontext, da viele Betroffene Vorfälle nicht melden. "Wir brauchen in Deutschland endlich eine klare Kante gegen Antisemitismus in all seinen Formen", sagte der Bundestagsabgeordnete. Man dürfe den Kampf gegen Antisemitismus nicht den jüdischen Verbänden überlassen, sondern müsse es als gesamtgesellschaftliche Aufgabe begreifen, dass Juden in Deutschland sicher leben können.

"Wir erleben eine ungeahnte Renaissance antijüdischer Ressentiments und Verschwörungstheorien. Die Tabus sind gefallen", sagte die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch. "Die Zahlen sind noch erschreckender, führt man sich die kleine Zahl der jüdischen Bevölkerung in Deutschland vor Augen."

Knobloch wies in diesem Zusammenhang auf den erstarkten Rechtspopulismus und -extremismus hin. "Pegida und Co. sowie die AfD haben diesen Virus in Deutschland ausbrechen lassen", erklärte Knobloch. "Nennenswerte Teile der Gesellschaft sind enthemmt, gerieren sich offen rassistisch, antisemitisch und antiliberal." Das werde noch schlimmer, wenn die AfD in den Bundestag einziehe, warnte die ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland.

Zudem beklagte sie, dass es in Deutschland auch einen zunehmenden Antisemitismus von links gebe, der für jüdische Menschen eine große Belastung geworden sei. "Wie kein anderes Land wird Israel in Deutschland mit Genugtuung, Arroganz und unappetitlicher Überheblichkeit angeprangert und abgeurteilt", sagte Knobloch. Israelkritik sei zum Volkssport geworden. Auch Antisemitismus unter Muslimen sei eine enorme Bedrohung. Sie warf den muslimischen Verbänden vor, jahrzehntelang nichts gegen antisemitische Hassprediger getan zu haben.