Ethikrats-Chef: "Meilenweit von einem Designerbaby entfernt"

Forschung an menschlichen Stammzellen.
Foto: epd-bild/Jörn Neumann
Forschung an menschlichen Stammzellen.
Ethikrats-Chef: "Meilenweit von einem Designerbaby entfernt"
In der "Woche für das Leben" stellen die Kirchen in diesem Jahr ethische Fragen rund um die Geburt in den Mittelpunkt. Der Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Peter Dabrock, erklärt im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd), warum der Schwangerschaftsabbruch für ihn eine der größten Herausforderung für die Gesellschaft bleibt, wo die Reproduktionsmedizin ihre ethischen Grenzen erreicht und wo er sich als Theologe mehr Differenzierung aufseiten der Kirchen erhofft.

Die "Woche für das Leben" steht unter dem Titel "Kinderwunsch - Wunschkinder - Designerbaby". Sind wir auf dem Weg zum "Designerbaby"?

Peter Dabrock: Beim Begriff "Designerbaby" denkt so mancher an die Kombination zwischen dem Geist von Albert Einstein und dem Aussehen von Marilyn Monroe. In diesem verrückten Sinne sind wir meilenweit von einem Designerbaby entfernt - und werden es wohl auch nie erreichen. Das "blonde Kind mit dem IQ 160" lässt sich auch auf absehbare Zeit nicht herstellen. Tatsächlich ist aber nicht ausgeschlossen, dass wir in den nächsten, sagen wir, fünf bis zehn Jahren durch - nicht in Deutschland, aber vielleicht in China - durchgeführte Experimente damit konfrontiert werden, dass bestimmte vererbbare Eigenschaften verändert werden können. Krankheiten könnten dann schon im Embryostatus verhindert, Impfungen gegen HIV schon in die Keimbahn integriert werden. Solche Maßnahmen erzeugen streng genommen auch ein Designerbaby.

Die vielen Diagnostik- und Therapieverfahren in der Schwangerschaft, die es heute schon gibt - machen sie es Paaren einfacher oder schwerer, Eltern zu werden?

Dabrock: Das will ich nicht beurteilen. Ich nehme aber wahr, dass immer mehr Paare durch Einflüsse von außen und innere Projektionen das Kindbekommen zu einem Projekt machen, das unbedingt gut laufen muss. In diesen Fällen gibt eine Tendenz zum Kontrollwahn: Ohne kritisch zu fragen, laufen Untersuchungen routinemäßig ab, auch weil Ärzte aus Haftungs- und Selbstschutzgründen immer vorsichtiger werden. Das führt zu einer Dynamik, bei der diejenige, die sich diesem Regime nicht unterziehen will, dafür eine gewaltige Anstrengung unternehmen muss. All das ändert nichts daran, dass nahezu alle das Kind, das sie bekommen, annehmen und lieben, selbst wenn es doch eine zuvor nicht diagnostizierte Krankheitsanlage hat. Die pränatale Selektion - 90 Prozent der diagnostizierten Down-Syndrom-Fälle werden abgetrieben - gehört ehrlicherweise aber auch zu unserer heutigen Lebenswelt.

Wo sind für Sie ethische Grenzen erreicht, wenn es darum geht, ein Kind zu bekommen, wenn es auf natürlich Weise nicht klappt?

Dabrock: Die ist für mich erreicht bei Verfahren, bei denen die Gesundheit des späteren Kindes und der erhofften Mutter massiv gefährdet wird oder Risiken zu leichtfertig in Kauf genommen werden. Das gleiche gilt für Verfahren, bei dem der Abstand zwischen dem eigenen Ich und den Nachkommen zu klein wird und damit die Freiheit und Entfaltungsmöglichkeiten der Nachkommen kräftig einschränkt. Damit ist reproduktives Klonen auf jeden Fall etwas, das weiter verboten bleiben sollte. Ich selbst bin auch überaus skeptisch gegenüber der Leihmutterschaft. Allein das Austragen über neun Monate schafft eine unvergleichliche Bindung. Diese sollte man kommerziellen Zwecken nicht opfern. 

Was sind derzeit die größten ethischen Herausforderungen bei Fragen um Zeugung und Geburt?

Dabrock: Im Bereich der Bio- und Medizinethik geht es neben der Frage der Zulassung der Eizellspende derzeit unter anderem um die Frage, ob die nicht-invasive Pränataldiagnostik, bei der die Wahrscheinlichkeit für ein genetische Auffälligkeit wie Trisomie 21 über das Blut der Mutter bestimmt wird, eine Regelleistung der Krankenkassen werden soll. Rein quantitativ bleibt aber der Schwangerschaftsabbruch eine zentrale ethische Frage. Dabei fällt auf, dass nur etwa vier Prozent der Abbrüche aus medizinischer Indikation erfolgen. In den allermeisten Fällen erfolgt der Abbruch, weil die Frauen sich nicht vorstellen können, wie dieses Lebensangebot in ihr Leben passt. Da kann man aus hoher moralischer Sicht sagen: Das ist moralisch verwerflich. Existenziell und lebensweltlich hat aber der gut reden, der nicht um seinen Job fürchtet oder befürchtet, dass die eigene Lebensplanung zusammenbricht. Hier muss man noch immer darüber nachdenken, wie es heute und morgen mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf aussieht. 

Bei besserer sozialer Absicherung würde es weniger Abtreibungen geben? 

Dabrock: Ich wage nicht die These, wie viele Fälle das wären. Die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche ist inzwischen auf knapp 100.000 pro Jahr gesunken. Aber das bleibt eine hohe Zahl, und ich glaube, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist der wichtigste Hebel, sie zu senken. 

"Jede menschliche Zelle hat das Potenzial, sich zum Menschen entwickeln zu können"

In der Forschung sorgen derzeit Entdeckungen in der Genomchirurgie wie die Gen-Schere Crispr-Cas9 für großes Aufsehen. Auch das menschliche Erbgut könnte damit einfach und kostengünstig verändert werden. Ist der Gesetzgeber dadurch herausgefordert?

Dabrock: Es gibt nach der großen Konferenz internationaler Wissenschaftler in Washington global den Konsens, dass man beim derzeitigen Stand der Erkenntnisse keine mit Genom-Editierung manipulierten Embryonen zur Welt bringen sollte. Dafür ist die Zeit nicht reif. Es gab aber keine einhellige Meinung über ein Moratorium für Versuche im Embryonenbereich allgemein. Machen wir uns nichts vor: Von den forschungsstarken Ländern sind Deutschland und Österreich wahrscheinlich die einzigen, die solche Versuche zu nicht-therapeutischen Zwecken verbieten. Andere Kulturnationen wie Großbritannien, Schweden und die USA erlauben das. Will man Gesetze in Deutschland ändern, müsste man - auch wenn es denjenigen schwerfällt, die an den alten Debatten teilgenommen haben - eine ausführliche gesellschaftliche Debatte starten. Dabei wird man - auch wenn kaum eine Einigkeit erzielt werden wird - nicht umhinkommen, noch einmal die Frage nach dem Status des In-vitro-Embryonen zu stellen. 

Forscher der Leopoldina haben gefordert, Genomchirurgie-Versuche an "verwaisten" Embryonen, also bei künstlichen Befruchtungen übrig gebliebenen, zu erlauben. Können Sie sich das vorstellen?

Dabrock: Wie ein Großteil meiner evangelischen Kollegen habe ich mich in der ersten Debatte ums Stammzellgesetz 2001 für diese Option ausgesprochen. Aber man sollte diese Frage nicht mit der Frage der Genom-Editierung und Crispr-Cas9 verquicken. Völlig unabhängig von dieser Technik zeigen neure Entwicklungen in der Biologie, dass mit technischen Veränderungen jede menschliche Zelle das Potenzial hat, sich zum Menschen entwickeln zu können. Damit werden in diesem Bereich viel komplexere Fragen aufgeworfen, für deren Beantwortung wir uns Zeit nehmen sollten. 

Welche Rolle wünschen Sie sich als Theologe in den ethischen Debatten von den Kirchen?

Dabrock: Die ethische Betrachtung des Lebensanfangs muss eine hohe Sensibilität für die damit zusammenhängenden Konflikte, Erwartungen, Leidensdrücke und Hoffnungen haben. Wo das nicht der Fall ist, besteht die Gefahr, gegen das im Markusevangelium formulierte Ethos von Geboten zu verstoßen. Dort heißt es: "Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbats willen." (Mk 2,27) Da finde ich es beispielsweise schwierig, in der "Woche für das Leben" die Begriffe "Kinderwunsch", "Wunschkinder" und "Designerbaby" in eine Reihe zu bringen.

Warum?

Dabrock: Das hinterlässt ein schales Gefühl: Kinderwunsch sei okay, bei Wunschkindern werde es bedenklich, und der Weg zum Designerbaby sei dann nicht mehr weit. Aber gerade der Übergang von Schritt zwei zu Schritt drei ist erheblich. Und zwischen Schritt eins und zwei verbergen sich ganz ernsthafte Verantwortungskonflikte, die nicht einfach mit Selektionsambitionen identifiziert werden sollten, wie dies in der Broschüre zur "Woche für das Leben" anklingt. Für viele Paare ist beispielweise die natürliche Familienplanung gar keine Alternative, die sie wählen können. Für solche Paare erwarte ich mehr Verständnis, als ihnen zu sagen, dass nicht jeder ein Recht auf ein biologisch eigenes Kind hat. Auch erwarte ich mehr Sensibilität gegenüber Menschen, die sich der Präimplantationsdiagnostik unterziehen, nicht weil sie ein "Designerbaby" wollen, sondern weil sie nicht die dritte Totgeburt miterleben wollen. Ihnen von der hohen moralischen Warte anzuempfehlen, auf ein biologisch eigenes Kind zu verzichten, ist zwar nicht falsch, aber moralisch weidlich unsensibel. Ethische Konfliktsensibilität für solche Fälle und nicht nur pastorale Begleitung ist ein Markenzeichen evangelischer Theologie.