TV-Tipp: "Mordkommission Istanbul: Ein Dorf unter Verdacht" (ARD)

Foto: Getty Images/iStockphoto/vicnt
TV-Tipp: "Mordkommission Istanbul: Ein Dorf unter Verdacht" (ARD)
12.1., ARD, 20.15 Uhr: "Mordkommission Istanbul: Ein Dorf unter Verdacht"
Wie so viele Krimis, in denen ein Großstadtermittler sein Revier verlassen und in der Provinz ermitteln muss, betont auch "Ein Dorf unter Verdacht" die Gegensätze zwischen dem weltmännischen Özakin und der verschworenen Dorfgemeinschaft.

Die Türkei hat derzeit ziemlich viele Filmstoffe zu bieten; auch für einen Krimi. Reihen wie "Mordkommission Istanbul" sollen zwar in erster Linie der Unterhaltung dienen, aber das schließt ja nicht automatisch aus, dass ein Autor zumindest den einen oder anderen aktuellen Bezug einbaut. Der im September 2016 ausgestrahlte Zweiteiler "Im Zeichen des Taurus" beschäftigte sich immerhin mit der permanenten Terrorgefahr. Eine Auseinandersetzung mit den antidemokratischen Tendenzen der Regierung Erdoğan aber findet im Rahmen der Reihe nicht statt. Möglich wäre das durchaus, denn eine Einflussnahme seitens der türkischen Behörden gibt es nicht, wie Produzentin Regina Ziegler versichert: "Drehbücher lassen wir uns von niemandem als von der Redaktion der Degeto genehmigen." Sollte es entsprechende Forderungen oder gar Sanktionen von türkischer Seite geben, "würden wir dies mit dem Abbruch der Arbeit beantworten." Dass sich die Geschichten trotzdem nicht mit den Zuständen im Land auseinandersetzen, wird auch mit der Wiederholbarkeit zu tun haben: Die ARD will die Filme auch in einigen Jahren noch zeigen können, und dann ist die Lage in der Türkei womöglich eine ganze andere. Einziges Zugeständnis an die derzeitigen Ereignisse war der Wechsel des Drehorts: Wegen des Anschlagsrisikos in Istanbul ist "Ein Dorf unter Verdacht" zu großen Teilen an der Schwarzmeerküste entstanden.

Der Tonfall des Films, der ebenso wie "Der verlorene Sohn" (19. Januar) vor dem Militärputsch gedreht wurde, ist zunächst überraschend heiter. "Im Zeihen des Taurus" hatte mit dem Auszug der Gattin von Mehmet Özakin (Erols Sander) geendet. Das ist zwar einerseits schade um Idil Üner, eröffnet den Autoren andererseits jedoch die Möglichkeit, den Kommissar mit schönen Frauen zu umgeben. Die erste Begegnung findet vor seiner eigenen Haustür statt, als er einer ebenso attraktiven wie sympathischen neuen Mieterin namens Derya (Melanie Winiger) hilft, ein großes Paket in ihre Wohnung zu tragen. Die Dame will sich mit einem Essen revanchieren. Özakin lehnt zunächst dankend ab, wird dann aber mit den typischen Junggesellenklischees konfrontiert – seine Wohnung ist voller Fast-Food-Müll, der Kühlschrank dagegen gähnend leer - und nimmt das Angebot doch noch an. Vor dem Dessert bekommt Derya einen Anruf und muss den Abend vorzeitig beenden. Als kurz drauf auch Özakins Telefon klingelt, ahnen versierte Krimifreunde schon, was kommt, erst recht, als Famulus Mustafa (Oscar Ortega Sánchez) am Tatort ankündigt, der neuen Rechtsmedizinerin eile der Ruf voraus, sie sei eingebildet und humorlos: Selbstredend handelt es sich um Özakins Nachbarin, die sich bei der Arbeit in der Tat von einer ganz anderen Seite zeigt.

Kinderzeichnung überführt den Mörder

Der Leichnam, den Derya anschließend obduziert, gehört einem Journalisten. Der Mann ist erschlagen worden und dann in seinem Auto verbrannt. Zu Lebzeiten hat er sich in seinem Videoblog mit Themen befasst, die in der Türkei derzeit höchst heikel sind. Sein Tod hat jedoch einen anderen Hintergrund: Er arbeitete an einem Bericht über das kürzlich in seinem Heimatdorf Tepek stillgelegte Kohlebergwerk, mit dessen Existenz Wohl und Wehe des kompletten Ortes verknüpft sind. Özakin bleibt nichts anderes übrig, als dort zu recherchieren, womit sich der Film leider auch von Derya verabschiedet. Der ungewohnte Schauplatz am Schwarzen Meer ist mit seiner schroffen Felsküste zwar eine reizvolle Abwechslung zu Istanbul, zumal Regisseur Marc Brummund fortan den Kontrast zwischen den glitzernden Glasfassaden der Bosporusmetropole und dem armen Dorf zelebriert, aber die Geschichte von Markus Altmeyer (zuletzt "Maria, Argentinien und die Sache mit den Weißwürsten") ist doch recht harmlos. Zunächst stellt Özakin fest, dass das Bergwerk keineswegs geschlossen ist; die Einwohner bauen weiterhin Kohle ab. So erklärt sich auch der Filmtitel: Offenbar wollte der Journalist über den illegalen Abbau berichten; somit hätten die meisten Einbewohner ein Mordmotiv. Selbstredend geben sie sich gegenseitig Alibis: Alle waren zur Tatzeit auf einem Dorffest. Als Özakin weitergräbt, findet er heraus, dass der Mörder auch sehr persönliche Gründe gehabt haben könnte, und damit greift Altmeyer dann doch noch ein gerade für konservative und streng gläubige Türken heikles Thema auf.

Wie so viele Krimis, in denen ein Großstadtermittler sein Revier verlassen und in der Provinz ermitteln muss, betont auch "Ein Dorf unter Verdacht" die Gegensätze zwischen dem weltmännischen Özakin und der verschworenen Dorfgemeinschaft; selbst der örtliche Polizist ist alles andere als kooperativ. Für ein wenig Auflockerung sorgt auch in Tepek eine Frau: Die hübsche Tochter (Roni Zorina) des Polizeipräsidenten macht ein Praktikum in Özakins Abteilung und ist ihm auf eigene Faust nachgereist, um ein bisschen mitzuermitteln, was zu einigen amüsanten Szenen führt. Die Geschichte mag zwar gerade angesichts der Tatumstände dramatische Züge tragen, aber die Spannung hält sich in Grenzen. Daran ändern auch einige packende Szenen nichts, als Özakin bei der Bergung verschütteter Bergleute hilft oder am Schluss zwei Frauen in höchster Not aus einem brennenden Haus rettet. Völlig blödsinnig ist dagegen die Idee, dass der Mörder ein Busticket nach Istanbul im Nachbarmüll versteckt, anstatt es zum Beispiel zu verbrennen. Großen Anteil an seiner Überführung hat auch eine Kinderzeichnung: Der kleine Sohn des Mordopfers hat die Redensart "jemanden unter die Erde bringen" beim Wort genommen; auch das klingt recht weit hergeholt.

Marc Brummund hat ebenso wie Altmeyer zum ersten Mal für "Mordkommission Istanbul" gearbeitet; zuvor waren beide an dem nicht fortgesetzten "Athen-Krimi" beteiligt. Brummund hat auch die nächsten beiden Krimis vom Bosporus gedreht. Viel wichtiger ist jedoch eine andere Personalie: Melanie Winiger, 1996 mit gerade mal 17 Jahren zur Miss Schweiz gekürt, gehört fortan zum festen Ensemble der Reihe.