TV-Tipp: "Der weiße Äthiopier"

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TV-Tipp: "Der weiße Äthiopier"
21.12., ARD, 20.15 Uhr: "Der weiße Äthiopier"
"Der weiße Äthiopier" beginnt wie ein Krimi: Ein Mann (Jürgen Vogel) wird verhaftet. Er hat während eines Freigangs eine Bank überfallen, ist aber nicht geflohen und lässt sich widerstandslos festnehmen. Zurück in seiner Zelle versucht er, sich das Leben zu nehmen.

Nicht erst seit "Terror" steht der Name Ferdinand von Schirach auch im Fernsehen für größte Qualität; schon die Verfilmungen seiner Kurzgeschichten im Rahmen der ZDF-Reihen "Verbrechen" und "Schuld" waren ausgesprochen sehenswert. Nun überrascht Oliver Berben, der bislang alle Schirach-Filme produziert hat, mit einer Adaption, die ganz anders ist als die bisherigen Geschichten. "Der weiße Äthiopier" beginnt wie ein Krimi: Ein Mann (Jürgen Vogel) wird verhaftet. Er hat während eines Freigangs eine Bank überfallen, ist aber nicht geflohen und lässt sich widerstandslos festnehmen. Zurück in seiner Zelle versucht er, sich das Leben zu nehmen. Die junge Referendarin Sophie Kleinschmidt (Paula Kalenberg) wird auf seinen Fall aufmerksam. Für ihren Chef Dr. Weilandt (Thomas Thieme) ist die Verteidigung von Frank Michalka eine lästige Pflichtaufgabe, aber Sophie lässt nicht locker. Es gelingt ihr, das Vertrauen des Mannes zu gewinnen. Michalka, der das Reden komplett eingestellt hat, bricht ihr zuliebe sein Schweigen und erzählt eine Lebensgeschichte, die vor Gericht garantiert mildernde Umstände zufolge hätte. Wider Erwarten taucht zu Beginn der Verhandlung eine Schulklasse im Gerichtssaal auf, und prompt bringt der stotternde Mann kein Wort mehr über die Lippen. Mit einer ungewöhnlichen Maßnahme gelingt es Weilandt dennoch, dem Gericht seine Geschichte zu Gehör zu bringen: Anstelle des gehemmten Michalkas spricht Sophie; und nun wandelt sich der Film komplett.

Schon allein der Genrewechsel ist verblüffend. "Der weiße Äthiopier" beginnt mit kühlen Bildern. Gerade die vertikale Kameraperspektive betont die distanzierte Haltung, die der Film anfangs zu seiner Hauptfigur einnimmt. Entsprechend vergeblich sind Sophies Versuche, das Vertrauen des stur schweigenden Verbrechers zu gewinnen. Diese Ästhetik ändert sich zunächst auch während der Verhandlung nicht. Sophies Schilderungen werden durch Rückblenden illustriert, die eine denkbar traurige Biografie erzählen: vom Waisenkind, das bei einem gewalttätigen Vater aufwuchs, wegen seines Sprachfehlers gehänselt wurde und sich nicht anders zu helfen wusste, als auf die Schikanen mit der gleichen Gewalt zu reagieren wie der Pflegevater; vom jungen Mann, dem es kaum besser erging. Zwischenzeitlich kommt der handwerklich außerordentlich geschickte Frank als Hausmeister in einem Bordell zu Ruhe, aber auch dieser Zustand hält nicht lange an. Schließlich überfällt er eine Bank und kauft sich ein Flugticket zum nächstbesten Ziel. Er fliegt nach Addis Abeba, steigt in einen Bus, stellt verwundert fest, wie freundlich die Einheimischen zu ihm sind, und landet schließlich in einem Dorf, das ihn in seine Gemeinschaft aufnimmt. Der fleißige und bei den Kindern ungeheuer beliebte Frank sorgt dafür, dass den Menschen die Kaffeeernte viel leichter von der Hand geht, und findet dank der schönen Witwe Ayantu (Sayat Demissie) ein nie für möglich gehaltenes Glück. Aber er hat auch einen mächtigen Neider, der dafür sorgt, dass das Glück jäh endet.

Engel in Franks Leben

Jürgen Vogel ist die Idealbesetzung für diesen verschlossenen Mann, der in seinem Leben bislang nur dann aus sich herausgegangen ist, wenn er seinen Jähzorn nicht mehr zügeln konnte. In der ersten Hälfte des Films hat Vogel praktisch keinen Dialog, hier verlässt sich Tim Trageser einzig und allein auf die Aura seines Hauptdarstellers. In Afrika lassen der Regisseur und sein Kameramann Eckhard Jansen auch optisch keinen Zweifel daran, dass Frank endlich zu sich selbst gefunden hat; die Bilder sind geradezu durchflutet von Licht und Wärme, von den prachtvollen Landschaftsaufnahmen ganz zu schweigen. Die Äthiopierin Sayat Demissie bringt zudem genau die richtige Ausstrahlung mit, um wie ein Engel in Franks Leben zu wirken. Aber auch die deutschen Rollen sind vorzüglich und namhaft besetzt: mit Nina Proll als Richterin, die sich von Michalkas Lebensgeschichte erweichen lässt; mit Robert Gwisdek als Staatsanwalt, der Sophies Ausführungen zunächst immer wieder sarkastisch kommentiert, aber nicht umhin kann, ebenfalls ergriffen zu sein; und mit Paul Faßnacht als mitfühlendem JVA-Mitarbeiter, dessen Engagement überhaupt erst dazu führt, dass Frank Vertrauen zu Sophie fasst. Paula Kalenberg ist ohnehin eine mehr als glaubwürdige Wahl; sie verkörpert den naiven Elan, mit dem sich die junge Frau des Angeklagten annimmt, mit gewohnt großer Hingabe. Thomas Thieme ist als von vielen Verhandlungen desillusionierter alter Hase, der den Fall für aussichtslos hält, der perfekte Gegenentwurf, zumal Weilandt am Schluss noch ein As aus dem Ärmel schüttelt, mit dem der Film eine weitere überraschende Wendung nimmt. Die Adaption der Kurzgeschichte besorgte Heinrich Hadding, der unter anderem gemeinsam mit den jeweiligen Regisseuren die Bücher zu "Die Päpstin" und zuletzt "Lauf Junge lauf" geschrieben hat. Da Ferdinand von Schirach mit einem Satz skizzieren kann, wofür ein Film eine ganze Szene benötigt, sind seine Storys dankbare Vorlagen für jeden Autor, aber man muss trotzdem erst mal was draus machen. Das ist Hadding gerade auch dank vieler kleiner und immer wieder unerwartet witziger Drehbucheinfälle wunderbar gelungen. Das tränenreiche Ende mit seiner weihnachtlichen Botschaft – "Tue Gutes, und dir wird Gutes widerfahren" – ist fast zu schön, um wahr zu sein.