Gott hat Wichtigeres im Kopf als Fußball

Gott hat Wichtigeres im Kopf als Fußball
Für Sportkommentator Marcel Reif ist Fußball zumindest für 90 Minuten das Wichtigste auf der Welt. Ihn als etwas Pseudoreligiöses zu betrachten, wie viele Fans es tun - davon hält der 66-Jährige aber nichts.
10.06.2016
epd
epd-Gespräch: Dirk Johnen

Regensburg (epd). Marcel Reif ist nach seinem Abschied beim TV-Sender Sky nun bei Sat.1 als EM-Experte gefragt. Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Regensburg spricht er kurz vor dem Beginn der Fußball-Europameisterschaft in Frankreich über den Fußballgott, Fanatismus und überehrgeizige Eltern, die ihre Kinder zu Stars machen wollen.

epd: Warum wird Fußball so geliebt und fast schon religiös vergöttert?

Marcel Reif: Der Fußballsport hat eine viel größere Faszination als nur das Gekicke auf dem Bolzplatz. Mein Vater hat mich mit vier Jahren zum ersten Mal zum Fußball mitgenommen. Da entsteht eine Bindung, die mehr als religiös ist. Das ist eine Verbindung, die über das Kicken hinaus geht und einen nicht mehr loslässt. Für 90 Minuten war es für mich das Wichtigste auf der Welt, und dann geht man zurück ins richtige Leben. Menschen neigen jedoch manchmal dazu, mehr darin zu sehen, als drin ist. Wenn es zum Lebenszweck wird, wenn es überhöht wird, dann hat es etwas Pseudoreligiöses, fast schon Fanatisches. Das gefällt mir an Religion nicht und schon gar nicht beim Fußball. Weil plötzlich Grenzen verschwimmen oder bewusst überschritten werden, und einige Fans glauben, alles ist erlaubt im Namen ihrer Mannschaft. Das ist nicht der Fußball, den ich mir vorstelle.

Immer wieder neu erkämpfen

epd: Glauben Sie persönlich an einen Fußballgott und wer könnte ihn bei der Europameisterschaft gebrauchen?

Reif: Ob es einen Fußballgott gibt? Für manche Dinge habe ich keine andere Erklärung, wenn Mannschaften gewinnen, die eigentlich gar keine Chancen haben und ihnen irgendeine Kraft hilft. Was das ist, weiß ich nicht. Der Herrgott selber aber hat Wichtigeres zu tun. Die deutsche Nationalmannschaft braucht bei der EM 2016 keinen Fußballgott, sie braucht nur die richtige Einstellung, dass man als Weltmeister nicht automatisch Europameister wird. Man muss sich das immer wieder neu erkämpfen. Ich lebe in der Schweiz, die könnten etwas Beihilfe vom Fußballgott gebrauchen.

epd: Manche Eltern träumen davon, dass ihr Kind mit etwas sportlichem Talent einmal Fußballstar werden könnte. Welchen Tipp können Sie ihnen geben?

Reif: Ich kann nur raten, Kinder nicht zum Leistungssport zu treiben. Das geht in der Regel schief und ist weder gut für die Kinder noch für das Verhältnis zu den Eltern. Kinder zum Sport bringen ja, weil es gesund ist, Spaß macht, Lebensfreude verschafft und es erzieherisch wirkt. Sport sollte nicht ausufern und eine Ernsthaftigkeit bekommen, die für Kinder nicht angemessen ist. Ich rate zu Mannschaftssportarten, weil die innere Hygiene in der Mannschaftskabine für kleine Großkotze zuweilen sehr reinigend und hilfreich sein kann.