TV-Tipp des Tages: "Die Frau, die sich traut" (ARD)

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TV-Tipp des Tages: "Die Frau, die sich traut" (ARD)
27.1., ARD, 20:15 Uhr: "Die Frau, die sich traut"
Die Geschichte dieses bewegenden Film lässt sich in einem Satz zusammenfassen, aber dieser Satz wird der emotionalen Komplexität der Handlung nicht mal annähernd gerecht: Eine ehemalige Leistungsschwimmerin um die fünfzig erkrankt an Krebs und erfüllt sich ihren Jugendtraum, den Ärmelkanal zu durchqueren. Das klingt nach Drama, und natürlich ist es auch eins; aber nicht nur von Hauptdarstellerin Steffi Kühnert so famos und energisch gespielt, dass Larmoyanz gar nicht erst aufkommt.

Regisseur Marc Rensing hat vor einigen Jahren mit seinem rasanten Erstlingswerk "Parkour" (Debüt im Dritten, SWR) auf sich aufmerksam gemacht; es geht darin um einen jungen Mann, der im Sport alle Hürden überwindet, aber am Leben scheitert. "Die Frau, die sich traut" erzählt eine verwandte Geschichte, allerdings genau andersrum: Beate Krüger galt einst als größtes Schwimmtalent der DDR, musste sich jedoch als junge Frau von ihren Goldhoffnungen bei den Olympischen Spielen 1980 in Moskau verabschieden, als sie schwanger wurde. Heute führt sie ein kleines Leben, das voll und ganz auf ihre erwachsenen Kinder ausgerichtet ist. Als sie von dem Tumor in ihrem Unterleib erfährt, denkt sie zum ersten Mal seit über dreißig Jahren an sich: Fortan bestimmt die Vorbereitung für das Kanalschwimmen mit stundenlangem täglichen (und nächtlichem) Training ihren Alltag.

Natürlich ist Beate die zentrale Figur des Films, aber Rensing, der das Drehbuch gemeinsam mit Annette Friedmann geschrieben hat, gibt auch den Nebenrollen viel Raum; erst durch sie bekommt Beates Persönlichkeit jene Komplexität, die nötig ist, damit man ihr voller Anteilnahme durch die Geschichte folgt. Das gilt vor allem für die nur auf sich selbst bezogenen Kinder (Steve Windolf, Christina Hecke), die mit Empörung reagieren, als ihre Mutter wegen des Trainings nicht mehr wie gewohnt als Putzkraft und Babysitterin zur Verfügung steht. Die beste Rolle neben Kühnert hat allerdings Jenny Schily als eine Freundin, wie man sie sich nur wünschen kann. Selbst diese innige Freundschaft scheint jedoch an Beates Starrsinn zu scheitern, bis Henni schließlich klar wird, dass es um mehr geht als bloß eine fixe Idee; und dann kommt es im Ärmelkanal zu einem dramatischen Finale.

Größten Respekt verdient Steffi Kühnert auch für ihren physischen Einsatz, schließlich musste sie einen Großteil der Dreharbeiten schwimmend im Meer verbringen. Die damit verbundenen Kraftakte tragen enorm zur Glaubwürdigkeit des Films bei. Entscheidender für die Qualität aber sind die vielen Drehbuchideen, die ohne große Worte ganze Teilaspekte der Geschichte zusammenfassen. Ein Beispiel von vielen: Um sich für das 17 Grad kalte Wasser im Kanal abzuhärten, nimmt Beate regelmäßig Eisbäder. Kleine Kerzen, wie sie gern auf Kindergeburtstagskuchen stecken, sollen ihr anzeigen, wie lange sie es in der Kälte aushalten kann. Die erste Kerze muss sie gleich wieder auspusten. Später zeigt Rensing ganz lakonisch die letzte Kerze der Reihe: Sie ist fast völlig abgebrannt. Ähnlich beredt ist eine Szene bei der musikalischen Sportgymnastik, als Beate buchstäblich aus der Reihe tanzt.

Plausibel ist auch das Schweigen der Frau: Die Kinder hören überhaupt nicht zu, als sie von dem Tumor berichten will, weil sie bloß an ihre eigenen Probleme denken; also behält Beate ihre Diagnose eben für sich. Dass sie nicht mal Henni davon erzählt, erschließt sich später, weil sie deren überfürsorgliche Reaktion geahnt hat. Auch für den Moment des Bekenntnisses haben Friedmann ("Die Frau, die sich traut" ist ihr erstes verfilmtes Drehbuch) und Rensing eine treffende Szene gefunden: Die lebenslustige Henni flirtet in einer Kneipe mit einem jungen Mann. Erst als ein weiterer Mann weggeht, ist hinter ihm Beate zu sehen, deren verschlossene Miene im krassen Gegensatz zur allgemeinen guten Laune steht; und endlich weiht sie Henni ein.

Für die Bildgestaltung konnte Rensing Tom Fährmann gewinnen, der viele Filme für Sönke Wortmann gedreht hat ("Das Wunder von Bern", "Die Päpstin") und hier immer wieder für ein interessantes Licht sorgt. Gerade zu Beginn, als Beates Welt noch in Ordnung ist, sind die Bilder von einer fast idyllischen Wärme; später wirken sie immer kühler. Die von Klavierklängen dominierte Musik ist eine perfekte Untermalung für dieses rundum gelungene Drama, das im Kino gerade mal 25.000 Zuschauer hatte.