"Wir dürfen die kleinen Schritte nicht schmähen"

Wanderschuhe mit Blumen
Foto: epd/Norbert Neetz
Mit einem Gottesdienst in der Bremer Kulturkirche St. Stephani ist am Sonntag (08.11.15) die Synodentagung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) eröffnet worden. Die Predigt hielt der Leitende Geistliche der Bremischen Evangelischen Kirche, Renke Brahms.
"Wir dürfen die kleinen Schritte nicht schmähen"
Obwohl die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland auf ihrer Tagung in Bremen keine konfliktträchtigen Tagesordnungspunkte zu beraten hat, widmete sie sich im Eröffnungsgottesdienst dem Thema Frieden. Das mag daran liegen, dass Renke Brahms die Predigt hielt: Er ist nicht nur Schriftführer der gastgebenden Bremischen evangelischen Kirche, sondern auch Friedensbeauftragter der EKD.

"Herr, tu ein Zeichen, dass Du´s gut mit mir – mit uns – mit den Menschen – meinst"  zitierte Brahms frei aus dem 86. Psalm. Viele Menschen seien unsicher geworden angesichts von Krieg, Gewalt und zahlreichen Zuwanderern nach Deutschland. Was können Zeichen des Friedens sein? Jedenfalls seien sie meistens klein, die Zeichen, sagte Renke Brahms in seiner Predigt. Zeichen wie Mediation bei Landkonflikten zwischen Nachbarn in Burundi, von denen eine junge Frau erzählte, die das Land kennt. Zeichen wie die neuen Stadtführungen für Flüchtlinge in Bremen, die eine Helferin aus Ghana sich mit anderen ausgedacht hat, um den Neuankömmlingen das Ankommen zu erleichtern. Zeichen wie das Lernen vom "roten Ärgerdrachen" im Kindergarten, von dem eine Erzieherin berichtete: Die Kinder lernen, mit Streit umzugehen. "Wir dürfen die kleinen Schritte nicht schmähen", sagte Renke Brahms.

Der bremische Leitende Geistliche schaffte das Kunststück, über drei Bibelstellen gleichzeitig zu predigen: Über einen Psalmvers, ein Jesuswort und eine Geschichte aus dem Alten Testament. Zur letzteren passt die Ausstellung "Das Goldene Kalb" in der Kulturkirche St. Stephani, wo Gottesdienst gefeiert wurde. Pastorin Diemut Meyer wies besonders auf eine Skulptur von Stephanie Stellmann hin: Ein winziges Kalb aus Bronze, so dünn, dass es der Betrachterin fast Leid tut. Mit diesem Format, so Meyer, sei die Künstlerin vermutlich der biblischen Geschichte aus 2. Mose 32 recht nahe: Das Volk Israel – führerlos, weil Mose auf dem Berg Sinai weilt – bastelt sich einen neuen "Gott" und tanzt um ihn herum. Größer als die Skulptur von Stephanie Stellmann sei das biblische Kalb wohl tatsächlich nicht gewesen, sagte Diemut Meyer. "Wie kann ein von Menschen geformtes Bild Sicherheit und Orientierung geben? Welch eine Illusion!"

Ein kleines Kalb, kleine Schritte zum Frieden - beides ist offenbar wenig. Was kann den Menschen Mut geben? "Ich will jedenfalls nicht hereinfallen auf die Zeichen der Stärke, der Macht oder Gewalt", sagte Renke Brahms. "Kein Goldenes Kalb, keine Macht der Welt, keine Ideologie, keine Armee hat je Frieden gebracht. Und kein Zaun und keine Mauer haben je Sicherheit erzeugt." Der Friedensbeauftragte brachte an dieser Stelle den dritten Predigttext ins Gespräch, ein Jesuszitat aus dem Johannesevangelium: "In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden." (Johannes 16,33). Normalerweise, gestand Renke Brahms, ärgere er sich über das Wort "Aber". Denn es werde meistens von den Bedenkenträgern gesagt, die Angst vor Veränderung hätten. Doch bei Jesus ist die Sache genau umgekehrt.

"Barmherziger Gott, tu ein Zeichen an uns"

"Der erste Schritt auf dem Weg zum Frieden ist der realistische Blick auf die Welt, in der wir leben. 'In der Welt habt ihr Angst.' Ja, so ist es! Und Jesus wischt die Angst nicht einfach weg", sagte Brahms. Menschen in Aleppo, Mosul und Donezk hätten allen Grund zur Angst. Und über die Sorge der Menschen in Deutschland müsse gesprochen werden, dafür müsse Raum sein. Das "Aber" sei bei Jesus allerdings "der Einspruch gegen eine Angst, die lähmt." Und das schöne Wort "getrost" könne auch bedeuten: "Seid mutig, unverzagt, beherzt!" Das gelte denen, die auf dem Weg nach Europa sind, und denen, die  sich für die Flüchtenden engagieren: "Verliert nicht den Mut!"

Die Zeichen des Friedens und der Versöhnung – die Gebete, die Mediationssitzungen, das Versorgen mit Brot – mögen noch so klein sein: Sie bewirken auf jeden Fall mehr als der Tanz um ein zerbrechliches goldenes Kalb, das für selbstgemachte vermeintliche Sicherheiten steht: Zäune und Mauern, die die Konflikte nun einmal nicht aussperren können.

"Barmherziger Gott, tu ein Zeichen an uns, dass du's gut mit uns meinst!", betete Renke Brahms zum Schluss mit den Psalmworten, und die Gottesdienstgemeinde – darunter Synodale, Kirchenpräsidenten, Bischöfe – stimmte in die Fürbitten ein mit dem Ruf "Richte unsere Füße auf den Weg des Friedens". So eingestimmt, beginnt die 12. Synode der EKD mit ihrer 2. Tagung, die allerdings nicht besonders viel Konfliktstoff bietet. Das Schwerpunktthema ist "Reformationsjubiläum 2017 – Christlicher Glaube in offener Gesellschaft", darüber soll am Montag beraten und eine Kundgebung beschlossen werden.

Die 120 Vertreter der 20 Gliedkirchen werden am Dienstg – hier liegt wohl der eigentliche Schwerpunkt – das  höchste Leitungsgremium der EKD, den Rat, neu wählen. Für 14 Posten stehen 23 Kandidaten bereit. Vorsitzender des Rates ist seit einem Jahr der bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, der den Rest der Amtsperiode des zurückgetretenen Nikolaus Schneider übernommen hatte. Nun wird nach dem Rat am mittwoch auch dessen Vorsitzender turnusmäßig neu gewählt. Soll Bedford-Strohm weitermachen? Bisher deutet sich jedenfalls kein Konflikt um den Posten an. Und sollte doch einer aufkommen, erinnern sich die Synodalen gewiss an die Worte ihres Friedensbeauftragten aus dem Eröffnungsgottesdienst.