TV-Tipp des Tages: "Tatort: Côte d'Azur" (ARD)

TV-Tipp des Tages: "Tatort: Côte d'Azur" (ARD)
TV-Tipp des Tages: "Tatort: Côte d'Azur", 1. November, 20.15 Uhr im Ersten
In einem Schilfgebiet findet die Polizei die Leiche einer jungen Mutter, neben ihr ein lebendes, halberfrorenes Baby. Die Ermittlungen führen Kommissarin Blum und ihren Kollegen Kai Perlmann zu einer Obdachlosenbaracke am Bodensee-Ufer, auch „Côte d’Azur“ genannt, wo sich das Opfer bis zu seinem Tod aufgehalten hat.

Im Sommer sind Klima und Stimmung am Bodensee durchaus mediterran, aber wenn man weiß, dass dieser "Tatort" im tiefsten Winter spielt, kann der Titel allenfalls ironisch gemeint sein. Tatsächlich handelt es sich bei "Côte d'Azur" um den Namen einer Behausung am Seerhein, in der sich allerlei Treibgut des Lebens eingefunden hat: fünf verkrachte Existenzen unterschiedlichen Alters, vier Männer und eine junge Frau, die irgendwann aus der Bahn geworfen worden sind. Darstellerisch ist derlei immer eine Herausforderung; an der überzeugenden Verkörperung von Obdachlosen oder Sozialhilfeempfängern sind schon ganz andere Schauspieler gescheitert. Gerade in den Nebenrollen sind die Krimis aus Konstanz oft etwas unglücklich besetzt, aber in diesem Fall haben die Verantwortlichen eine gute Auswahl getroffen. Das mussten sie auch, denn weite Teile der Handlung spielen sich in der Bretterbude am Ufer ab: Vermutlich ist einer der fünf ein Mörder. Hätten diese Szenen nicht überzeugt, hätte der ganze Film nicht funktioniert. Gerade die junge Friederike Linke macht ihre Sache als Junkie-Mädchen ausgezeichnet; auch Andreas Lust und Peter Schneider spielen ihre Rollen glaubwürdig.

In der Vergangenheit scheiterte der Bodensee-"Tatort" oft an uninteressanten Geschichten oder einer betulichen Umsetzung; manchmal auch an beidem. Ed Herzog hat hier bislang zweimal Regie geführt; gerade der Internatskrimi "Herz aus Eis" (2009) lag weit über dem Durchschnitt, und "Die schöne Mona ist tot" war ebenfalls ein guter Krimi. Bei "Côte d'Azur" sorgen Herzog und sein Kameramann Andreas Schäfauer schon mit dem fesselnden und kunstvoll gefilmten Auftakt dafür, dass man gleich drin ist im Film, als eine junge Frau in einer Winternacht kurz vor Weihnachten einsam durchs Schilf wandert und schließlich erschlagen wird. Es dauert nicht lange, bis die Polizei den Bezug zu der kleinen Gruppe findet: Die Frau war regelmäßig "Saufgast" in der Hütte; mit einigen der Männer hat sie wohl auch mehr als nur die Flasche geteilt.

Drehbuchautor Wolfgang Stauch, der schon sechs Krimis für Herzog geschrieben hat (darunter neben der "Schönen Mona" auch dreimal für die ZDF-Reihe "Unter Verdacht"), ergänzt die Mördersuche um ein weiteres Element, das den Krimi um eine wichtige emotionale Ebene erweitert: Das Opfer war nicht allein unterwegs. Die Polizei wird durch eine von ihrem Telefon post mortem verschickte SMS auf den Mord hingewiesen: "Ich bin tot. Kümmern Sie sich um mein Baby." Diese Botschaft führt dazu, dass die Atmosphäre zwischen dem Ermittlerduo Klara Blum (Eva Mattes) und Kai Perlmann (Sebstian Bezzel) der Jahreszeit entsprechend ausgesprochen frostig ist: Während Perlmann einige Beamte in die Wohnung der Frau geschickt hat, damit sie sich des Babys annehmen, ahnt die Hauptkommissarin intuitiv, dass das Kind irgendwo im Schilf verborgen ist. Tatsächlich wird es schwer unterkühlt gefunden; sollte es nicht überleben, wäre dies das Ende von Perlmanns Laufbahn.

Stauch und Herzog nutzen diesen Erzählstrang für eine Dramatisierung der Geschichte, die mitunter fesselnder ist als die Mördersuche: Natürlich wird Perlmann von Schuldgefühlen geplagt, weshalb er immer wieder am Bett des Babys wacht. Außerdem führt die Nebenhandlung zu einigen Kurzauftritten eines Kinderarztes, der den Kommissar regelmäßig mit kernigen Kommentaren schockiert; eine kleine, aber feine Rolle für Barnaby Metschurat, der den Doktor mit einer reizvollen Mischung aus Arroganz, Empathie und Kaltblütigkeit verkörpert. Eine weitere Gastrolle hat Markus Hering als erfolgreicher und ständig von Groupies umschwirrter Konstanzer Musikproduzent, der zunächst jede Verbindung zu der toten Frau leugnet, bis sich rausstellt, dass sie ihm einen wertvollen Ring geklaut hat; und er der Vater des Kindes ist. Darüber hinaus erfreuen Buch und Regie immer wieder durch beiläufig einstreute witzige Details. Davon abgesehen ist der Krimi jedoch alles andere als ein herzerwärmendes Weihnachtsmärchen.