TV-Tipp des Tages: "Besuch für Emma" (ARD)

TV-Tipp des Tages: "Besuch für Emma" (ARD)
TV-Tipp des Tages: "Besuch für Emma", 16. Oktober, 20.15 Uhr im Ersten
Ihr Wunsch, Menschen kennenzulernen, hat Emma auf eine eigenartige Idee gebracht: Sie lässt im Supermarkt unbemerkt Portemonnaies von Kunden mitgehen und präsentiert sich später als gastfreundliche Finderin, die bei der Abholung an den bereits gedeckten Tisch einlädt. So unkonventionell die Masche auch ist, leider bleibt der Besuch nur kurz. Nur der gewitzte Obdachlose August, der sie durchschaut hat, beginnt sich für Emma zu interessieren.

Was für eine wunderschöne witzig-traurige Geschichte, was für ein wunderbares Paar! Dagmar Manzel und Henry Hübchen zeigen in dieser zartbitteren Romanze, worin wahre Schauspielkunst besteht: weil sie völlig vergessen lassen, dass hier zwei Darsteller in Rollen geschlüpft sind. Das ist in diesem Fall umso bewundernswerter, denn die beiden Figuren, die sie verkörpern, sind Menschen mitten aus dem Leben: Sie spielt eine einfache Kassiererin in einem Billigsupermarkt, er einen Obdachlosen; das ist viel schwieriger, als Anwälte oder Ärzte zu verkörpern, und gelingt selbst großen Schauspielern oft nicht glaubwürdig. Manzel und Hübchen versehen die beiden Figuren gleichzeitig mit einer großen Tiefe. Wenn diese Menschlichkeit bereits Teil des Drehbuchs war, dann ist von Karlotta Ehrenberg nach ihrem ersten verfilmten Fernsehfilmdrehbuch noch einiges zu erwarten.

Dabei ist die Geschichte dieser beiden einsamen Großstadtherzen im Grunde ganz einfach: August beobachtet als Kunde des Supermarkts, wie Emma beim Kassieren das Portemonnaie eines Kunden verschwinden lässt. Natürlich wird er umgehend verdächtigt und verhaftet. Tags drauf erwartet er von Emma Wiedergutmachung: In der Haft sind ihm seine Schuhe geklaut worden. Die Witwe bietet ihm nicht nur verschiedene Schuhe ihres verstorbenen Mannes an, sondern auch ein Obdach für die Nacht. Der frischgewaschene August entpuppt sich als attraktiver und charmanter Mann, und als das Paar auch noch seine gemeinsame Liebe zur Musik entdeckt, spricht aus Emmas Sicht alles für eine gemeinsame Zukunft, zumal ihre Wohnung groß genug für zwei ist; aber August fühlt sich alsbald wie ein Singvogel, der in einen Käfig gesperrt worden ist.

Enormen Anteil an der Authentizität der beiden Figuren hat ihr Dialekt, und weil Manzel und Hübchen (beide in Berlin geboren) mitunter klingen, als würden sie improvisieren, wirken Emma und August in der Tat, als redeten sie, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist; selbstredend inklusive des als "Berliner Schnauze" berüchtigten grimmigen Humors. Aber "Besuch für Emma" lebt nicht nur von den beiden Hauptdarstellern. Ehrenberg hat die Figuren mit einer Biografie ausgestattet, die sich nie in den Vordergrund drängt, aber stets präsent ist und erklärt, warum sie wurden, was sie sind: August hat einst viel Geld geerbt und immer auf die große Idee gewartet, und dann war das Geld irgendwann weg. Aber er besteht darauf, kein Bettler zu sein, zumal er mit seiner Gitarre immer wieder mal ein paar Euro verdient; deshalb will er von Emma auch keine Almosen. Ihr wiederum ist ebenso wichtig, dass sie keine Diebin ist: Sie erleichtert ihre Kunden erleichtert, um wenigstens hin und wieder Besuch zu bekommen, wenn die Leute ihre Geldbörsen abholen. Ansonsten gibt es in ihrem Leben nur Nachbarin Maggie (Anna Thalbach), die sie immer wieder mal trösten muss, weil Maggies Kerl ein Schürzenjäger ist, und ihre Tochter Linda (gespielt von Manzels Tochter Klara). Und Elvis: Emma ist ein großer Verehrer des King of Rock’n’Roll, dessen Songs für den Soundtrack des Films sorgen und sich vortrefflich mit der hörenswerten Musik von Annette Focks ergänzen.

Regisseur Ingo Rasper hat zuletzt mit Walter Sittler und Maren Kroymann ("Zu mir oder zu dir?") eine ähnlich sehenswerte Altersromanze gedreht. Beide Filme eint zudem die sorgfältige Bildgestaltung. Großen Anteil an der Atmosphäre von "Besuch für Emma" hat auch die Art und Weise, wie Rasper und sein Kameramann Klaus Merkel Berlin zeigen: Sie verzichten bei den Zwischenbildern völlig auf die üblichen Sehenswürdigkeiten oder Panorama-Aufnahmen der Stadt als glitzernde Metropole; ihr Berlin wirkt verdammt arm und kein bisschen sexy. Dass der Film dennoch nicht traurig oder deprimierend ist, liegt an den bissigen Dialogen, den vielen Details, mit denen Ehrenberg Handlung und Figuren Komplexität verleiht, und schließlich der Lebensfreude vieler Szenen. Großartig, wie August und Emma ausgelassen zu diversen Elvis-Hits durchs Wohnzimmer tanzen, bis Emma dem Treiben ein Ende bereitet: "Love Me Tender" wäre ihr dann doch zuviel Nähe. Das Ende ist zwar nicht happy, aber trotzdem versöhnlich.