Mehr Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte - Kritik an aggressiver Rhethorik

Ein Absperrband der Polizei hängt am 18.07.2015 vor einer geplanten Flüchtlingsunterkunft in Remchingen.
Foto: dpa/Uli Deck
In Remchingen brannte es in einer geplanten Flüchtlingsunterkunft. Die Polizei geht von Brandstiftung aus.
Mehr Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte - Kritik an aggressiver Rhethorik
Die Zahl der Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte hat zugenommen. Die martialische Rhethorik gegen Flüchtlinge ermutigt zu aggressiven Aktionen, befürchtet der Politikprofessor Hans Vorländer. insbesondere Horst Seehofer (CSU) wird aus anderen Parteien für seine Worte stark kritisiert.

Angesichts zunehmender Angriffe auf Flüchtlingsheime wächst die Besorgnis unter Politikern und Experten. Der innenpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Volker Beck, sprach sich dafür aus, Asylbewerberheime früher und konsequenter zu schützen. "Ich würde damit nicht erst anfangen, wenn der erste Flüchtling da ist", sagte er der "Berliner Zeitung" (Freitagsausgabe). Der Politologe Hans Vorländer sieht in einem veränderten gesellschaftlichen Klima eine Ursache für die Zunahme der Anschläge. In der öffentlichen Debatte sei eine "Enthemmung" zu beobachten, sagte er dem Evangelischen Pressdienst (epd). 

Am Donnerstag hatte das Bundesinnenministerium mitgeteilt, dass die Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte deutlich zugenommen haben. In den ersten sechs Monaten des laufenden Jahres wurden 202 Delikte gezählt. Das seien in etwa so viele wie im gesamten vergangenen Jahr. Laut Innenministerium wurden von den 202 Übergriffen 173 Rechtsextremisten zugeordnet. 22 dieser 173 Angriffe waren Gewaltdelikte wie Körperverletzungen und Brandstiftungen.

Beck forderte: "Flüchtlingsunterkünfte müssen von der Polizei konsequent geschützt werden". Anliegen der Täter sei es, "gezielt Schrecken zu verbreiten, um auf die Politik einzuwirken", fügte er hinzu. Dies habe dort, wo Menschen Opfer von Angriffen würden, rechtsterroristische Züge. Er sprach sich dafür aus, "dass Vertreter der Staatsspitze Flüchtlingsheime besuchen und solche Sündenbockdiskussionen bleiben lassen, wie sie aus Bayern kommen."

Der stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Jan Korte, zog historische Parallelen: "Das erinnert an die 90er Jahre." Auch damals gab es eine Welle rassistisch motivierter Straftaten. Er rief Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auf, Stellung zu beziehen. Es sei "an der Zeit, dass die Bundeskanzlerin zu den Vorfällen mal ausführlich und klar etwas sagt", sagte Korte der "Berliner Zeitung" 

Nach Ansicht des Politikprofessors Hans Vorländer werden in der Debatte um den Umgang mit Flüchtlingen inzwischen "diffuse Ängste geschürt." Dies ermuntere latent ausländerfeindliche Menschen, militante Aktionen umzusetzen, beispielsweise einen Anschlag auf ein geplantes Asylbewerberheim. "Äußerungen mit martialischer Klarheit, wie sie immer wieder von CSU-Politikern kommen, laden geradezu zu Missverständnissen bei denjenigen ein, die ausländerfeindlich eingestellt sind."

Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) hatte vor kurzem von einem "massenhaften Asylmissbrauch" durch Flüchtling vom Balkan gesprochen und "rigorose Maßnahmen" angekündigt. Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) griff Seehofer deshalb scharf an: "Seine Äußerungen erinnern mich in Teilen an Marine Le Pen und den Front National oder andere Rechtspopulisten in Europa", sagte er der "Rheinischen Post" vom Freitag.

200.000 unerledigte Asylverfahren

Pistorius kritisierte den bayerischen Vorschlag, für Flüchtlinge aus Balkan-Staaten zwei gesonderte Erstaufnahmeeinrichtungen in Grenznähe einzurichten, um diese Menschen schneller abschieben zu können. Seehofer könne das Asylverfahren für bestimmte Gruppen nicht beschleunigen, "dafür ist er gar nicht zuständig, sondern der Bund", erklärte Pistorius.

Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt bezeichnete unterdessen den Vorstoß des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Flüchtlingen aus dem Westbalkan das Taschengeld zu streichen, als "wenig hilfreich". Behördenchef Manfred Schmidt diskriminiere diese Asylbewerber mit dem Pauschalvorwurf, sie kämen nur wegen des Taschengelds, sagte sie der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Freitagsausgabe). Stattdessen hätte Schmidt rechtzeitig dafür sorgen müssen, dass es in seinem Amt genügend Personal gebe. Das Bundesamt habe mit einer Fehleinschätzung der Flüchtlingszahlen die organisatorischen Probleme selbst verursacht, erklärte Göring-Eckardt. Nun schiebe es über 200.000 unerledigte Verfahren vor sich her.