"Sie redeten nichts, weil der Schmerz so groß war"

Foto: akg-images/Erich Lessing
Ausschnitt aus "Hiob und seine Freunde", Ölgemälde von Eberhard Wächter (1762-1852)
"Sie redeten nichts, weil der Schmerz so groß war"
Wenn eine Katastrophe solches Entsetzen auslöst wie der Absturz der Germanwings-Maschine, ist gemeinsames öffentliches Schweigen eine angemessene Reaktion. Ein Kommentar von Anne Kampf

Als aber die drei Freunde Hiobs all das Unglück hörten, das über ihn gekommen war, kamen sie, ein jeder aus seinem Ort: Elifas von Teman, Bildad von Schuach und Zofar von Naama. Denn sie waren eins geworden hinzugehen, um ihn zu beklagen und zu trösten. Und als sie ihre Augen aufhoben von ferne, erkannten sie ihn nicht und erhoben ihre Stimme und weinten, und ein jeder zerriss sein Kleid und sie warfen Staub gen Himmel auf ihr Haupt und saßen mit ihm auf der Erde sieben Tage und sieben Nächte und redeten nichts mit ihm; denn sie sahen, dass der Schmerz sehr groß war. (Hiob 2,11-13)

Manchmal kommt es so schlimm, dass uns einfach nichts mehr zu sagen einfällt. Auch wenn das Leid andere betrifft, nicht uns selbst. Wir sind einfach entsetzt und fühlen mit den Menschen, die von der unfassbaren Flugzeugkatastrophe betroffen sind, die jemanden verloren haben, Partnerin oder Partner, Eltern, Söhne und Töchter, Geschwister oder Freunde. Wir sitzen mit Tränen in den Augen fassungslos vor den Abendnachrichten und haben dafür einfach keine Worte.

Am Donnerstag hat sich die Katastrophe in einer Weise weiterentwickelt, die uns noch mehr erschreckt: Der junge Copilot hat das Flugzeug zum Sinken gebracht - möglicherweise mit Absicht - und damit sich selbst und 149 andere in den Tod gerissen. Wir sehen Airline-Chefs, Ermittler aus Südfrankreich, den Schulleiter aus Haltern, die Bundeskanzlerin und Fernsehreporter, denen die Fassungslosigkeit ins Gesicht geschrieben ist. Die wohl am liebsten sagen würden (und das zum Teil getan haben): "Das hier ist so schrecklich – ich kann dazu nichts sagen, mit fällt dazu nichts ein, geht weg mit euren Kameras und Aufnahmegeräten."

Deutliche Kritik an einigen Medien ist laut geworden, weil sie das Elternhaus des Copiloten gefilmt haben oder Angehörigen auf die Pelle rückten. Doch die meisten hielten sich zurück, blieben auf Distanz, formulierten sachlich bis mitfühlend. Für Medienvertreter ist eine solche Katastrophe immer ein Dilemma: Sie müssen sich einerseits diskret verhalten, kommen aber andererseits um das Berichten nicht herum – über den Fortgang der Ermittlungen, über die Suche in den Trümmern, über Reaktionen in Politik, Gesellschaft und Kirche. Sie müssen schreiben und reden und dürfen nicht schweigen, weil die Öffentlichkeit Informationen braucht. Denn nur eine informierte Öffentlichkeit kann das Handeln der Politik überwachen, kann mitleiden und gegebenenfalls Hilfe anbieten.

Vermutlich hätten die meisten beteiligten Reporter und Redakteure sich ab Dienstagmittag lieber herausgezogen, frei oder krank gefeiert, lieber geschwiegen als geredet. Solche Arbeitstage sind in den Nachrichtenredaktionen und vor Ort extrem anstrengend. Nicht nur, dass ständig neue Informationen kommen – man muss auch besonders wachsam sein. Jeder Journalist, jeder Journalistin muss die Worte sorgfältig abwägen und darf keine Sekunde lang vergessen, wie groß der Schrecken, wie entsetzlich diese Katastrophe für Angehörige und Kollegen der Verstorbenen ist. Die Worte abwägen während solcher extrem hektischen Arbeitstage – das ist schwierig. Deswegen verdienen die Medienvertreter und Politiker, die das schaffen, Respekt.

Bei aller Notwendigkeit der Berichterstattung – Schweigen ist eine gute Reaktion auf solche Nachrichten. Wie die Freunde Hiobs: sich hinsetzen, weinen und nichts reden. Deshalb ist es sehr wertvoll, dass unsere Gesellschaft sich das Schweigen angesichts der Unfassbarkeit der Katastrophe zumindest eine Minute lang zugestanden hat. im Bundestag, in den Schulen in Nordrhein-Westfalen, bei den Fluggesellschaften. Sogar in einigen Radioprogrammen wurde am Donnerstag eine Minute Stille gesendet. Bewusstes öffentliches gemeinsames Schweigen – "denn sie sahen, dass der Schmerz sehr groß war".