Palliativmediziner: Suizidhilfe nicht verbieten, aber auch nicht propagieren

Foto: dpa/Jens Kalaene
Palliativmediziner: Suizidhilfe nicht verbieten, aber auch nicht propagieren
In der Debatte über Selbstbestimmung am Lebensende hat der Palliativmediziner Gian Domenico Borasio davor gewarnt, Hilfe zur Selbsttötung zu sehr in den Mittelpunkt zu rücken.

"Suizidhilfe sollte nicht verboten werden. Aber statt sie zu propagieren, sollten wir vielmehr Bedingungen schaffen, um den Menschen die Angst vor Pflegebedürftigkeit zu nehmen", sagte Borasio der "Neuen Zürcher Zeitung" (Dienstagsausgabe). Es wäre fatal, wenn ältere Menschen vermehrt den Weg der Selbsttötung wählten, weil sie nach eigenem Empfinden bei Pflegebedürftigkeit nicht mehr gut versorgt seien, argumentierte der Mediziner, der seit drei Jahren an der Universität Lausanne lehrt.

###mehr-artikel###

Statt ständig über Suizidhilfe zu sprechen, sollte die Versorgung pflegebedürftiger Menschen etwa durch Verknüpfung von Alters- und Palliativmedizin verbessert werden, empfahl Borasio. Anhand der Situation in der Schweiz illustrierte er, im Jahr 2012 seien nur sieben von 1.000 Schweizern durch Suizidhilfe gestorben. "Da ist es doch ein Gebot der Stunde, sich auch um die anderen 993 Sterbenden zu kümmern", forderte er. In der Schweiz ist es erlaubt, dass Menschen mit Hilfe von Sterbehilfeorganisationen ihr Leben beenden können. 

Lebensqualität statt Lebensverlängerung sei Anliegen der Palliativmedizin, erläuterte Borasio, der am Universitätsspital Lausanne die Klinik für Palliativ Care leitet. Er wünsche sich eine "hörende Medizin", die Werthaltungen und Prioritäten erfrage und verstehe, um im Sinne der Patienten zu handeln. "Indem wir Ärzte den Patienten zuhören, ermöglichen wir ihnen ihren eigenen Tod", sagte Borasio. Autonomie am Lebensende gehe weit über das Recht hinaus, den Todeszeitpunkt selbst bestimmen zu können.

Dem Ausbau der Palliativmedizin, die auch Gesundheitskosten verringere, stehen aus Sicht des Mediziners auch wirtschaftliche Interessen entgegen. Ein Drittel der Gesundheitskosten entstünden im letzten Lebensjahr: "Das Thema ist ein Tabu, weil sehr viele daran verdienen", sagte Borasio.

Mit Medizinethikern und Juristen hatte der Borasio im August in München einen Gesetzesvorschlag präsentiert, der ärztliche Suizidhilfe unter bestimmten Bedingungen erlauben soll. Diese Initiative versteht sich als Alternative zu Forderungen in der deutschen Politik nach einem strikten Verbot organisierter Sterbehilfe. Der Bundestag will sich am 13. November erstmals in einer Orientierungsdebatte mit dem Thema befassen. Bis Ende 2015 soll ein entsprechendes Gesetz auf den Weg gebracht werden.