Rechte Netze: Von Facebook zum Neonazi-Aufmarsch

Rechte Netze: Von Facebook zum Neonazi-Aufmarsch
Rechtsextreme nutzen zunehmend soziale Netzwerke wie Facebook, um Jugendliche anzusprechen. Die wenigsten zeigen sich dort mit Hakenkreuz und Hitlergruß. Experten warnen vor weitaus subtileren Strategien.
12.03.2012
Von Jasmin Maxwell

Sandy Schneider ist 22 Jahre alt und Vollblutmutter. Sie glaubt nicht an Gott und findet, dass "Kinderschänder" viel härter bestraft werden sollten. Sie mag den Film "Nicht ohne meine Tochter" und den "patriotischen Rap" der Musikerin Dee Ex. Sandy ist kein NPD-Mitglied und äußert sich nicht offen rassistisch oder antisemitisch.

Doch eine Woche, nachdem ihr Profil im sozialen Netzwerk Facebook online ist - ohne konkrete Kontaktdaten, ohne Foto -, hat Sandy bereits 73 Freunde, darunter den NPD-Vorsitzenden Holger Apfel samt Ehefrau sowie Nutzer wie "Freya Wikingerzeit" und "Anti-Antifanten-Anton". Kurze Zeit später wird sie zu einem Aufmarsch an das mittlerweile aufgelöste Grab von Rudolf Heß, zum NPD-Sommerfest in Niederbayern und in die "Gemeinschaft Deutscher Frauen" eingeladen.

Ein Lockvogel namens Sandy

Dabei existiert Sandy gar nicht. Die junge Mutter ist eine Erfindung von Simone Rafael, Mitarbeiterin der Amadeu-Antonio-Stiftung, die sich gegen Rechtsextremismus engagiert und Opfer unterstützt. Mit dem falschen Profil wollte Simone Rafael testen, wie leicht es ist, über Facebook oder SchülerVZ in Kontakt mit Neonazis zu kommen. Ihr Fazit: "Für Leute, die sich für die Ideologie interessieren, ist der Einstieg wahnsinnig leicht." Zu den internationalen Wochen gegen Rassismus vom 12. bis 25. März will das Projekt "no-nazi.net", das Rafael betreut, daher Jugendliche mit Flyern für Strategien von Rechtsextremen in sozialen Netzwerken sensibilisieren.

[listbox:title=Mehr im Netz[Beschwerdestelle von jugendschutz.net##Broschüre zu Neonazis in sozialen Netzwerken (PDF-Dokument)##no-nazi.net##Informationsportal über Rechtsextremismus im Internet##Aussteigerprogramm Exit##Internationale Wochen gegen Rassismus]]

Die Zentralstelle für Jugendschutz im Internet, "jugendschutz.net", verzeichnete in ihrem letzten Jahresbericht für 2010, dass sich die Zahl rechtsextremer Inhalte auf Mitmach-Plattformen wie Facebook, MySpace und YouTube innerhalb eines Jahres auf rund 6.000 verdreifacht hat.

Auch die Organisation Exit, die Neonazis beim Ausstieg aus der Szene unterstützt, warnt vor der wachsenden Rolle von Facebook und Co. Immer mehr Aussteiger berichteten, dass sie über Foren oder Freundeslisten in sozialen Netzwerken in Kontakt mit der rechten Ideologie gekommen seien, sagt Fabian Wichmann von Exit.

Bei ihrem "Sandy"-Experiment beobachtete Rafael, dass Rechtsextreme in sozialen Netzwerken vielfach Freundschaftsanfragen an völlig Fremde schicken, deren Profil eine Offenheit für rechtes Gedankengut zeigt. Ist ein erster Kontakt da, ist der Übergang in die reale Welt fließend, denn auf virtuelle Freundschaftsanfragen folgen schnell Einladungen zu Demonstrationen oder Kameradschaftsfesten.

Strafbare Inhalte zurückgegangen

Die wenigsten Neonazis zeigen sich in sozialen Netzwerken mit Hakenkreuz und Hitlergruß - schon weil die Betreiber solche Profile schnell löschen. "Vor zehn Jahren gab es mehr strafbare Inhalte auf rechtsextremen deutschen Websites", sagt Christiane Schneider von jugendschutz.net. "Das hat sich mehr in die Subtilität verschoben."

Die rechte Einstellung ist häufig nur bei genauem Hinsehen erkennbar - etwa, wenn Nutzer einschlägige Bands gut finden oder rechte Blogs zitieren. Gerade rechtsextreme Frauen seien meist unauffällig, sagt Rafael. Sie präsentieren sich - wie Sandy - gerne als hingebungsvolle Mutter mit Baby im Profilbild. "Innerhalb der Szene dann wird ideologisch übelste Hetze ausgetauscht, zwischen Kochrezepten und Kinderbildern."

Denn spätestens in Diskussionen wird auch bei Rechtsextremen, die sich in ihren Profilen gemäßigt geben, meist die wirkliche Einstellung deutlich. Dabei dürften gerade Nutzer mit unauffälligen Profilen länger mitreden, ohne vom Betreiber gelöscht zu werden, und etwa offen gegen Ausländer hetzen, sagt Rafael. "Ihr Ziel ist es, rechte Ansichten möglichst oft im Internet zu verbreiten." Sie hofften: Je öfter rassistische Parolen im Netz stehen, desto normaler wirken sie.

"Widerstand ist wichtig"

Experten raten Nutzern deshalb, gegen solche Inhalte vorzugehen. "Es ist wichtig, rechtsextreme Positionen nicht unwidersprochen stehenzulassen", betont Christiane Schneider von jugendschutz.net. Mit dem Projekt "no-nazi.net", das im November 2011 startete, will die Amadeu-Antonio-Stiftung Jugendliche zwischen 13 und 18 Jahren dabei unterstützen. Im Internet und in Broschüren erklären die Mitarbeiter nicht nur Strategien von Neonazis in sozialen Netzwerken, sondern geben auch Tipps, wie man gegen sie vorgehen kann.

Diskussionen mit gefestigten Neonazis hätten zwar meist keinen Sinn, räumt Simone Rafael ein. Dennoch sei es wichtig, Position zu beziehen, indem man etwa klar sage: "Diese Aussage ist rassistisch", rät sie. "Die Zielgruppe sind dann nicht die Neonazis, sondern die mitlesende, schweigende Mehrheit."

Zusätzlich könnten Nutzer auch die Betreiber der Netzwerke informieren, die rechtsextreme Kommentare oder Nutzerprofile immer rigoroser löschten. Diese Erfahrung machte auch Rafael. Nachdem "Sandy" sich in knapp fünf Monaten online mit 450 Rechtsextremen aus dem In- und Ausland angefreundet hatte, wurde ihr Profil am 29. November 2011 von Facebook gelöscht.

epd