Gemischte Gefühle vor der Afghanistan-Konferenz

Gemischte Gefühle vor der Afghanistan-Konferenz
Für das vom Krieg geschüttelte Afghanistan beginnt mit dem Abzug der westlichen Kampftruppen 2014 eine neue Ära. Von der Bonner Afghanistan-Konferenz am Montag soll dafür ein Signal der Hoffnung ausgehen. Doch das Außenministertreffen steht unter denkbar schlechten Vorzeichen. Und die Proteste gegen das militärische Engagement des Westens werden lauter.
02.12.2011
Von Elvira Treffinger

Nach zehn Jahren Krieg steht viel auf dem Spiel: Die Bonner Afghanistan-Konferenz am Montag soll den Grundstein für eine bessere Zukunft des Landes legen, hofft Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP). Doch die Absage Pakistans und die Erstürmung der britischen Botschaft in Teheran überschatten das Außenministertreffen am Rhein - schlechte Signale für die Ära nach dem Abzug der ISAF-Kampftruppen aus Afghanistan, der bis 2014 geplant ist.

Denn ohne die Kooperation der Nachbarländer ist Frieden am Hindukusch nicht möglich. Pakistan spielt eine Schlüsselrolle, ist die Atommacht doch mit dem Westen verbündet, aber zugleich Rückzugsort wichtiger Taliban-Gruppen. Bis zuletzt bemüht sich die Bundesregierung, Islamabad doch zur Teilnahme zu bewegen. Bleibt es bei der Absage nach dem Tod von 24 pakistanischen Soldaten durch einen NATO-Luftangriff, ist das auch in den Augen von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die die Konferenz eröffnen wird, ein Rückschlag.

Droht ein neuer Bürgerkrieg?

Ort und Zeit sind bewusst gewählt: Vor zehn Jahren fand auf dem Petersberg bei Bonn die erste internationale Afghanistan-Konferenz nach dem Sturz der Taliban statt. Hamid Karsai wurde zum Präsidenten bestimmt. Jetzt führt seine Regierung den Vorsitz, Deutschland ist offiziell nur Gastgeber. Zu der Konferenz sind Vertreter von 85 Staaten und 16 internationalen Organisationen angemeldet. Westerwelle unterstreicht den Willen zum langfristigen Engagement: "Wir werden unsere Partner und Freunde in Afghanistan auch in den Jahren nach 2014 nicht vergessen."

Doch der eingeläutete Abzug der rund 130.000 ISAF-Soldaten und die schrittweise Übergabe der Sicherheitsverantwortung an die Afghanen wecken Angst vor einem neuen Bürgerkrieg - und einer Rückkehr der Taliban an die Macht. Denn schon weht den afghanischen Frauen laut Samira Hamidi, einer der Leiterinnen des "Afghan Women's Network", wieder ein schärferer Wind ins Gesicht. Acht Millionen afghanische Kinder gehen heute zur Schule, acht Mal so viele wie nach dem Sturz der Taliban. Aber die Geschäftsführerin des Hilfswerks Help, Karin Settele, beklagt bereits wieder Rückschritte bei den Bildungschancen der Mädchen.

[listbox:title=Mehr im Netz[Informationen des Auswärtigen Amtes zur Konferenz##Protestbündnis gegen Petersberg II]]

Die Staatengemeinschaft strebt Verhandlungen zwischen der Karsai-Regierung und den Taliban an. "Nach zehn Jahren ist es offenkundig, dass es in Afghanistan keine militärische, sondern nur eine politische Lösung geben kann", sagt Westerwelle. Die Tür für Versöhnung sei geöffnet. Doch dafür gibt es keine Anzeichen, im Gegenteil: Im September wurde der Vorsitzende des Hohen Friedensrats, Burhanuddin Rabbani, ermordet, der als Karsais Emissär das Gespräch mit dem Gegner suchen sollte. Washington, Berlin, Paris und London halten gleichwohl am Dialogversuch mit den Taliban fest. Viele Hilfswerke warnen indes: Menschen- und Frauenrechte dürften nicht um schneller Kompromisse willen geopfert werden.

Zahl der zivilen Opfer stark angestiegen

Für Kritiker ist der NATO-Einsatz in Afghanistan längst gescheitert. Unter dem Motto "Sie reden vom Frieden. Sie führen Krieg" sind am Samstag und Montag Proteste in Bonn geplant. Nach UN-Angaben starben im vergangenen Jahr 2.777 Afghanen, die nicht an Kriegshandlungen beteiligt waren, ein trauriger Rekord. Im ersten Halbjahr 2011 stieg die Zahl der zivilen Opfer erneut um 15 Prozent gemessen am Vorjahreszeitraum - auf 1.462. Indes berichtete Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière, dass die Zahl der Anschläge in Nordafghanistan in diesem Jahr zum ersten Mal zurückgegangen sei. "Aber auch in ganz Afghanistan nehmen die Anschläge ab."

Die Südasien-Expertin Citha Maaß, die lange Jahre bei der Stiftung Wissenschaft und Politik tätig war, sieht Afghanistan und seine Nachbarn dagegen noch lange nicht befriedet. Maaß hinterfragt auch die sozialen Erfolge in dem Land, in dem laut UNICEF jedes fünfte Kind seinen fünften Geburtstag nicht erlebt. Die Kluft zwischen korrupten "Aufbaugewinnlern" und der verarmten Mehrheit der Afghanen habe sich vergrößert, sagt Maaß: "Die internationale Gemeinschaft hat unter Führung der USA eine korrupte Oligarchie in Kabul installiert", die aus Präsident Karsai und Regionalfürsten bestehe. Sie stütze sich "auf eine von der Drogenökonomie dominierte Schattenwirtschaft".

Der Fernsehsender Phoenix überträgt die Eröffnung der Afghanistan-Konferenz am 5. Dezember live von 10 bis 11 Uhr, mit Bundeskanzlerin Merkel und Präsident Karsai, sowie die abschließende Pressekonferenz um 17.25 Uhr.

epd