Christliche Kirchen sagen Ja zur Organspende

Christliche Kirchen sagen Ja zur Organspende
Die beiden großen christlichen Kirchen sprechen sich für Organspenden aus. Wer durch seinen Körper einem anderen neues Leben schenkt, übt Nächstenliebe. Das war nicht immer so. Eine Organspende wurde als Selbstverstümmelung abgelehnt - und war verboten. Erst mit dem erfolgreichen Verlauf von Transplantationen änderte sich die theologische Einschätzung.
24.11.2011
Von Ralf Peter Reimann

Heute sprechen sich die beiden großen christlichen Kirchen für Organspenden aus. Die theologische Diskussion dreht sich um Detailfragen, zum Beispiel darum, wie eine Zustimmung zur Organentnahme vorliegen muss, aber es geht nicht darum, ob für Christen Organspenden möglich sind. Evangelische und katholische Kirche haben 1990 in einer gemeinsamen Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der EKD ihre grundsätzlichen Positionen zur Organspende dargelegt: „Zugleich kann in der Organspende noch über den Tod hinaus etwas spürbar werden von der "größeren Liebe", zu der Jesus seine Jünger auffordert.“ 

Diese Sicht auf die Organspende ist auch Grundlage des heutigen theologischen Verständnisses, denn „nach christlichem Verständnis ist das Leben und damit der Leib ein Geschenk des Schöpfers, über das der Mensch nicht nach Belieben verfügen kann, das er aber nach sorgfältiger Gewissensprüfung aus Liebe zum Nächsten einsetzen darf.“ – so die Erklärung. Dies gilt zum Beispiel für Lebendspenden innerhalb der Familie oder Verwandtschaft oder des Freundeskreises. 

Wenn ein Mensch gestorben ist, dürfen Organe dem Toten entnommen werden, um das Leben anderer Menschen zu retten, dabei berufen sich die beiden Kirchen auch auf den Hirntod als medizinisches Kriterium zur Feststellung des Todes: „Vom christlichen Verständnis des Todes und vom Glauben an die Auferstehung der Toten kann auch die Organspende von Toten gewürdigt werden. Dass das irdische Leben eines Menschen unumkehrbar zu Ende ist, wird mit der Feststellung des Hirntodes zweifelsfrei erwiesen. Eine Rückkehr zum Leben ist dann auch durch ärztliche Kunst nicht mehr möglich. Wenn die unaufhebbare Trennung vom irdischen Leben eingetreten ist, können funktionsfähige Organe dem Leib entnommen und anderen schwerkranken Menschen eingepflanzt werden, um deren Leben zu retten und ihnen zur Gesundung oder Verbesserung der Lebensqualität zu helfen.“ 

Organspende ist eine Folge christlicher Nächstenliebe und Solidarität

[listbox:title= Infos rund um die Organspende[Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufkärung über interreligiöse Erfahrungen##Ruhr-Universität Bochum: Forschungsverbund Kulturübergreifende Bioethik##Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zur Organspende ## Deutsche Stiftung Organspende ## Informationen von und über Eurotransplant ## Der Organspendeausweis zum Download ## Informationen gibt es auch per Telefon Montag bis Freitag von 9 bis 18 unter 0800/90 40 400]]

Wenn also die Organspende eine Folge christlicher Nächstenliebe und Solidarität ist, was ergibt sich daraus, wenn jemand eine Organspende ablehnt? Verweigert er sich dann der Nächstenliebe? Während heute Christen die Ablehnung einer Organspende begründen müssen, waren früher Organspenden für Christen verboten. Eine Organspende wurde sogar als Selbstverstümmelung abgelehnt. Wie kam christliche Theologie zu dieser Einschätzung? Und was bewog die Kirchen dazu, heute sich für Organspenden auszusprechen? 

Grundlage für die kirchliche Lehre ist die Auferweckung Christi, die als eine leibliche Auferstehung gedeutet wird und als Vorbild für die Auferstehung aller Menschen verstanden wird. Der Mensch als Ganzer wird nach seinem Tode von Gott auferweckt, er hat – wenn auch in veränderter Form – weiterhin eine körperliche Existenz. Diese biblische Sicht drückt sich beispielsweise auch in einer Veränderung der Bestattungsform aus. Die Feuerbestattung als in Europa übliche Bestattungsform bei Römern, Kelten und Germanen wird durch die Grablegung ersetzt. Der Leib von Verstorbenen wartet quasi auf die Auferstehung. Damit Gott ihn neu schaffen kann, bleibt er am besten unversehrt und darf nicht durch Feuer vernichtet werden. 

In der christlichen Tradition gebührt daher auch dem Leichnam Respekt, über ihn kann nicht wie über eine Sache verfügt werden. Auch die Entstehung des Reliquienkultes in der Alten Kirche und die Verehrung der Gebeine von Heiligen lassen sich vor diesem Hintergrund verstehen. 

Kritische Stimmen kamen vor allem aus der katholischen Kirche

Auch der Körper eines Toten soll unversehrt bleiben. Allerdings gibt es eine Heiligenlegende, die von einer erfolgreichen Beintransplantation berichtet. Die Zwillingsbrüder Cosmas und Damian lebten gegen Ende des dritten Jahrhunderts. Sie waren Ärzte und behandelten Kranke unentgeltlich und bekehrten so viele von diesen zum Christentum. Ihr spektakulärstes Wunder war eine Beintransplantation. Das mit Geschwüren vereiterte Bein eines Patienten ersetzten sie durch das gesunde Bein eines kürzlich Verstorbenen. 

Die Frage, ob dem Körper eines Menschen Organe entnommen werden dürfen, stellte sich natürlich erst durch den medizinischen Fortschritt. Grundlegend für die theologische Beurteilung von Organspenden zu Beginn des 20. Jahrhunderts war aber nicht diese fromme Legende, sondern das christliche Menschenbild und der dadurch bedingte Umgang mit dem Körper. Die anfängliche Zurückhaltung gegenüber Organentnahmen an Toten dürfte in dieser christlichen Tradition begründet liegen. 

Wenn man von der ersten erfolgreichen Hornhauttransplantation 1905 absieht, blieb die Verpflanzung anderer Organe in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erfolglos. Dass der medizinische Nutzen nicht sichtbar war, machte eine negative theologische Beurteilung einfacher. Kritische Stimmen kamen vor allem aus der katholischen Kirche. Papst Pius XI  betonte 1930 in der Enzyklika Casti Connubii die Unversehrheit des menschlichen Körpers. Er berief sich dabei auf das Naturrecht, Ausnahmen seien nur möglich, wenn die Gesundheit des gesamten Körpers bedroht sei.

Es geht auch bei der Organtransplantation um Güterabwägung

„Der einzelne aber hat über die Glieder seines Leibes kein anderes Verfügungsrecht, als dass er sie ihrem natürlichen Zweck entsprechend gebrauchen kann. Er darf sie daher weder vernichten noch verstümmeln, noch auf irgend eine andere Weise sich zu ihren natürlichen Funktionen untauglich machen, außer wenn sonst für das Wohl des ganzen Körpers nicht gesorgt werden kann. So sagt es die christliche Sittenlehre und das gleiche steht schon aus der Vernunft fest.“ 

Demnach sind zum Beispiel Amputationen aus medizinischen Gründen statthaft, jegliche andere Formen der Organentnahme oder –abtrennung verstoßen aber gegen das Naturrecht. Die Enzyklika lehnt jeglichen Eingriff in die Unversehrtheit des menschlichen Körpers ab und betont, dass der Mensch nicht über seinen eigenen Körper verfügen dürfe. Ihre Hauptstoßrichtung ist aber die Ablehnung von Abtreibung und Sterilisation. 

Wie bei vielen ethischen Entscheidungen geht es auch bei der Organtransplantation um eine Güterabwägung. Erst mit dem erfolgreichen Verlauf von Transplantationen änderte sich auch die theologische Einschätzung. Zwar werden die Unversehrtheit und die Unverfügbarkeit über den eigenen Körper verletzt, dies dient aber zum Schutze des Lebens. Als erfolgreiche Therapien zur Lebensrettung steht die Kirche Organspenden nun positiv gegenüber. Wer durch seinen Körper einem anderen neues Leben schenkt – übt Nächstenliebe. Wer dies mit seinem Körper verweigert, muss dies nun begründen. 


Ralf Peter Reimann ist rheinischer Pfarrer und arbeitet bei evangelisch.de.