Die Hick-Hacker: Der Chaos Computer Club sucht seine Linie

Die Hick-Hacker: Der Chaos Computer Club sucht seine Linie
Der umtriebige Chaos Computer Club und seine gut 2.000 Mitglieder gehören zu den eifrigsten Verfechtern von Bürgerrechten im Netz, Datenschutz und Informationsfreiheit. Die Hacker von einst suchen dafür inzwischen sogar den Schulterschluss mit der bürgerlichen Presse – Richtungsstreits inbegriffen.
21.10.2011
Von Christiane Schulzki-Haddouti

Mit der jüngsten Enthüllung, genauer der technischen Sezierung des "Staatstrojaners" ist dem Chaos Computer Club (CCC) ein wahrer Coup gelungen: Er führte die Sicherheitsbehörden als zumindest leichtgläubige Abnehmer einer Software vor, die vermutlich gegen Vorgaben des Bundesverfassungsschutzes verstößt. Der in Hamburg ansässige Hackerclub geriert sich so als wahrer Verfassungsschutz, als informationstechnischer Aufdecker und Aufklärer zugleich - eine Rolle, die er so nicht immer einnehmen wollte oder konnte.

Sicherheitsexperten aus Hamburg

In Sachen Staatstrojaner übernahm der CCC die Aufgabe eines TÜVs: Er prüfte eine sicherheitskritische Software auf Herz und Nieren. Diese Aufgabe lehnte er noch vor wenigen Wochen im Fall OpenLeaks vehement ab. Den Scoop mit dem Staatstrojaner durfte die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" landen. Sie räumte im Feuilleton gleich sieben Seiten für den CCC frei, unter anderem um den Quellcode abdrucken zu können.

Ganz neu ist die Verbindung zwischen dem Leitmedium der Bürgerlich-Konservativen in Deutschland und den ehemaligen Untergrund-Aktivisten allerdings nicht: Die CCC-Sprecher Constanze Kurz und Frank Rieger schreiben seit Anfang 2010 immer wieder feuilletonistische Artikel für den FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher. Im Gegenzug wurden sie im Frühjahr 2011 in einer FAZ-Rezension ihres ersten Buchs über "Datenfresser" als "profilierte Technikpublizisten" gefeiert.

Die Kooperation mit der FAZ-Redaktion gehört zu den geschicktesten Schachzügen der beiden nach der Ablösung des alten CCC-Sprechers Andy Müller-Maguhn, der bis heute eng mit dem "Spiegel"-Verlag verbunden ist. Mit der FAZ erreicht der CCC nun Gesellschaftsschichten, denen Hacker und ihr Denken bislang eher fremd war. So gesehen ist dies der größte Hack des CCC in den vergangenen Jahren.

Wer hat das Sagen?

Unlängst lebte die alte Connection wieder auf, als Andy Müller-Maguhn in seiner Funktion als CCC-Vorstand per Interview mit dem "Spiegel" den Rausschmiss von OpenLeaks-Gründer und Wikileaks-Dissident Daniel Domscheit-Berg bekanntgab - ohne vorherige persönliche Aussprache im Vorstand und ohne die Angelegenheit mit den Sprechern zu diskutieren. Kurz und Rieger wollten den Vorgang nicht kommentieren, das prominente CCC-Mitglied Felix von Leitner distanzierte sich seinerseits öffentlich von der Entscheidung

[listbox:title=CCC aktuell[Neben der jüngst viel Wirbel verursachenden staatlichen Schnüffelsoftware wurde dem Chaos Computer Club (CCC) inzwischen eine weitere Version des "Staatstrojaners" zugespielt. "Entgegen aller Beteuerungen der Verantwortlichen kann der Trojaner weiterhin gekapert, beliebiger Code nachgeladen und auch die angeblich revisionssichere Protokollierung manipuliert werden", heißt es auf der Homepage des Vereins.##"Dies bedeutet, daß unbefugten Dritten vom spukhaften Fernlöschen von Dateien bis hin zur akustischen Raumüberwachung genausoviele Möglichkeiten geboten werden, wie den ermittelnden Beamten und ihren von Unkenntnis der technischen Sachlage geplagten Vorgesetzten."##Die Verantwortlichen ließen "den notwendigen Respekt vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2008 sowie eine ausreichende technische und rechtliche Ausbildung vermissen". Der CCC fordert daher "einen vollständigen Verzicht auf Trojanereinsätze in Ermittlungsverfahren".]]

Tatsächlich erinnerte der Hick-Hack um Daniel Domscheit-Bergs Mitgliedschaft ganz an alte Zeiten, in denen nach dem mysteriösen Tod des Chipkarten-Hackers mit dem Pseudonym Tron mehrere Jahre vor allem Unterstellungen und Paranoia blühten, als der CCC noch wenig staatstragend war und das namensgebende Chaos den Verein noch fest im Griff hatte. Die Folgen waren dementsprechend katastrophal: Der Streit zwischen OpenLeaks und Wikileaks eskalierte, bis irgendwie sowohl Fundort als auch Passwort zur Megadatei mit mehr als 250.000 US-Depeschen im Netz bekannt waren. Der von Müller-Maguhn aufgegebene Schlichtungsprozess endete in einem Desaster.

Gefragte Gutachter vom CCC

Unbestritten ist: In der öffentlichen Wahrnehmung hat der CCC seit dem Sprecherwechsel hin zu Kurz/Rieger erheblich an Renommee gewonnen. Dazu trug bei, dass sich der Verein klassischen Datenschutzthemen zuwandte und in seiner Kompetenz auch von wichtiger Seite ernst genommen wurde: Das Bundesverfassungsgericht forderte den CCC auf, eine Expertise zur Vorratsdatenspeicherung abzugeben. Diese Stellungnahme trug wesentlich dazu bei, die langfristige Speicherung von Telekommunikationsdaten zu ächten, die unter anderem eine anlasslose Rund-um-die-Uhr-Ortung von Handybesitzern und die Erstellung ihrer Bewegungsprofile ermöglicht. Dies verstößt laut Verfassungsgericht gegen das Grundgesetz.

Mit ihrem Buch "Datenfresser" widmeten sich Kurz und Rieger erneut Datenschutzthemen - und konnten dabei unter anderem auf die langjährige Arbeit des Bielefelder Vereins FoeBud zurückgreifen, der alljährlich mit mehreren Datenschutz- und Bürgerrechtsvereinen, darunter auch dem CCC, den viel beachteten Big-Brother-Preis verleiht. Die Foebud-Gründer Rena Tangens und padeluun hatten als CCC-Ehrenmitglieder schon vor Jahren die Datenschutzdebatte im CCC angestoßen und lange intensiv begleitet. Dass der CCC sich nicht schon viel früher dem Thema widmete, lag zum einen an den persönlichen Präferenzen der damaligen Protagonisten wie Wau Holland, aber zum anderen auch daran, dass das Eindringen in fremde Computer(netze) noch nicht samt und sonders durch diverse Gesetze kriminalisiert worden war.

Zehn Jahre Datensammelwut - und die Gegenbewegung

Dass der CCC nun zu einer Art Speerspitze der Bewegung wurde, die auch der Piratenpartei ihren Sensationserfolg von 8,9 Prozent der Wählerstimmen bei der Berliner Abgeordnetenhauswahl brachte, ist nicht zuletzt den Anschlägen vom 11. September 2001 zu verdanken. Die folgende weltweite Anti-Terror-Hysterie leitete einen Dammbruch in Sachen Bürgerrechte im Internet ein.

Einst als futuristisch eingestufte Identifizierungs- und Überwachungsmethoden wie die Gesichtserkennung ganzer Menschenansammlungen und die Inhaltserfassung von Telefongesprächen sind heute Gesetz und Alltag. Mit dem Staatstrojaner zeigte der CCC, wie hemdsärmlig diejenigen mit Bürger- und Verfassungsrecht umgehen, die dieses eigentlich schützen sollen. Und wie wichtig unabhängige Wächter für die Wahrung der Rechte der Netzbürger sind.


Christiane Schulzki-Haddouti lebt und arbeitet als freie Journalistin in Bonn.