Wir heißen den Papst herzlich willkommen

Wir heißen den Papst herzlich willkommen
Heute um 10.30 Uhr landet der Papst in Berlin-Tegel. Warum der mit großer Spannung erwartete Deutschlandbesuch von Benedikt XVI. auch aus evangelischer Perspektive ein Grund für Freude und Dankbarkeit sein kann, erläutert der Braunschweiger Landesbischof Friedrich Weber in einem Exklusivbeitrag für evangelisch.de. Darin regt er unter anderem eine ökumenische Arbeitsgruppe zur Reformationsgeschichte sowie ein neues "Jahr für die Bibel" an. Weber wird den Papst am Freitag in Erfurt als Delegationsmitglied der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) treffen.
19.09.2011
Von Landesbischof Friedrich Weber

Der Papst in Deutschland – das ist ein Anlass für Gastfreundschaft und Respekt. Aus evangelischer Perspektive kann der Besuch aber auch ein Grund für Freude und Dankbarkeit sein. Auch wenn die volle Gemeinschaft zwischen der römisch-katholischen und den evangelische Kirche noch aussteht, sind in den vergangenen Jahrzehnten die Nähe zwischen den Konfessionen und das gegenseitige Verständnis gewachsen. Auf der Ebene der Ortsgemeinden allzumal.

Trotz mancher Rückschläge und Frustrationen: Das Glas der Ökumene ist nicht halb leer, sondern halb voll. Eine Alternative zur Ökumene gibt es nicht, denn es gibt vieles, was uns verbindet: die Taufe, die Heilige Schrift inklusive der Methoden ihrer Auslegung, die altkirchlichen Bekenntnisse, ein gemeinsames Gottesbild, eine gemeinsame Verantwortung für die Erde als Gottes Schöpfung, die Charta Oecumenica, die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre und vieles mehr.

Diskussion um Amts- und Sakramentsverständnis

Vor diesem Hintergrund kann der Deutschland-Besuch des Papstes ein weiterer Schritt auf dem ökumenischen Weg werden. Sicher müssen wir uns hüten, zu hohe Erwartungen zu hegen. Auch wenn der Papst ins Kernland der Reformation reist und sich an historischer Stätte im Erfurter Augustinerkloster mit Vertretern des Protestantismus trifft, werden die noch vorhandenen theologischen und strukturellen Differenzen zwischen den Kirchen nicht auf einmal Geschichte sein.

Das Abendmahl zählt noch immer zu den großen ökumenischen Streitfragen. Ob und in welcher Weise Brot und Wein in Leib und Blut Christi verwandelt werden, ist unter Katholiken, Lutheranern und reformierten Christen umstritten. Foto: iStockphoto

Vor allem das Amts- und Sakramentsverständnis muss weiter intensiv diskutiert werden. Dafür werden die verschiedenen bilateralen Kommissionen und Arbeitskreise sorgen. Sie haben bereits Beachtliches geleistet. Meine eigenen Erfahrungen auf den Ebenen der Ortsgemeinden und der Kirchenleitung, aber auch der wissenschaftlichen Theologie zeigen mir, dass trotz mancher "Entgleisung" auf allen möglichen Seiten sehr viel Verständnis gewachsen ist und wir uns normalerweise mit Respekt begegnen.

Gleichzeitig erleben wir, dass die ökumenische Ungeduld bei vielen Menschen wächst. Sie wollen nicht mehr warten, bis von offizieller Seite zum Beispiel eine gemeinsame Eucharistie, ein gemeinsames Abendmahl erlaubt wird. Vor allem mit Blick auf konfessionsverschiedene Paare ist das ein wunder Punkt. Deswegen dringt die evangelische Kirche gerade in dieser Hinsicht auf interkonfessionelle Fortschritte. Allein aus seelsorgerlichen Gründen darf es nicht dabei bleiben, dass konfessionsverschiedene Eheleute in der katholischen Kirche offiziell nicht gemeinsam Platz finden am Tisch des Herrn. In jüngster Zeit hat es Signale gegeben, dass diese Frage katholischerseits mit neuer Aufmerksamkeit bedacht wird. Das macht Mut.

Der Dialog erfordert Offenheit und Selbstbewusstsein

Allerdings ist es wenig hilfreich, wenn die Kirchen ihr Drängen auf ökumenische Fortschritte im Gestus der Rechtgläubigkeit artikulieren. Wer sich auf einen wirklichen Dialog einlässt, muss damit rechnen, dass er selbst zu neuen Einsichten und veränderten Einschätzungen kommen kann. Das gilt für Evangelische wie Katholiken gleichermaßen. Eine solche Haltung erfordert indessen Offenheit und Selbstbewusstsein. Beide Qualitäten helfen gerade dann, wenn der ökumenische Weg mühsam und beschwerlich wird.

Mit Offenheit, Selbstbewusstsein und Freude geht die evangelische Kirche in dieser Zeit einem besonderen Datum entgegen: dem Jahr 2017, in dem sich das Reformationsgeschehen zum 500. Mal jährt. Es trägt dazu bei, dass evangelische Christen wieder stärker nach ihrem geistigen und geistlichen Erbe fragen. Dabei stellen sie fest, dass Martin Luther nicht der Gründer einer neuen Kirche werden wollte. Vielmehr ging es ihm darum, Fehlentwicklungen der römisch-katholischen Kirche zu korrigieren: Luther wollte heilen, nicht trennen. Deswegen darf das Reformationsjubiläum nicht der Abgrenzung dienen, sondern muss uns zu neuen ökumenischen Initiativen ermuntern.

Ich fände es angemessen, wenn sich im Nachgang zur Begegnung in Erfurt eine Arbeitsgruppe bilden würde, die über die Bedeutung von 2017 arbeitet. Und weil am Anfang der 95 Thesen der Aufruf zur Buße stand, könnte 2017 also auch mit Umkehr (sich die eigenen Fehlentwicklungen eingestehen) und Erneuerung zu tun haben. Und auch dies könnte gemeinsam geschehen.

Respektvoll mit Luthers theologischen Wurzeln umgehen

Die Begegnung zwischen der EKD und dem Papst findet im seit 1276 bestehenden Augustinerkloster in Erfurt statt. Die Augustiner haben diesen Ort zu einem Zentrum der Bildung und des Gebets gemacht, wie er auch heute ein Ort der Bildung und des Gebetes ist.

Lutherbüste im Erfurter Augustinerkloster. Wo einst der nachmalige Reformator als Mönch lebte, trifft Papst Benedikt XVI. am Freitag die Spitzenvertreter der EKD, unter ihnen auch Landesbischof Friedrich Weber. Foto: epd-bild/Maik Schuck

Besondere Bedeutung erhält der Ort durch Martin Luther, der hier von 1505 bis 1511 als Augustinereremit lebte. In diesen Jahren empfängt Luther wichtige Prägungen – vor allem durch seinen Beichtvater Johann von Staupitz. Insbesondere die gnadentheologische Überlegung, dass Gott das Leben und die Rettung des Sünders wolle und deshalb die Sünde verdamme, um die Person zu retten, sei Luther von Staupitz nahe gebracht worden. Protestanten müssen so lernen, respektvoll mit den theologischen Wurzeln Luthers umzugehen.

Staupitz übt auf Luther einen nachhaltigen Einfluss dadurch aus, dass er diese Spiritualität auch über die Klostermauern hinaus trägt. Im menschgewordenen und leidenden Christus wird der Christ, gleichgültig ob im Kloster oder in der Welt, der erwählenden Gnade Gottes teilhaftig. Die radikale augustinische Gnadentheologie enthält also besondere Potentiale für die Ausbildung einer alle Christen verbindenden Spiritualität. Es ist sicher, dass Luthers Interesse an der Bibel schon in seiner Erfurter Zeit unter dem Einfluss der Humanisten herangereift ist.

Gottes Angebot zu den modernen Menschen bringen

Vielleicht lenken der EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider und der Papst den Blick auf die Schrift, die von einem Zeichen der Trennung zu einem Zeichen der Gemeinsamkeit geworden ist und ermuntern zur gemeinsamen Lektüre der Bibel, die sich auf vielen Ebenen vollzieht (Hauskreise, regionale Gesprächsrunden, ökumenischer Religionsunterricht, universitär-ökumenische Ausbildung). Dies würde ein gemeinsames Nachdenken über das anregen, was Kirche heute sein kann und muss, um den modernen Menschen mit Gottes Angebot in Verbindung zu bringen.

Hier sollte eine gemeinsame Anstrengung unternommen werden, die es schafft, über die Konfessionsgrenzen hinweg, die Bibel als lebendiges Wort in die Gesellschaft zu vermitteln. Ob es ein neues "Jahr mit der Bibel" geben könnte? Indem der Papst in "Verbum Domini" betont "dass das gemeinsame Hören und Meditieren der Schrift uns eine reale, wenn auch noch nicht volle Gemeinschaft leben lässt", zeigt er den Weg, wie der ökumenische Auftrag Jesu (Joh 17,22) verwirklicht werden kann.

So können evangelische Christinnen und Christen den Papst in Deutschland herzlich willkommen heißen: mit ihren Fragen und Bitten, durchaus auch mit Kritik, aber eben auch gastfreundlich und mit Respekt – und nicht zuletzt mit Freude und Dankbarkeit darüber, dass evangelische und katholische Christen bereits vereint sind im gemeinsamen Glauben an den einen Herrn Jesus Christus.


Prof. Dr. Friedrich Weber (62) zählt zu den renommiertesten evangelischen Ökumenikern in Deutschland. Er ist Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche in Braunschweig, Catholica-Beauftragter der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) und Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland (ACK). Weber lehrt als Honorarprofessor Kirchengeschichte an der Technischen Universität Braunschweig.