Migrationskirchen: Christen haben Bürgerrecht im Himmel

Migrationskirchen: Christen haben Bürgerrecht im Himmel
Andere Länder, andere Sitten: Zuwanderer kommen oft mit ihren vertrauten Vorstellungen von Gottesdienst und Frömmigkeit nach Deutschland oder in die Schweiz und gründen ihre eigenen Kirchen - die so genannten "Migrationskirchen". Wie sollen die etablierten Landeskirchen sich ihnen nähern? In Basel haben sich Fachleute darüber ausgetauscht.
11.07.2011
Von Fabian Kramer

Abraham hatte ihn und Mose auch, die alttestamentlichen Propheten gleichermaßen wie die neutestamentlichen Apostel – einen Migrationshintergrund. Einst bestand das ganze Volk Gottes aus Flüchtlingen, als Israel von Ägypten auszog. Sie brachten nicht nur eine neue Religion mit, sondern ebenso ihr eigenes Heiligtum, das Stiftszelt, das als Urbild des Tempels und der Kirche gilt.

Gegenwärtig ist wieder ein Exodus vom afrikanischen Kontinent und aus Lateinamerika im Gang, und auch zahlreiche der heutigen, christlichen Migranten von dort und anderswo gründen in ihren Gastländern eigene Glaubensgemeinschaften. Diese neuen "Migrationskirchen" leisten oft einen wichtigen Beitrag zur Integration ihrer Mitglieder in die Aufnahmegesellschaft, leben vielfach eine eindrucksvolle Frömmigkeit, befinden sich bisweilen aber auch in einem Prozess der Abschottung und vertreten gelegentlich problematische theologische Positionen.

[listbox:title=Stichwort: Migrationskirchen["Als Migrationskirchen werden Zusammenschlüsse von Christen mit Migrationshintergrund bezeichnet, die sich selbst als Kirche verstehen." So definiert der Schweizerische Evangelische Kirchenbund SEK den Begriff.##In der Forschung wird zwischen "neuen" und "alten" Migrationskirchen unterschieden. Zu den alten zählen unter anderem die Flüchtlingsgemeinden etwa der Hugenotten oder Waldenser.##Als "neue Migrationskirchen" gelten Gemeinschaften von Migranten der ersten Generation(en). Davon gibt es in Deutschland ungefähr 1000-1200, in der Schweiz mehr als 300.]]

Grund genug für die deutschen und schweizerischen Landeskirchen, sich eingehend mit diesen Gruppierungen auseinanderzusetzen. Dies versuchte eine Tagung unter dem Titel "Migrationskirchen – Landeskirchen in Deutschland und der Schweiz", die Ende Juni im Basler Missionshaus stattfand. Organisiert wurde die Veranstaltung von Beatrice Aebi vom Migrationsamt und Daniel Frei vom Pfarramt für weltweite Kirche in Basel.

Gut zwanzig Experten aus den evangelischen Kirchen von beiderseits der Grenze trafen sich und diskutierten in zwei Themenblöcken über die Möglichkeiten von "Bildung und Weiterbildung in, mit und für Migrationskirchen" sowie über die nötige "Zusammenarbeit, Abgrenzung, Chancen" aus landeskirchlicher Sicht.

Grenzen überwinden auf der Basis der "big story"

Im ersten Referat des Tages berichtete Moritz Fischer von der Evangelisch-Lutherischen Kirche Bayerns über das interkulturelle Bildungsangebot, das es in Deutschland für Vertreter von Migrations- und Landeskirchen gibt. Drei Kurse laufen derzeit, die alle zum Ziel haben, die Teilnehmer ausländischer Herkunft mit der religiösen Situation in der Bundesrepublik vertraut zu machen und den Austausch zwischen Einheimischen und Zugewanderten zu fördern, teilweise verbunden mit dem Wunsch, die fremdsprachigen Kirchenamtsträger an die akademische Theologie heranzuführen.

Die Namen der drei Programme lauten Kikk (Kirche im interkulturellen Kontext), ATTiG (African Theological Training in Germany) und MiSüNo (Mission Süd-Nord). In der Schweiz fehlen bisher entsprechende Angebote. MiSüNo-Kursleiter Fischer betonte, dass es im Unterricht viel weniger um ein gegenseitiges Verstehen als um ein gegenseitiges Erzählen und Zuhören gehe. Würde jeder die Erzählperspektive des jeweils anderen akzeptieren, könnte sich eine "große gemeinsame Narration" entwickeln, die Grenzen überwindet, basierend auf der "big story" des Evangeliums. (Links: Gottesdienst am "Tag der Völker" in Basel, Foto: Claude Ciger)

Die Bedeutung der Bibel für den kulturübergreifenden Dialog wurde auch in der kurzen Antwortrede auf Fischers Vortrag unterstrichen, die Co-Gastgeber Daniel Frei hielt. Er nannte die Heilige Schrift die "Kontaktzone par excellence" für Gläubige unterschiedlicher Herkunft und erinnerte daran, dass Christen ihre eigentliche Heimat nicht irgendeinem Bürgerrecht verdanken, sondern im Himmel haben.

Freikirchen im Ort können Brücken bauen

Im zweiten Themenblock wurde das aktuelle Verhältnis von Landes- und Migrationskirchen untersucht. Benjamin Simon von der Badischen Landeskirche zeigte in seinem einführenden Vortrag, dass gerade die ökumenische Einbindung der vielen freikirchlichen, charismatischen und pfingstlichen Gemeinschaften von Migranten noch verbesserungsfähig ist. Neben sprachlichen und kulturellen Hürden stehen hier oft Differenzen bezüglich der Glaubensauffassungen und Frömmigkeitsformen im Weg.

Ortsansässige Freikirchen können dabei eine wichtige Brückenfunktion übernehmen, da sie kulturell den Landeskirchen, theologisch den ihnen verwandten Migrationskirchen näherstehen. Diese Beobachtung hob Esther Imhof vom Zürcher "Zentrum für Migrationskirchen" hervor, unter dessen Dach eine lokale sowie sieben Gemeinden aus aller Welt ein Zuhause gefunden haben, was europaweit wohl einzigartig ist. Als vorbildlich in der internationalen Zusammenarbeit wurde in Basel auch die Evangelisch-methodistische Kirche genannt.

Ein gelungenes Beispiel der Integration im landeskirchlichen Bereich erwähnte Hauptredner Simon aus Hessen-Nassau, wo die evangelische Kirche vor einigen Jahren mehrere Migrationskirchen vollständig eingliederte. Dasselbe geschah kürzlich in Württemberg.

Auf alle Fälle lohnt sich eine enge Kooperation in spiritueller Hinsicht für beide Seiten. Dies wurde bei der Tagung mehrfach betont. Ein schönes Zeugnis dafür sind die überregional bekannten "Mitenand"-Gottesdienste in der Basler Matthäuskirche, die Menschen aus den verschiedensten Nationen jeden Sonntag zusammen feiern. Wie fruchtbar der grenzüberschreitende Austausch ist, hat nicht zuletzt das Treffen der deutsch-schweizerischen Migrationsexperten im Missionshaus selbst gezeigt. Das war auch ein interkultureller Dialog. Und er hat funktioniert.


Fabian Kramer ist freier Journalist in München und Zürich.