Hilfreich oder anmaßend? Pro und Contra Gentests

Hilfreich oder anmaßend? Pro und Contra Gentests
Der Bundestag hat abgestimmt: Gentests an Embryonen sind in Deutschland erlaubt. Die Debatte über die Zulassung der PID wurde intensiv geführt - das begrüßt Peter Hintze, Pastor und Bundestagsmitglied, in seinem Kommentar. Er findet es gut, dass Eltern frei entscheiden können. Ganz anders sieht es Johannes Friedrich, leitender Bischof der Lutherischen Kirche: Mit Sorge sieht er die Tendenz, zwischen "lebenswertem" und "lebensunwertem" Leben zu unterscheiden. Die Zulassung der PID sei ein verheerendes Signal für Menschen mit Behinderung.
08.07.2011
Von Peter Hintze und Johannes Friedrich

Pro: Die Entscheidung liegt in den Händen der Eltern

Peter Hintze MdB (Foto: dpa/Tobias Kleinschmidt)

Der Deutsche Bundestag hat mit klarer Mehrheit beschlossen, die Präimplantationsdiagnostik (PID) in bestimmten Fällen zuzulassen. Diese Entscheidung ist ein gutes Signal für die betroffenen Menschen und ein gutes Signal für die ethische Kultur in unserem Land.

Der Entscheidung des Gesetzgebers ist eine intensive gesellschaftsweite Debatte vorausgegangen, an der sich neben der Politik auch viele betroffene Menschen, die Wissenschaft, viele Verbände und insbesondere die Kirchen beteiligt hatten. Besonders gefreut habe ich mich darüber, dass innerhalb der Evangelischen Kirche in Deutschland eine sehr engagierte Diskussion geführt wurde, die uns die Möglichkeit gab, die rechtlichen, ethischen und theologischen Gesichtspunkte offen und durchaus kontrovers auszutauschen.

An dieser Diskussion habe ich mich nicht nur als Politiker, der diese wichtige Frage im Parlament mit zu entscheiden hatte, sondern auch als Christ gerne beteiligt. Die Debatte in der Evangelischen Kirche wurde mit Leidenschaft und mit Respekt gegenüber dem anderen geführt. Dass diese Diskussion möglich gewesen ist und auf einem hohen Niveau geführt wurde, hat erheblich mit dazu beigetragen, dass der Gesetzgeber seine Entscheidung auf einer breiten argumentativen Basis treffen konnte. Dafür bin ich der Evangelischen Kirche in Deutschland und ihrem Ratsvorsitzenden, Präses Nikolaus Schneider, sehr dankbar.

Ich bin der festen Überzeugung, dass die Entscheidung des Deutschen Bundestages zum Rechtsfrieden in unserem Land beiträgt. Die getroffenen Regelungen sichern die Konsistenz unserer Rechtsordnung und gewährleisten einen sehr hohen rechtlichen wie ethischen Standard. So wird künftig eine PID nur nach einer umfassenden Beratung, einem positiven Votum einer Ethikkommission und in lizensierten Zentren durchgeführt werden können, wenn aufgrund der genetischen Disposition der Eltern oder eines Elternteils für deren Nachkommen das hohe Risiko einer schwerwiegenden Erbkrankheit oder aufgrund einer schwerwiegenden Schädigung des Embryos eine hohe Wahrscheinlichkeit zu einer Tot- oder Fehlgeburt besteht.

Damit geben wir Menschen, die befürchten müssen, eine verhängnisvolle Erbanlage an ihre Kinder weiterzugeben, oder die bereits die Qual einer Tot- oder Fehlgeburt erlebt haben, die Möglichkeit, eine informierte Entscheidung zu treffen und sich für ein eigenes Kind zu entscheiden. Wir legen die Entscheidung in die Hände derjenigen, die die Verantwortung tragen für ihr Kind, und ermöglichen ihnen, etwa eine drohende Totgeburt von vornherein zu vermeiden oder sich in Kenntnis möglicher Schwangerschaftsrisiken bewusst gegen eine PID zu entscheiden.

Wir verkürzen die Leidensgeschichte betroffener Eltern und geben zugleich denjenigen Menschen Raum, die der PID mit Vorbehalten begegnen, ihrer persönlichen Haltung Ausdruck zu verleihen. Damit wird der freiheitliche Rechtsstaat seiner Aufgabe gerecht, unterschiedliche moralische Vorstellungen in der Gesellschaft zum Ausgleich zu bringen und dort die größtmögliche Zurückhaltung zu wahren, wo es um die körperliche und seelische Verfassung eines Menschen geht.

Die Entscheidung des Deutschen Bundestages ist ein wichtiges Vertrauensvotum für Menschen, die sich in einer existenziellen Notlage befinden, und ein Vertrauensvotum für unsere verantwortungsvoll handelnden Ärzte. Mit ihr folgt der Gesetzgeber einer Ethik des Helfens. Das ist eine gute Botschaft für uns Christen.

Peter Hintze (61) ist evangelischer Pastor, Mitglied des Bundestages und Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie.

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Contra: Menschen mit Behinderung sind geliebte Kinder Gottes

Bischof Johannes Friedrich (Foto: epd-bild/Peter Steffen)

Ich persönlich hatte wirklich gehofft, dass die Mehrheit im Bundestag für ein Verbot votieren würde. Ich respektiere die Entscheidung der Bundestagsabgeordneten. Die Debatte hat gezeigt, dass sich keiner die Entscheidung leicht gemacht hat, sondern sich alle intensiv mit der Problematik auseinandergesetzt haben. Aber zugegeben – ich bin nicht nur enttäuscht über das Votum, sondern habe die Befürchtung, dass mit der Bundestagsentscheidung vom 7. Juli eine Tür für weitere Schritte der Forschung an Embryonen aufgestoßen wurde. Ich habe Sorge, dass mit einer grundsätzlichen Zulassung der PID der Weg zu einem "Kind nach Wunsch" geebnet ist.

Die Beobachtungen in den Ländern, in denen seit Jahren PID praktiziert wird, bestärken mich in meiner Sorge. Die PID hat den Zweck, Wissen zur Verfügung zu stellen, das als Maßstab für die Selektion menschlichen Lebens dient. Wenn "Defekte" vorliegen, die als wahrscheinlich erscheinen lassen, dass der Embryo genetische Anlagen für Krankheit oder Behinderung in sich trägt, wird er nicht in den Mutterleib eingepflanzt, sondern der Vernichtung preisgegeben. Und das nun beschlossene Gesetz lässt leider viele Möglichkeiten offen, den Anlass für eine gesetzlich erlaubte PID auszuweiten. Wir werden es erleben, dass das "Kind nach Wunsch" gefordert wird.

Ich bin der tiefen Überzeugung, dass die PID die Grenze des ethisch Verantwortbaren überschreitet: Gott allein ist Herr über Leben und Tod. Und Menschen dürfen sich niemals anmaßen, zwischen "lebenswert" und "lebensunwert" zu unterscheiden und menschlichem Leben das Lebensrecht abzusprechen. Diese Problematik hat auch der Arbeitskreis zur Erforschung der nationalsozialistischen "Euthanasie" und Zwangssterilisation in seiner Stellungnahme zur Präimplantationsdiagnostik vom Mai 2011 festgestellt.

Ich verstehe die großen Sorgen und Ängste von Eltern, die mit der Möglichkeit umgehen müssen, ein krankes, ein behindertes Kind zu bekommen. Ich empfinde tiefe Empathie für sie. Es ist eine schwierige Situation, in die sie geraten sind. Sie müssen sich mit der Aussicht auseinandersetzen, eventuell ein krankes oder behindertes Kind zu haben.

Aber durch die nun zugelassene PID ist von Rechts wegen ein Instrument geschaffen, das erklärtermaßen das Ziel einer Selektion verfolgt. Das hat eine gänzlich andere ethische Dimension als die Gewissensentscheidung in einer persönlichen Konfliktlage: Es ist nun von Staats wegen eine gebilligte Methode, um nur noch dem gesunden Leben eine Chance zu geben, jedenfalls im Blick auf den in-vitro erzeugten Embryo.

Unser Gesetzgeber hat aus gutem Grund die embryopathische, also durch Krankheit oder Behinderung eines Fötus begründete Indikation als Begründung für einen straffreien Schwangerschaftsabbruchs abgeschafft. Die Spätabtreibung wegen der Behinderung des Kindes ist also bei uns verboten. Damit hat der Gesetzgeber deutlich gemacht: Wir wollen keine Gesellschaft, in der menschliches Leben mit Krankheit oder Behinderung per se unerwünscht ist und keinen Platz mehr hat.

Die PID führt die embryopathische Indikation durch die Hintertür wieder ein. Das Signal lautet: Wenn irgend möglich soll Leben mit Behinderung im Keim erstickt werden. Für Menschen, die behindert sind, ist das ein verheerendes Signal. Und insgesamt für unser Gemeinwesen ein Zeichen von Inhumanität: Schon jetzt berichten Eltern von behinderten Kindern, dass sie zu hören bekommen, es hätte ja doch auch die Möglichkeit einer Abtreibung gegeben und weshalb sie trotzdem ein Kind mit Behinderung zur Welt gebracht haben.

Gegen solche Tendenzen setze ich mich zur Wehr. Denn das christliche Menschenbild weiß, dass auch Menschen mit Behinderung, Menschen, die nicht der "Norm" entsprechenden, geliebte Söhne und Töchter Gottes sind.

Johannes Friedrich (63) ist Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, leitender Bischof der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) und Mitglied des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland.

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