Die Würde der Kanzlergattin reicht über den Tod hinaus

Die Würde der Kanzlergattin reicht über den Tod hinaus
Helmut Kohl hat sich zeitlebens auch als Privatmensch politisch inszeniert. Deshalb musste er damit leben, dass die Selbsttötung seiner Frau Hannelore ein mediales Ereignis war. Doch zehn Jahre nach ihrem Tod gehört nicht jedes tragische Detail an die Öffentlichkeit.
05.07.2011
Von Bernd Buchner

Beim Gedanken an Hannelore Kohl schiebt sich ein Bild in den Vordergrund: Eine blonde, etwas verhuschte Frau steht schmal an der Seite des polternden Dauerkanzlers. Als "Birne und Barbie" hat man das Paar verspottet, im politischen Bonn galt Hannelore als "blondes Dummchen vom Lande", das sich dem Rölleckes-Patriarchen klaglos unterordnet. Und die Familie Kohl mit dem unvermeidlichen Urlaub am Wolfgangsee schien irgendwie in der Adenauerzeit und ihrem betulichen Familienbild stecken geblieben zu sein.

Das Bild einer ganz anderen Frau

Als sich Hannelore Kohl vor zehn Jahren das Leben nahm, war die Republik geschockt. Ihr Mann hatte zu dieser Zeit die Macht bereits verloren, kämpfte aber in der CDU-Spendenaffäre um sein Bild in der Geschichte. An jenem 5. Juli 2001 kam indes das Bild einer ganz anderen Frau an die Oberfläche. Einer Frau, die zeitlebens der Karriere des Mannes diente und dabei ihre eigenen Begabungen nicht vergaß; einer Frau, die um ihr Familienglück kämpfte, die die Öffentlichkeit und deren mediale Prozesse verachtete; einer Frau auch, die verzweifelt gegen Krankheit und Einsamkeit gekämpft und diesen Kampf verloren hatte.

Wie privat ist das alles? Zeitlebens hat Helmut Kohl gegen das Erbe der 1968er gewütet, jener Generation, "die alles bestreitet, nur nicht ihren Lebensunterhalt". Doch die Prämisse von damals, alles Politische sei auch privat und umgekehrt, hat er sehr wohl beherzigt. Das schlägt nun auf den Altkanzler zurück. Sohn Walter hat eine bittere Abrechnung mit dem Vater vorgelegt: "Leben oder gelebt werden". Und der Journalist und frühere Kohl-Vertraute Heribert Schwan legt pünktlich zum zehnten Todestag ein Buch über "Leben und Leiden" der Kanzlergattin vor.

In dem Buch, das bereits Bestseller ist, und in begleitenden Interviews plaudert der Ex-WDR-Redakteur Details aus dem Leben Hannelore Kohls aus. Dass sie als Zwölfjährige von russischen Soldaten vergewaltigt wurde; dass sie die Urlaube am Wolfgangsee gehasst habe; dass nicht die Lichtallergie, unter der sie in den Jahren vor ihrem Tod litt, der eigentliche Grund für die Selbsttötung gewesen sei, sondern die Spendenaffäre um Helmut Kohl. Erfahren haben will Schwan das alles bei Spaziergängen mit der Kanzlergattin; ihr stilles Einverständnis zur Veröffentlichung setzt er voraus.

Helmut Kohl kritisiert "Zurschaustellung"

Helmut Kohl erklärte dazu, er empfinde die "Zurschaustellung und Vermarktung meines Privatlebens" als unangemessen. Vielleicht hätte der frühere Bundeskanzler, der inzwischen wieder geheiratet hat, ergänzen sollen: und das meiner verstorbenen Frau. Aber im Grunde hat er Recht. Derlei Details und Vermutungen auszubreiten, ist respektlos gegenüber Hannelore Kohl. Die Würde dieser Frau, die "auf eine souveräne Weise bescheiden" war, wie Ex-Bundespräsident Johannes Rau sagte, reicht über den Tod hinaus.

Ein Leben lang stand die in der späteren "Heldenstadt" Leipzig geborene Hannelore Kohl im Schatten ihres Mannes. Erst nach dem Tod trat sie heraus, nachdem sie wegen einer Lichtallergie die letzten Monate ihres Lebens fast ausschließlich im Dunkeln, im Haus der Familie in Ludwigshafen-Oggersheim, verbringen musste. In Ihren Abschiedsbriefen war von "Perspektivlosigkeit" die Rede. Bevor sie sich am Abend des 5. Juli 2001 mit Tabletten tötete, hängte Hannelore Kohl einen gelben Zettel an die Schlafzimmertür: "Bin spät ins Bett gegangen. Bitte nicht stören. Möchte länger schlafen."


Bernd Buchner ist Redakteur bei evangelisch.de und zuständig für das Ressort Kirche + Religion.