kino.to: "Dieses Video ist in deinem Land nicht verfügbar"

kino.to: "Dieses Video ist in deinem Land nicht verfügbar"
Die Filmwirtschaft feiert die Abschaltung von kino.to. Sie ist ein Warnschuss – aber nicht gegen die Filmpiraten, sondern gegen die Filmindustrie, vom Kino-Verleiher bis zum Fernsehsender. Denn die müssen sich Gedanken um ihr Geschäftsmodell machen. Die analogen Märkte haben ausgedient. Es kommt der Digitalismus.
10.06.2011
Von Hanno Terbuyken

Warum gibt es kino.to und ähnliche Angebote überhaupt? Die Standard-Antwort lautet dann meistens sofort: "Weil die Leute nicht bezahlen wollen." Aber das ist eindeutig zu kurz gedacht. Denn das, was die Leute am meisten sehen wollen, wird ohnehin kostenlos angeboten! Einer der Hochlader hat es im Interview mit Netzfeuilleton ganz klar gesagt: Tophits bei kino.to waren beispielsweise "Dr. House" und "Glee", Fernsehserien, die auch hierzulande im Free-TV zu sehen sind.

Warum suchen die Leute trotzdem auf Streaming-Seiten danach? Weil sie es satt haben, solche Serien mit zwei Jahren Zeitverzögerung zu sehen. Beispiel Glee: Die Pilotfolge bekamen die Amerikaner auf Fox am 19. Mai 2009 zu sehen, die Deutschen im Januar 2011 auf RTL. Und Glee ist kein Einzelfall: Die Simpsons beispielsweise hängen in Deutschland etwa anderthalb Staffeln hinter dem amerikanischen Original hinterher.

Bei Kinofilmen ist das nicht viel anders. Zwei Dinge machen es attraktiv, den Film kostenlos im Internet zu sehen: Für einen Film, der gerade mal ok ist und den man eh nach sechs Monaten für 7,99 € auf DVD bekommt, ist ein Kinobesuch zu teuer. Und die allermeisten Hollywood-Filme (das ist die große Mehrheit) erscheinen hierzulande auch erst Wochen oder Monate, nachdem sie in amerikanischen Kinos angelaufen sind. Es frustriert, wenn man in englischsprachigen Podcasts, Kino-Magazinen und Film-Foren ständig von einem Film hört und liest, der hierzulande erst anläuft, wenn die Diskussion schon wieder vorbei ist.

Die analogen Märkte haben ausgedient

Aber die Medienwelt der "digital natives" ist weltumspannend. Das Internet erzeugt eine große Sychronizität über den Atlantik hinweg, und dadurch gibt es ein großes Bedürfnis danach, aktuelle Unterhaltung auch aktuell zu sehen. Kino und Fernsehen kommen nun mal zum größten Teil aus den USA – mal abgesehen von Arte-Dokus, Tatort, Rosamunde Pilcher und Schlag den Raab.

Wenn die Filmfirmen wirklich kino.to und seine Ableger loswerden wollen, müssen sie sich etwas anderes einfallen lassen als die Gesetzeskeule. Die Musikindustrie hat es vorgemacht: Wenn der Zugang einfach, schnell, günstig und legal ist, wird er auch genutzt. Nur so ist die Vormachtstellung von Apples iTunes entstanden: Ein Musikstück, das heute veröffentlicht wird, kann ich heute (in den allermeisten Fällen) für wenig Geld auf der ganzen Welt herunterladen.

In der Welt der digitalen Medien spielen regionale Märkte keine Rolle mehr, weil die Inhalte im Prinzip von überall zugänglich sind. Derzeit geht die "Content-Mafia" den anderen Weg: Sie versucht, um jeden Preis die virtuellen Grenzen zwischen willkürlich verteilten Märkten aufrechtzuerhalten. Denn damit lässt sich mehr Geld mit Lizenzverkauf verdienen. Dass für die Nutzer aber Fernsehen und Internet, YouTube und ProSieben, die ARD-Mediathek und die Tagesthemen nicht mehr getrennt sind, haben die Film- und Fernsehbosse offenbar noch nicht verstanden. Der Übertragungsweg ist zweitrangig, der Inhalt steht im Mittelpunkt.

Wir sind doch nicht in China

Legale Streaming-Portale wie das amerikanische Hulu oder der Filmdienst Netflix machen vor, wie es gehen kann. Für wenig Geld (7,99 Dollar im Monat) gibt es dort viele Fernseh-Inhalte, immer aktuell, immer auf Abruf – leider eben nur in den USA. Aber selbst die Initiative deutscher Privatsender, ein ähnliches Portal aufzusetzen, würde das Problem nicht lösen – denn dann kämen Serien wie Glee und Kinofilme wie Thor immer noch Monate zu spät zu den Zuschauern.

Die andere Alternative wäre, einfach zu verhindern, dass Zuschauer überhaupt erfahren, was in den USA gerade aktuell ist. Das hieße aber, den Zugang zu sämtlichen ausländischen Medien einfach zu kappen, nur noch Tweets aus Deutschland zuzulassen und alle Facebook-Freunde mit einer ausländischen IP von Amts wegen zu blockieren. Das ist keine Option. Wir sind doch nicht in China!

Den allermeisten Streaming-Nutzern ist übrigens nicht egal, wie legal oder illegal das Anschauen ohne Herunterladen im Internet ist. (Juristen sind sich da gar nicht einig – es ist eine ungeklärte Grauzone.) Die Frage kommt dauernd, wenn man drüber redet. Aber für die Nutzer von kino.to oder des schwedischen Äquivalents PirateBay ist es legitim, und das wiegt aus ihrer Sicht schwerer. Ihr Ziel ist gar nicht die Urheberrechtsverletzung, die meistens dahinter steht (und die eindeutig illegal ist). Ihr Ziel ist die Gleichberechtigung, die Anerkennung als weltweites Publikum.

Anbieter und Konsumenten sind sich nicht einig

Wenn den Filmfirmen an Urheberrechten etwas liegt, müssen sie den Grund für die Verletzung dieser Rechte beheben und die Zugänge zu Inhalten an die Lebenswelt ihrer Zuschauer anpassen. Was ich will wann ich es will – die technischen Möglichkeiten gäben das her, nur die Vorstellung einer in autonome Märkte getrennten Konsumentenwelt nicht. Die Nutzer sehen die Welt aber anders. Sie ist offen, vernetzt und nachfrageorientiert. So sollte auch das mediale Angebot sein, von TopGear bis Tatort, von Dog the Bounty Hunter bis zur Daily Show.

Aber in diesem Digitalismus sind wir leider noch nicht angekommen. "Dieses Video ist in deinem Land nicht verfügbar"? Kein Wunder, dass die Leute dann anderswo danach suchen.


 

Hanno Terbuyken ist Redakteur bei evangelisch.de und schreibt ab und zu im Blog "Angezockt".