Mythos, Märchen, Medienstar: Bayern feiert seinen Ludwig

Mythos, Märchen, Medienstar: Bayern feiert seinen Ludwig
Heute vor genau 125 Jahren starb Ludwig II., der bayerische "Märchenkönig". Sein Leben und sein Sterben geben bis heute Rätsel auf. Vor den Menschen, der großen Politik und den Entwicklungen seiner Zeit floh der Herrscher in Fantasiewelten. Dabei war er moderner, als es seine Verrücktheit vermuten lässt. Eine Ausstellung im Schloss Herrenchiemsee gibt unter dem Titel "Götterdämmerung" Einblicke in das Schicksal des Königs und seiner Zeit.
10.06.2011
Von Bernd Buchner

Hätte es Ludwig II. nicht gegeben, man müsste ihn glatt erfinden. Schon aus touristischen Gründen. Zwei Millionen Menschen besuchen jedes Jahr die Märchenschlösser, die der bayerische König in die Landschaft setzen ließ. Die Landesausstellung auf Herrenchiemsee, die dem "Träumer auf dem Thron" in diesem Jahr zu seinem 125. Todestag gewidmet ist, sahen binnen drei Wochen schon 50.000 Besucher. Ludwig II. (1845-1886) ist nicht nur ein Mythos, sondern auch ein Magnet.

Die Anziehungskraft liegt weniger an nostalgischen Erinnerungen an die Monarchie. Vielmehr verlief Ludwigs Königsleben einfach zu schillernd, um es nicht interessant zu finden: Zur Flucht vor der Wirklichkeit und der überspannten Bauwut kamen seine homoerotischen Neigungen, schließlich die private Überschuldung, die Absetzung durch nervenärztliches Attest, der rätselhafte Tod. So sehr sich der Wittelsbacher der Welt entzog, so sehr steht er der heutigen Zeit mit seinem ganz persönlichen Drama vor Augen.

Mit Heizungsanlage und Telefon

Es ist auch das Drama eines Mannes, der aus seiner Zeit gefallen schien. Als Ludwig II. im Jahr 1864 den bayerischen Thron bestieg, war die Hochindustrialisierung in vollem Gange. Er förderte den Wandel Bayerns, die Moderne brach an. Ludwigs Märchenschlösser waren wie Neuschwanstein mit Heizungsanlage und Telefon ausgestattet, die berühmte Grotte in Linderhof wurde elektrisch illuminiert. Die realen Errungenschaften aber machten den König nicht zum Realisten; im Gegenteil.

Das zeigt ein Blick auf Herrenchiemsee (Foto: Bayerische Landesausstellung), das dritte und mit Abstand teuerste Märchenschloss. Ludwig II. baute hier, der antifranzösischen Stimmung der Reichsgründungszeit zum Trotz, ein Museum für seinen Namensvettter Ludwig XIV. – der "Sonnenkönig" erschien ihm als idealer Herrscher und Sinnbild des absoluten Regenten. Schein statt Sein: Ein Gardesaal wurde eingerichtet, obwohl es keine Leibwache gab. Ein Schlafzimmer entstand, dessen Bett nie benutzt wurde. Überhaupt wurde der Palast im Chiemsee nie fertig gebaut, lediglich 20 von 70 Zimmern vollendete man.

In den unfertigen Räumen, wo noch die roten Blankziegel an der Wand stehen, ist nun die Landesausstellung zu sehen – ein Laboratorium des Wahns und der Moderne. Die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen kommen in der Schau nicht zu kurz. Deutlich wird vor allem, wie schwer es Bayern fiel, nach der Reichseinigung seinen Platz im preußisch-protestantisch geprägten Bismarckstaat zu finden. Der Kulturkampf etwa musste im Königreich, wo zwei Drittel Katholiken lebten, besonders heftig ausgetragen werden.

Mit homoerotischen Neigungen

Allerdings: A bisserl schlüpfrig darf's in Bayern natürlich auch sein. Während sich der heutige Freistaat das Maul zerreißt über untreue Ministerpräsidenten und Latex-Politikerinnen, redete man damals schon ziemlich unverblümt über die homoerotischen Neigungen des märchenhaften "Kini". Die Ausstellung hält sich diplomatisch: "Bis heute gehen die Meinungen über Ludwigs sexuelle Orientierung auseinander". Er sei wohl auch Männern zugetan gewesen, habe aber nur kurze Beziehungen gehabt - und sei am Ende enttäuscht und allein zurückgeblieben.

Pikant ist auch die Fortwirkung von Tabus: Um für seinen Film "Ludwig II. – Glanz und Ende eines Königs" die Drehgenehmigung an den Originalschauplätzen zu erhalten, verzichtete Helmut Käutner in den 1950er Jahren auf homoerotische Szenen. Stattdessen stellte er die vermeintliche Liaison mit der österreichischen Kaiserin Sisi in den Vordergrund. Auch das war natürlich ein Mythos. In Wirklichkeit war Ludwig II., wenn auch nur kurzzeitig, mit Sisis Schwester Sophie Charlotte verlobt.

Gemeinsam war dem unglücklichen Paar übrigens die Begeisterung für Richard Wagner. Der Komponist ließ seinen ganzen Charme spielen, um bei Ludwig II. Geld locker zu machen. So wenig der kleinwüchsige Wagner und der mehr als 1,90 Meter große König äußerlich zusammenpassen wollten - der Hang zu Extravaganzen und die Begeisterung für Neues verband sie. Wagner revolutionierte die Oper, Ludwig entdeckte die Fotografie zur Selbstdarstellung. Er posierte gerne mit wechselnden Frisuren, mal vornehm royal, mal lässig-dandyhaft mit Zigarette.

Mord? Freitod? Unfall?

"Ein ewiges Rätsel will ich bleiben mir und anderen", schrieb Ludwig II. einmal. Sein Tod im Starnberger See am 13. Juni 1886, kurz nachdem man ihn für geisteskrank und abgesetzt erklärt hatte, wurde zum Geburtstag eines Mysteriums. Mord? Freitod? Unfall? Die Ausstellung zeigt den schwarzen Regenschirm und die goldene Taschenuhr des toten Königs, die durch eindringendes Wasser zum Stehen gebracht worden war. Im Urteil hält sie sich bedeckt, die verschiedenen Theorien werden sachlich dargestellt. Der Kriminalfall wird wohl nie mehr zu lösen sein.

Schon unmittelbar nach dem Tod Ludwigs II. wurden seine Märchenschlösser für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Was heute als Marketingcoup anmutet, sollte seinerzeit mittels des dort ausgestellten Prunks beweisen, dass der König tatsächlich verrückt gewesen war. Heute findet sich der ertrunkene Regent auf allem, was nicht niet- und nagelfest ist: Tassen, Regenschirme, Schlüsselanhänger, Biergläser. Zu seiner Zeit, sagt Ludwig II. in einem augenzwinkernden Spielfilm, der in der Ausstellung zu sehen ist, habe ihn niemand verstanden. "Aber Ihr Heutigen, ihr seid's so dekadent, ihr versteht's mich ...".

Die Bayerische Landesausstellung "Götterdämmerung - König Ludwig II. und seine Zeit" auf Schloss Herrenchiemsee ist bis 16. Oktober täglich von 9 bis 18 Uhr geöffnet. Der Katalog kostet 18 Euro, im Doppelpack mit einem Aufsatzband 30 Euro. Näheres zur Ausstellung finden Sie hier.


Bernd Buchner ist Redakteur bei evangelisch.de und zuständig für das Ressort Kirche + Religion.