125 Jahre Kurfürstendamm: Ein Greis feiert sich selbst

125 Jahre Kurfürstendamm: Ein Greis feiert sich selbst
Berlin-Vermarkter proklamieren eine Rückbesinnung auf den Kurfürstendamm, doch die Wahrheit ist: Das Konzept der bewunderten Prachtstraßen hat sich schon lange überlebt.
03.05.2011
Von Thomas Östreicher

Eines ist unbestritten: Zum Jubeln ist diese Straße bestens geeignet. Der Kurfürstendamm leistet als Autocorsomeile nach wichtigen Sportereignissen hervorragende Dienste. Gut fürs sinnlose Herumfahren und Lärmen also - aber sonst?

Vom 5. Mai an feiert der Boulevard sein 125-jähriges Jubiläum und inszeniert in seinen gläsernen Vitrinen bis Oktober seine Geschichte. Tourismusexperten feiern seine Renaissance, was aber vor allem ihrem Arbeitsauftrag entspricht und weniger der Wirklichkeit.

Verstaubter Charme

Tatsächlich strahlt die mehrspurige Meile heute den verstaubten Charme der Sechzigerjahre aus, als die Passanten noch mit offenem Mund stehen blieben, wenn sie einen der seinerzeit notorischen Playboys à la Rolf Eden im Mercedes-Cabrio vorbeifahren sahen. Hildegard Knef sang vom "Berliner Tempo, Betrieb und Tamtam", und Günter Pfitzmann gab der Berliner Schnauze ein meist sympathisches Gesicht.

Die Zeiten, als von (alten) Prachtstraßen wie der Champs Elyssées und (neuen) Protzwegen wie dem Times Square ein Zauber ausging, der die Augen von Provinzlern zum Leuchten brachte, diese Zeiten sind vorbei. Berlin beeindruckt heute mit XXL-Architektur wie Kanzleramt und Potsdamer Platz, und wenn in den vergangenen Jahren vom Zentrum der Stadt die Rede war, meinte man Berlin-Mitte. Die Vorzeigeadressen der alten Hauptstadt lokalisieren wiederum viele in der Friedrichstraße, am Gendarmenmarkt und besonders Unter den Linden.

Erich Kästners Romanfigur Dr. Jakob Fabian von Ende der 1920-er Jahre irrte als Moralist durch Berlins schwüle Großstadtnächte auf der Suche nach Anstand und Richtung. Die mondäne Kultur würde sich verwundert umsehen: Auf dem Ku'damm spricht man heute russisch, die Limousine wartet vorm Juwelier. Weiter östlich regieren die algenartig wuchernden Kettenläden der Mode- und Schuhhäuser.

Café Kranzler im Bekleidungshaus

Das ehemalige Großbürger-Quartier mit Promi-Cafés, Theatern und Amüsement bis zum Morgengrauen langweilt heute nur noch. Selbst das einst berühmte Café Kranzler ist zu einer Rotunde auf einem Bekleidungshaus geschrumpft. Nachtleben, Kultur? Längst Fehlanzeige. Mit dem Mauerfall erlebte der Ku'damm seine letzte Fan-Begeisterung: die der DDR-Bürger, die sich jahrzehntelang nichts so sehr gewünscht hatten wie einen (Einkaufs-)Bummel im freien Westen.

Den Sensationscharakter hat der Kurfürstendamm eingebüßt, seit man nicht mehr in die Hauptstadt reisen muss, um einzukaufen oder den Duft der großen weiten Welt zu atmen. Eingekauft wird im Internet, fremde Welten zeigen Google Earth und Street View. Das Konzept hat sich überlebt.

"So schön wie der Kurfürstendamm ist nichts", beharrt gleichwohl der genussverwöhnte Rolf Eden. Vielleicht eine Frage des Blickwinkels: Der Mann ist 81.

(mit Material von dpa)


Thomas Östreicher ist freier Mitarbeiter bei evangelisch.de.