Radikaler Islamismus: Von der Predigt zum Hass

Radikaler Islamismus: Von der Predigt zum Hass
Der Ausdruck "Hassprediger" geistert immer wieder durch die Berichterstattung zum Thema Islam und Islamismus. Was aber genau steckt hinter dem Begriff? Und wo liegen die verfassungsrechtlichen Grenzen? Eine Annäherung an das Wort und die Vorurteile, die es schürt.
13.04.2011
Von Maike Freund

Der Imam Usamma A.: Das Oberverwaltungsgericht Münster erkannte ihm seinen Asylstatus ab, weil er in seinen Predigten zu Hass gegen Christen und Juden aufrief. Und schon beschleicht manchen das Gefühl, in jedem Gebetsraum steckt ein "Hassprediger". Einer, der Feindseligkeit schürt, der gegen Andersgläubige hetzt, der zu Gewalt anstachelt. Woher aber kommt diese Angst? Und was steckt hinter dem Begriff? Darauf weiß Rauf Ceylan eine Antwort.

"Das Wort 'Hassprediger' ist kein wissenschaftlicher Begriff, sondern einer, der von Politik und Medien konstruiert wurde", sagt der Professor für Religionssoziologie an der Universität Osnabrück. "Man unterscheidet in traditionell etablierte und fundamentalistische Moschee-Gemeinden." Wichtig dabei: Fundamentalistische Imame predigen nicht immer Hass, also den direkten Aufruf zu Gewalt gegenüber Einzelnen oder Gruppen, "sondern die Diffamierung der Mehrheitsgesellschaft." Das geschehe unterschwellig, subtiler, "direkte Angriffe mit Namensnennungen sind selten".

Auch der Verfassungsschutz nutzt das Wort "Hassprediger" nicht, die Behörden unterscheiden zwischen "Islam" und "Islamismus". Hans-Michael Haußig von der Universität Potsdam versucht in einem Vortrag den Unterschied mit "Nation" und "Nationalismus" zu erklären. Während "Nation" im allgemeinen Sprachgebrauch neutral bis positiv besetzt sei, beinhalte "Nationalismus" ein Element der Übertreibung.

Eine bloße Meinung ist noch kein Islamismus

Es ist genau diese Übertreibung, die für die Verfassungsschützer ausschlaggebend ist: Islamismus ist "eine religiös legitimierte Form des politischen Extremismus", definiert die Behörde. Die Grenze zum Extremismus sei dort überschritten, "wo zu den fundamentalistischen Überzeugungen politisch bestimmte Verhaltensweisen hinzutreten, die darauf gerichtet sind, eine angeblich vom Islam vorgegebene Gesellschaftsordnung zu verwirklichen". Es ist also nicht die Auslebung der Religion, ob gemäßigt oder konservativ, sondern die politische Motivation dahinter, die aus dem Islam Islamismus macht.

Das heißt aber auch: Eine bloße Meinungsäußerung ist noch kein Islamismus und verstößt nicht gegen die Verfassung. "Es geht also nicht um die Gesinnung Einzelner, sondern vorrangig um das Handeln von Organisationen und Gruppierungen", definiert der Verfassungsschutz.

Laut Verfassungsschutzbericht werden in Deutschland ein Prozent der Muslime – rund 32.000 – islamistischen Organisationen zugerechnet. Zahlen darüber, wie viele Asylantragsteller unter Beobachtung des Verfassungsschutzes stehen, gibt es nicht. Auch Statistiken über die nachträgliche Aberkennung des Flüchtlingsstatus wie bei Imam Usamma A. werden beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nicht geführt.

Extremistische Prediger sind in traditionellen Moschee-Gemeinden sehr selten

Rauf Ceylan, Autor des Buches "Die Prediger des Islam – wer sie sind und was sie wirklich wollen", beschäftigt sich auch mit dem Thema religiöser Extremismus. Er weiß: Jede Religion leidet unter extremistischen Strömungen, der Islam genauso wie beispielsweise der Protestantismus. "Religiöser Extremismus ist ein Produkt der Moderne", sagt Ceylan. Er entstehe dann, wenn die gläubige Lebensweise durch eine säkulare Übermacht bedroht würde. "Dann versuchen Fundamentalisten, kleine Enklaven zu schaffen."

[listbox:title=Der Verfassungsschutz zu Salafismus[Analyse des Verfassungsschutzes NRW zu Salafismus (2009) (PDF)##Analyse des Verfassungsschutzes NRW zu Salafismus 2010 (PDF)]]

Salafismus, im Arabischen salafiya, ist das Stichwort. "Al-salaf al-salih", die "frommen Altvorderern", bedeutet das Wort. Gemeint sind mit dem Begriff die ersten drei Generationen, die mit und nach dem islamischen Propheten Muhammad lebten. Entstanden ist die Strömung im 19. Jahrhundert. Erst durch den Konflikt mit dem säkularen Ägypten wurde sie Mitte des 20. Jahrhunderts militant. Wird in den Medien das Wort "Hassprediger" genutzt, sind es meistens Anhänger dieser Strömung, die gemeint sind.

Salafisten sind Teil des sunnitischen Islams. Auch bei ihnen gibt es unterschiedliche ideologische Ausrichtungen, aber alle haben ein Schwarz-Weiß-Werteschema: Salafisten behaupten, als einzige den Monotheismus in seiner Reinform zu vertreten. Auch Schiiten gelten so schon als Ungläubige.

Das heißt: Die Diffamierung der Islamisten greift nicht nur Andersgläubige an. "Die Verleumdung betrifft auch Muslime", sagt Ceylan, immer dann, wenn diese sich nicht an die Lebensweise der Fundamentalisten halten würden. Der Anteil der Imame, die in ihren Predigten diffamieren, sei jedoch gering. Das gelte auch für die Imame in den traditionellen Moschee-Gemeinden. "Denn diejenigen müssen sich an Vorgaben der Verbände halten – verstoßen sie dagegen, sind sie ihren Job los." Eine Studie speziell zu Hasspredigern gebe es aber nicht.

Salafistische Missionsarbeit auf YouTube

Warum sich die Vorurteile trotzdem halten? Bei repräsentativen Moscheen sei die Hemmschwelle der Mehrheitsgesellschaft nicht so groß, eine solche an einem Tage der offenen Moschee auch mal zu besuchen und sich zu informieren. Aber: "Viele Moscheen oder Gebetsräume liegen nach wie vor in Hinterhöfen mit langen, dunklen Gängen." Und: "Die medialen Bilder sind keine positiven", ergänzt Ceylan. Die Berichterstattung geschehe häufig im Kontext von Gewalt. Weitere Gründe, die ein negatives Bild bestärken würden.

"Nach wie vor sind es vor allem Jugendliche – auch deutschstämmige – die durch Polarisierung und Vereinfachung der Fundamentalisten angesprochen werden – vor allem durch Cyber-Imame", sagt Ceylan. Das beobachten auch die Verfassungsschützer. "Die Missionsarbeit, die da'wa, die Einladung zum Islam, ist ein wesentliches Merkmal für den Salafismus." Das geschehe vor allem durch youtube & Co. Der Reiz der Internet-Seiten liege für Heranwachsende darin, einfache Antworten auf alle Fragen des Lebens zu bekommen und sich überlegen zu fühlen, weil andere Religionen abgewertet werden.

Das Vorgehen wird zwar von den Behörden beobachtet. Trotzdem sind es für die Mehrzahl der Jugendlichen andere Faktoren, die zählen: "Für muslimische Jugendliche gelten die gleichen nachvollziehbaren Identifikationsanker wie für alle anderen Jugendlichen: die Freundin, die Disko und so weiter", sagt Ceylan.


Maike Freund ist freie Journalistin und schreibt unter anderem für evangelisch.de.