Damit das klar ist: Moratorium kommt nicht von Moral

Damit das klar ist: Moratorium kommt nicht von Moral
Was man für ein paar Wählerstimmen alles tut: Die Bundesregierung steigt mit fliegenden Fahnen aus ihrer atomfreundlichen Politik aus. Panik macht sich breit, oder ist selbst die geheuchelt?
16.03.2011
Von Bernd Buchner

Ein Abgrund an Scheinheiligkeit tut sich auf in Deutschland. Die Panikreaktion der schwarz-gelben Bundesregierung nach dem Nuklearcrash in Japan, dessen Folgen noch immer nicht absehbar sind, ist an politischem Opportunismus kaum zu übertreffen. Fachleute und die Mehrheit der Bevölkerung wissen schon längst, dass Kernenergie teuer, gefährlich und ersetzbar ist. Nun haben das auch die Damen und Herren Atomfreunde verstanden – oder geben es zumindest vor.

Was sich durch den Fukushima-Schock an der Situation in Deutschland geändert haben soll, können sie uns aber nicht so recht erklären. Hatte Kanzlerin Merkel nicht noch vor wenigen Monaten getönt, zwischen Flensburg und Passau gingen die Lichter aus, wenn die Laufzeiten der Atomkraftwerke nicht verlängert werden? Hatte Vizekanzler Westerwelle nicht Atomstrom als klimapolitisches Trumpfas aus dem Ärmel geholt? Hatte sich nicht Umweltminister Röttgen als schneidiger Atomverteidigungsminister geriert, obwohl er persönlich anderer Meinung ist?

Vom kernkräftigen Bock zum grünen Gärtner

Der abgründigste Abgrund aber tut sich hinter Stefan Mappus auf, der seine Laufzeit als baden-württembergischer Ministerpräsident am übernächsten Sonntag gerne verlängern würde. Der Landesvater ist angesichts der verschwommenen Bilder aus Fernost vom kernkräftigen Bock zum grünen Gärtner mutiert, der die Meiler in seinem Hoheitsgebiet am liebsten vor dem Wahltermin in Friedwälder verwandeln würde. Dabei hat er erst neulich für Milliardensummen Anteile an einem Energiekonzern gekauft, der an Atomstrom kräftig verdient.

An der Situation der deutschen Kernkraftwerke hat sich durch Japan überhaupt nichts geändert. Tatsächlich ist es so, dass die Meiler hierzulande schon seit Jahren nicht ausreichend gegen Flugzeugabstürze oder Erdbeben gewappnet sind. Jeder weiß das. Wer etwa das Gutachten der Ärztevereinigung IPPNW zu Biblis B in Hessen (Foto: dpa) liest, den befällt das kalte Grausen. Ein Kraftwerk wie Isar 1 in Niederbayern hält gerade mal den Angriff eines Starfighters aus, dem zur Bauzeit modernsten Kampfflugzeug. Die Bauzeit ist aber lange her. Laptop und Lederhose lassen grüßen.

Deshalb ist eine Sicherheitsüberprüfung der Kernkraftwerke, wie sie die Bundesregierung nun anstößt, durchaus sinnvoll – wohlgemerkt aller Anlagen, nicht nur der älteren. Ein solcher "Stresstest" müsse sich am neuesten Stand von Wissenschaft und Technik orientieren, sagt einer, der es wissen muss: Wolfgang Renneberg, Ex-Leiter der deutschen Atomaufsicht. "Das ist bisher nie der Fall gewesen." Wie bitte? Kann das wahr sein? Die Meiler wurden bisher nach veralteten Richtlinien geprüft? Was für eine erbärmliche Verantwortungslosigkeit.

Höchst fragwürdig ist auch das von Merkel flugs verkündete "Moratorium". Für drei Monate wird die Rücknahme der Laufzeitverlängerung ausgesetzt. Schon rein sachlich ist das Unsinn. Man kann nicht den Beschluss, die Betriebsdauer eines Kraftwerks zu verlängern, für eine bestimmte Zeit aussetzen. Was soll das bringen? Höchstens, dass die Laufzeit dann hinterher um drei Monate verlängert wird. Das wäre aber dann nun wirklich der Gipfel. Was immer dieses Moratorium sein soll: Von Moral kommt das Wort jedenfalls nicht.

Meiler schon längst überflüssig

Moralisch wäre es, endlich ein paar Fakten zu nennen. Zum Beispiel, dass die deutschen Kernkraftwerke nur 23 Prozent des Strombedarfs hierzulande decken. Der Rest der Produktion verkaufen die Energieriesen für gutes Geld ins Ausland. Schon heute sind vier oder fünf Meiler schlicht überflüssig. In all dem Chaos gibt es vielleicht eine gute Nachricht: Mag sein, dass Fukushima das Ende des Atomzeitalters markiert. Dann hätte die ganze Wut, die die Menschen angesichts der Ereignisse in Japan und der Scheinheiligkeit der deutschen Politik empfinden, wenigsten einen Sinn.


Bernd Buchner ist Redakteur bei evangelisch.de und zuständig für das Ressort Kirche + Religion.