Eine Woche Ferien für 186 Euro? Nur auf Kosten anderer

Eine Woche Ferien für 186 Euro? Nur auf Kosten anderer
"Urlaub auf Kosten anderer?" lautete das provokante Motto beim Kirchenforum der Internationalen Tourismus-Börse in Berlin. Viele Urlaubsreisen sind nach Ansicht von Fachleuten ethisch kaum vertretbar. Die Beschäftigten in den Zielländern oder auf den sogenannten Traumschiffen werden hemmungslos ausgebeutet. Ein weiteres Problem: Viele Deutsche, die in Urlaubsgebieten arbeiten, merken nicht, wie sie ihre Gesundheit ruinieren.
12.03.2011
Von Thomas Klatt

Andreas Hillert, Chefarzt an der medizinisch-psychotherapeutischen Klinik Roseneck in Prien am Chiemsee, weiß um die verführerischen Anreize der Reisebranche gerade für junge Menschen. Die große weite Welt kennenlernen und dabei auch noch Geld verdienen - das scheint die ideale Lösung für Weltenbummler zu sein. "Die Menschen, die zu uns in die Klinik kommen, sagen fast alle, dass sie in den Tourismus wollten. Es ist ein total toller Job, schickes Ambiente, viel Trinkgeld. Junge Männer arbeiten gerne in touristischen Berufen, weil man so leichter Frauen aufreißen kann", berichtet der Klinikleiter.

Bei freier Kost und Logis im Hotel arbeiten nicht wenige von ihnen als Animateur, Fitnesstrainer oder Reiseführer über Jahre fast rund um die Uhr, weit weg von Deutschland mit verheerenden Folgen für die eigene Gesundheit. Nur selten suchten Beschäftigte Rat und Hilfe in der Psychosomatik, sagt Hillert, weil das für die meisten viel zu kostspielig und zeitaufwenig sei. Der Tourismus verlangt in der Regel vollen Einsatz. Krankheit und wochenlanger Ausfall sind da nicht vorgesehen, wenn man nicht seinen Job verlieren will. Die Betroffenen fänden erst dann den Weg in die Klinik, wenn sie längst überfordert und ausgebrannt seien.

Überfordert und ausgebrannt

"Ein Patient kam mit 35 Jahren zurück nach Deutschland. Er hatte sein Studium nicht abgeschlossen und keinen Beruf. Wenn man immer in einer Art von Spielebenen-Ambiente arbeitet, verliert man den Blick für sich. Bin ich der attraktive Typ, auf den die Frauen fliegen, auch im normalen Leben? Oder bin ich das nur als Robinson-Trainer? Viele vergessen, eigene Sozialversicherungsbeiträge zu zahlen. Viele haben am Leben vorbei gelebt. Man verliert seine eigene Biografie, weil es so attraktiv ist, überall auf der Welt zu sein. Und mit 35 Jahren dann in Deutschland wieder neu zu starten ist relativ schwierig", berichtet Hillert.

Nach Jahren der touristischen Arbeit im Ausland kommen viele buchstäblich mit nichts zurück. Da Frauen in der Branche besonders schick und schlank auftreten müssten, hätten diese über Jahre nur unregelmäßig gegessen, so der Mediziner. Die Folge seien oftmals Essstörungen. Verführerisch wirken auch die medialen Vorbilder, ob nun Traumschiffe oder vergnüglich-fröhliche Kochshows im TV-Programm. Nur wenigen sei bewusst, dass in der Gastronomie arbeiten oftmals ungeregelte Arbeitszeiten, wenig Urlaub, schlechter Verdienst, kaum Zeit für Freunde und Familie bedeutet.

Illusionen und Fassaden

"Die Sterneköche im Fernsehen, das sind Illusionen. Viele suchen Authentizität und bekommen Fassaden präsentiert", warnt Heinz Fuchs, Leiter der Fachstelle "Tourism Watch" des Evangelischen Entwicklungsdienstes. Tourismus ist oftmals immer noch ein ungeregelter Bereich mit wenig Arbeitsschutz und Dumpinglöhnen. In Deutschland werden in diesem Jahr voraussichtlich rund 70 Millionen Urlaubsreisen unternommen. Immer noch ist der günstigste Preis dabei das ausschlaggebende Buchungsargument. Doch die Billigst-Reise in eine hermetisch abgeschlossene Bettenburg am weißen Badestrand ist mit einem ethisch vertretbaren Urlaub kaum vereinbar.

"Viele Menschen merken nicht so recht, ob sie nun in Ägypten, Tunesien, in der Türkei oder der Dominikanischen Republik in einem Resort sind. Nur der Preisdruck geht auf Kosten der Beschäftigten und setzt sich fort. Wenn 186 Euro pro Woche in Ägypten gelten, werden in der nächsten Woche auch die Preise in der Dominikanischen Republik gedrückt werden. Jede Ramsch- und Schnäppchenmentalität ist eine Herausforderung für jeden Einzelnen. Aber der bewusste Konsument wird bei den Qualitätsbeschreibungen, die hinter den touristischen Produkten stehen, ziemlich allein gelassen", weiß Fuchs.

Denn weltweit gibt es rund 160 Zertifikate, ISO-Normen und Labels, die für einen nachhaltigen, gesunden, grünen oder sozial verträglichen Urlaub werben. Ob das aber stimmt, kann der Urlauber kaum überprüfen. Klar scheint aber, dass sich mit Billigangeboten etwaige soziale Standards für die Beschäftigten kaum halten lassen.

"Traumschiff christlich nicht zu vertreten"

Ganz groß im Trend sind mittlerweile Traumschiffreisen. Über eine Million Deutsche buchen jährlich eine Kreuzfahrt, ein touristischer Zweig mit überdurchschnittlichen zwölf Prozent Zuwachs. Der ganz große Urlaub auf dem Wasser sei christlich aber kaum zu vertreten, sagt der evangelische Tourismuskritiker Heinz Fuchs: "Kreuzfahrtschiffe haben mit Tourismus relativ wenig zu tun. Das sind schwimmende Städte. Die größten Schiffe erreichen Volumina mit bis zu 10.000 Reisenden. Das heißt, es sind 2.000 bis 3.000 Beschäftigte auf dem Schiff. Da gibt es schon Platzprobleme."

Die Arbeitsverträge, so der Experte, würden häufig nur für vier bis sechs Monate geschlossen. Bestimmte ethnische Gruppen würden für bestimmte Arbeiten bewusst ausgewählt, damit sie in einem Wettbewerb stehen. Es gehe darum, dass sie in einer gewissen Sorge um ihren Arbeitsplatz stehen und dadurch Höchstleistung erbringen. "Es ist ein subtiles System", schildert Fuchs. "Die Belegschaften der Kreuzfahrtschiffe kommen nicht selten aus bis zu 60 Nationen, und das ist kein Zufall, sondern ein ausgeklügeltes Konkurrenzsystem."

Anerkennung der Arbeit wichtig

Christliche Urlauber sollten sich daher genau überlegen, wo und auf wessen Kosten sie Erholung suchen. Auf jeden Fall sollte man das Gespräch mit denjenigen suchen, die im Hotel oder Restaurant für das Wohl der Gäste sorgen. Denn genau so wichtig wie geregelte Arbeitszeiten oder ein gerechter Lohn sei die Anerkennung der Arbeit durch den Gast. "Wenn man im Hotel zum Koch sagt, Mensch, Sie haben heute toll gekocht", meint Gregor Spieß, Geschäftsführer bei der Katholischen Arbeitsgemeinschaft für Freizeit und Tourismus. "Ich glaube, dass mir das im Urlaub gut tut, dass ich nicht nur isoliert als Monade lebe, sondern mit Menschen in Beziehung treten kann, nicht nur mit der Reiseleitung oder an der Rezeption."

Und als Christ solle man im Urlaub auch ruhig über seinen Glauben sprechen, so Spieß. Gerade in muslimisch dominierten Ländern sei die Wirkung gut zahlender Gäste auf die Politik nicht unerheblich.
"Religion ist ein Menschenrecht, in Deutschland wie in jedem anderen Land. Es ist klug, wenn man solche Themen in anderen Kulturen einfühlsam und sorgsam angeht und sich im Vorfeld kundig macht. Als Reisender nehme ich Einfluß, dass einem auch die Rechte religiöser Minderheiten in den unterschiedlichen Ländern wichtig sind", rät Oberkirchenrat Thorsten Latzel vom EKD-Netzwerk "Kirche in Freizeit und Tourismus".