Ferne Front ganz nah: Soldatenbriefe aus Afghanistan

Ferne Front ganz nah: Soldatenbriefe aus Afghanistan
Es sind Briefe voll Trauer und Wut, Hoffnung und Hilflosigkeit, Angst und Adrenalin. Seit neun Jahren sind deutsche Soldaten in Afghanistan stationiert, sie schicken Tag für Tag Briefe, Mails und SMS nach Hause. Einige davon werden jetzt in einem Buch veröffentlicht.
07.02.2011
Von Jenny Tobien

"Hier ist alles 100 Mal schlimmer, als es mir in meinen kühnsten Träumen erschien", schreibt bereits 2002 Oberstleutnant Bertram Hacker aus Kabul. "Ich frage mich tatsächlich, ob ich dieses Abenteuer wirklich brauchte (...) ich kann jetzt nicht emotional werden, sonst heule ich." Seit neun Jahren ist die Bundeswehr in Afghanistan stationiert. Unzählige Mails, Briefe oder SMS wurden seitdem vom Hindukusch nach Deutschland verschickt. Ein kleiner Teil davon wird in dem am Mittwoch erscheinenden Buch "Feldpost, Briefe deutscher Soldaten aus Afghanistan" veröffentlicht.

"Es ging uns nicht darum, mit dem Buch eine Position für oder gegen den Einsatz zu beziehen, dafür gibt es Leitartikel, sondern die Soldaten direkt und unverfälscht zu Wort kommen zu lassen", erklärt Marc Baumann, Redakteur des Magazins der "Süddeutschen Zeitung". Gemeinsam mit vier Kollegen hatte er bereits 2009 erste Briefe zusammengetragen und im "SZ-Magazin" veröffentlicht. Für ihre Arbeit, durch die die "ferne Front plötzlich ganz nah wird", wurden sie damals mit dem Henri-Nannen-Preis ausgezeichnet.

Bestürzende Einblicke in einen unbekannten Krieg

Für das Buch, das wohl aufgrund der aktuellen Affäre um geöffnete Feldpost früher als geplant erscheint, waren sie mit mehreren hundert Soldaten in Kontakt. Die einen waren von ihrem Einsatz überzeugt, andere zweifelten daran. Manche sind noch immer bei der Bundeswehr, andere haben ihren Dienst quittiert. In 17 Fällen mussten die Namen der Absender geändert werden, um sie - so die Herausgeber - "vor ihrem Arbeitgeber, der Bundeswehr, zu schützen".

"Insgesamt hat der ISAF-Einsatz in Kundus nur noch wenig von einem Hilfseinsatz, sondern mehr von einem (asymmetrischen) Krieg", so Oberstabsarzt Jens Weimer 2009. Andere berichten detailliert von Angriffen: "Plötzlich eine Detonation, der Boden unter den Füßen vibriert (...) Ich lade mein Gewehr und spüre Adrenalin." Ein Anschlag klinge aus der Nähe, "als ob jemand eine Tür zuschmeißt, inklusive Luftzug", heißt es in einem weiteren Schreiben. "Nur 500 Meter entfernt eine gewaltige Explosion. Im Deckungsbunker lackiert sich eine US-Journalistin lässig die Fingernägel. Dann eine Schweigeminute für gefallene Amerikaner."

Als im April 2009 der erste Bundeswehrsoldat im direkten Kampf getötet wird, schreibt ein Kamerad: "Tot. Das Unerwartete ist geschehen, bisher ging doch immer alles gut. In meinem und sicher nicht nur in meinem Bauch breitet sich eine lähmende Leere aus." Nach dem verheerenden Luftschlag von Kundus, bei dem Oberst Georg Klein von den Taliban gekaperte Tanklaster bombardieren lässt, schreibt Oberleutnant Eva Weber: "Die Politiker waschen sich die Weste rein (...) Ohne deren Mandat wären wir nicht hier und Oberst Klein hätte nicht so eine Entscheidung treffen müssen. So stehen wir Soldaten als schießgeile Rambos da, und unser Ansehen leidet in Deutschland noch mehr. Das ist übrigens auch ein Grund für mich die Bundeswehr zu verlassen - mir fehlt einfach der Rückhalt für unseren Beruf in der Gesellschaft."

Auch wenn die Feldpost-Affäre noch nicht bekannt war, fühlen sich einige Soldaten unsicher: "...davon aber mehr, wenn ich wieder zu Hause bin, denn wir werden wahrscheinlich abgehört oder überwacht", schreibt ein Hauptmann. Die Bundeswehr wollte bei dem Projekt übrigens nicht kooperieren - im Gegenteil, sagen die Herausgeber. "Der Presse- und Informationsstab der Bundeswehr hat entschieden, das Vorhaben nicht zu unterstützen. Anfragen der "SZ" nach Kontakten zu Soldaten sind daher abzulehnen", heißt es demnach in einer Mail.

"Ganz sicher lässt sie einen aber nicht kalt"

Davon blieben viele Soldaten unbeeindruckt: In ihren Briefen ist die Rede von engen Lagern, freundlichen Gastgebern, von dreckigen, kranken und bettelnden Kindern und von dem Land mit seinen schönen und hässlichen Seiten. "Wenn es stimmt, dass Eskimos 90 verschiedene Wörter für Schnee haben, müssen die Afghanen hundert verschiedene Wörter für braun haben, unglaubliche Farben", oder: "Die Sterne glühen prächtig über der Steppe und die Milchstraße fließt in die Unendlichkeit. Die Zikaden zirpen und an die Skorpione denke ich gerade mal nicht." Dagegen befindet ein junger Hauptgefreiter: "Afghanistan hier stinkt's. Überall Sand und Staub, Trümmer und Wracks (...) Afghanistan, hier gibt es schon lange keinen Gott mehr."

"Formel 1, Fußball, Musik", bestimmen die Freizeit. Und natürlich ist auch von Liebeleien die Rede. Während der eine über "Tote Hose, im wahrsten Sinne des Wortes" klagt, schreibt ein anderer: "Es passiert schnell - aus Einsamkeit oder der Suche nach Ablenkung." In einem anderen Brief heißt es: "Diese Techtelmechtel enden jedoch spätestens auf dem Rückflug in der Transall." So habe der Pilot vor dem Anflug auf Deutschland eine gute Heimkehr gewünscht und den Hinweis gegeben: "Mädels, ab heute seit ihr nicht mehr die Schönsten."

Vom schweren Wechsel in den Alltag ist zu lesen. "Ich hoffe, Du machst Dir nicht allzu viel Sorgen ob meiner Rückkehr, diesmal werde ich so normal wie irgend möglich sein", kündigt Oberstleutnant Hacker an. "Es war eine lohnende Sache", resümiert ein anderer. Und ein Stabsarzt schreibt gar, fast wäre er geneigt, länger zu bleiben, da ihn die Arbeit geistig fordere, bisweilen einiges nehme, jedoch auch viel gebe: "Ganz sicher lässt sie einen aber nicht kalt."

dpa