Was tun mit einer Kirche, die voller NS-Symbole steckt?

Was tun mit einer Kirche, die voller NS-Symbole steckt?
Jesus umringt von einer "deutschen Familie", daneben ein Soldat mit Stahlhelm und ein SA-Mann in Stiefeln: Die Berliner Martin-Luther-Gedächtniskirche ist ein bedrückendes Beispiel für jene rund 600 Kirchen, die während der NS-Zeit errichtet und ausgestaltet wurden. Jetzt muss das baufällige Gotteshaus saniert werden. Wie es danach genutzt wird, ist offen.
30.11.2010
Von Lukas Philippi

Die vielfache Begeisterung deutscher Christen für die NS-Ideologie bei der Machtübernahme Adolf Hitlers hat sich auch im Sakralbau niedergeschlagen. Viele der damals rund 600 neu errichteten Kirchen stehen heute noch und werden genutzt. Herausragendes Beispiel ist die im Jahr 1935 in Berlin-Mariendorf eingeweihte Martin-Luther-Gedächtniskirche, die voller NS-Symbole steckt. Lediglich die Hakenkreuze wurden nach dem Krieg entfernt. Kurz vor Weihnachten begeht die Gemeinde das 75-jährige Bestehen der von Curt Steinberg entworfenen Kirche.

Vor wenigen Tagen bereits ist der Abschluss der Turmsanierung gefeiert worden. Dabei wurden auch die Pläne und künftige Nutzungskonzepte für den Sakralbau vorgestellt werden. Die baufällige Kirche ist seit 2004 geschlossen, sie steht aber unter Denkmalschutz und darf nicht abgerissen werden. Bis 2014 will die Gemeinde zusammen mit der Stadtentwicklungsgesellschaft "Stattbau" das Gebäude parallel zur baulichen Sanierung zu einem Kultur- und Veranstaltungsort entwickeln. In der Vergangenheit fanden bereits Ausstellungen, Konzerte und Gottesdienste zu besonderen Gelegenheiten statt.

"Weiter als Sakralbau nutzen"

Beim Richtfest für den Turm warb der Direktor der Stiftung "Topographie des Terrors", Andreas Nachama, für eine Neugestaltung des Gotteshauses. Es müsse darum gehen, "die Kirche weiter als Sakralbau zu nutzen, ohne diesem Bildprogramm unterworfen zu sein", sagte Nachama mit Blick auf die reichhaltige NS-Ikonographie. So besteht der das Schiff umspannende "Triumphbogen" besteht aus rund 800 Ornamentplatten, auf denen neben christlichen Symbolen unter anderem auch Köpfe von Soldaten mit Stahlhelmen, ein SA-Mann sowie das Symbol der NS-Wohlfahrt zu sehen sind.

Das Kanzelrelief zeigt Jesus bei der Bergpredigt umringt von einer "deutschen Familie", daneben ein Soldat mit Stahlhelm und ein SA-Mann in Stiefeln. Die mächtige Orgel wurde erstmals 1935 auf dem Reichsparteitag der NSDAP in Nürnberg gespielt. In der Vorhalle wird der Besucher von Reichspräsident Paul von Hindenburg begrüßt. Den Leuchter ziert ein großes Eisernes Kreuz samt Eichenlaub. Die Kosten der Sanierung sind auf 3,4 Millionen Euro veranschlagt, der Bund beteiligt sich mit rund 900.000 Euro. Im kommenden Jahr sollen unter anderem auch Teile der Außenfassade saniert werden.

Bereits vor 1933 geplant

Für den Kunsthistoriker Martin Bayer ist das Etikett "Nazi-Kirche" irreführend, er verweist dabei auf die Entstehungsgeschichte. Danach hat die Kirchengemeinde bereits unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg das Gelände für ein Gemeindezentrum gekauft. Die Genehmigung für den Kirchenbau stammt aus dem Jahr 1931, Baubeginn war 1933. Bayer arbeitet für die Stadtentwicklungsgesellschaft "Stattbau". Diese soll gemeinsam mit der Gemeinde parallel zur Sanierung ein Nutzungskonzept entwickeln.

"Curt Sternberg war kein Nazi, sondern nur ein langweiliger Architekt mit einem langweiligen Bauherrn", versucht Bayer die Aufregung mancher Besucher über das steingewordene NS-Relikt zu beschwichtigen. Die NS-Symole wurden erst 1935/36 entworfen und eingebaut. Für Monica Geyler-von Bernus vom Berliner Forum für Geschichte und Gegenwart ist die NS-Symbolik ein "Alleinstellungsmerkmal", das herausgearbeitet werden muss, ansonsten habe die Kirche "keine Chance". Sie denkt dabei etwa an einen Dokumentationsort "Kirchen im Nationalsozialismus".

Zumindest in der Vergangenheit stieß diese Idee auf wenig Gegenliebe bei der Landeskirche. Der Leiter des landeskirchlichen Bauamtes, Matthias Hoffmann-Tauschwitz, äußert sich aktuell in dem Dokumentationsband mit den Worten, die Kirche sei "besser als andere Kirchengebäude in Deutschland geeignet", als "Zeugnis dieses Geschichtsabschnitts" zu dienen.

Jochen Klepper gehörte zur Gemeinde

Diese Meinung haben auch etliche Teilnehmer von Führungen und Besucher von Ausstellungen und Konzerten, die trotz Sanierungsarbeiten am Turm und ab dem kommenden Jahr an der Außenfassade stattfinden. So schreibt etwa ein Matthias W. im Gästebuch, er finde es "großartig, wie ehrlich und offen" die Gemeinde, zu der bis zu seinem Freitod auch der Schriftsteller und Kirchenlied-Dichter Jochen Klepper (1903-1942) gehörte, sich mit diesem dunklen Kapitel auseinandersetzt.

Für die Zukunft schlägt "Stattbau" einige Umbauarbeiten im Innern vor, um die Kirche als Veranstaltungsort vermarkten zu können. Wichtig sei es dabei, "die Spuren der Vergangenheit sichtbar zu erhalten", heißt es in dem Konzept. Auch der Direktor der Berliner "Topographie des Terrors", Andreas Nachama, kann sich eine Neugestaltung des Innenraums vorstellen, solange die historischen Zeugnisse sichtbar bleiben. Er schlägt vor, einen transparenten Kubus nach Art einer Winterkirche in das Kirchenschiff zu setzen. Dann würden die Besucher nicht bei jedem Gottesdienst mit der NS-Symbolik konfrontiert.

epd