"Die Pflicht der Kirche ist, der Gesellschaft zu dienen"

"Die Pflicht der Kirche ist, der Gesellschaft zu dienen"
Mit seiner neuen Publikation "Violettbuch Kirchenfinanzen" will der Leiter des Humanistischen Pressedienstes, Carsten Frerk, ein "realistischeres Bild der Kirchen" zeichnen. Wir sprachen mit Oberkirchenrat Thomas Begrich, Finanzabteilungsleiter im Kirchenamt der EKD, darüber, ob unsere Kirchen tatsächlich so Geld vom Staat erhalten.
15.11.2010
Die Fragen stellte Melanie Huber

Worüber reden wir eigentlich in Zusammenhang mit dem Buch von Herrn Frerk? Worauf will er hinaus?

Thomas Begrich: Der Autor addiert letztlich irgendwelche Zahlen. Geld, das die Kirchen nicht bekommen, Geld, das sie nicht ausgeben und vor allem Geld, das nicht kirchlichen, sondern staatlich gewollten Zwecken dient. Und so zeigt sich am Schluss seines Buches, was er scheinbar will: Der Staat finanziere die Kirchen pro Jahr 19 Milliarden Euro – und das sei doch wohl nicht richtig... Die Zahl ist so unsinnig, wie mich die Schlussfolgerung nervös macht. Allerdings macht sie mich nicht als Mitarbeiter der EKD nervös, sondern als Staatsbürger. Da ist ein Grundprinzip unserer Demokratie nicht verstanden: die Gemeinschaft wird vom Engagement vieler getragen. Wer das nicht will, will was?

Kirchliche und staatliche Haushaltspläne sind keine Geheimhaushalte, sondern öffentlich einsehbar. Können Sie sich erklären, warum Frerk Staat und Kirchen dennoch mangelnde Transparenz bei der Darstellung finanzieller Zuwendungen vorwirft? Vor allem sei nicht deutlich darauf hingewiesen, welche kirchlichen Dienstleistungen oder Einrichtungen mit staatlichen Zuschüssen finanziert würden. Und die Aussagekraft der veröffentlichten Zahlen sei mangelhaft.

Begrich: Diese Vorwürfe gehören scheinbar zur Methode. Erst werden Daten ermittelt, die es gar nicht gibt, dann wird behauptet, wir würden sie nicht offenlegen oder gar verheimlichen. Der Staat fördert ganz bewusst das gemeinnützige Verhalten der Gesellschaft und jedes einzelnen Menschen. Und so sind beispielsweise Spenden – auch die Kirchensteuern als Mitgliedsbeitrag - an die Kirche ebenso steuerlich anrechenbar wie andere gemeinnützige Gaben auch. Aber es sind keine Einnahmen für uns, folglich können wir sie nicht ausweisen.

Abenteuerlich sind auch die Überlegungen zu den Aufwendungen des Staates für die "Ausbildung des Nachwuchses", wie es genannt wird. Er kritisiert die Bezuschussung von theologischen Fakultäten als eine Förderung der Kirche. Dabei geht es hier vor allem um die Ausbildung von jungen Menschen und die Förderung von Wissenschaft. Genau dies ist die Aufgabe des Staates. Auch die Ausbildung der Ingenieure für E.ON wird vom Staat finanziert. Und das, was wir zusätzlich zur universitären Ausbildung benötigen, bezahlen wir allerdings selbst. Ich nehme an, E.ON macht das genauso.

[listbox:title=Webseite der EKD zum Haushalt[www.kirchenfinanzen.de]]

Nein, unsere Zahlen sind öffentlich und stehen im Internet. Kirchengemeinden legen ihre Haushalte öffentlich aus. Allerdings besteht die evangelische Kirche aus 22 selbständigen Landeskirchen, aus etwa 15.000 Kirchengemeinden und aus circa 5.000 selbstständigen diakonischen Einrichtungen. Da muss man in der Tat suchen, wenn man alles wissen will. Ein weiteres Problem haben wir allerdings auch: bislang sind kirchliche Haushalte kameral geführt, wir haben keine Bilanzen. Das ist ein Manko. Darum arbeiten alle Gliedkirchen daran, ihr Rechnungswesen zu entwickeln.

Somit kann man nur sagen, dass Frerks Buch kein Sachbuch ist, sondern eine Streitschrift. Das ist erlaubt, man darf gegen die und mit der Kirche streiten. Aber wir dürfen auch sagen, wo die Defizite in Frerks Argumentation liegen.

Wenn es – wie von Frerk beschrieben – schwer bis unmöglich sei, an detailliertes und aussagekräftiges Zahlenmaterial zu gelangen, wie konnte Frerk an die von ihm veröffentlichten Informationen kommen? Liegt hier nicht ein Widerspruch vor?

Begrich: Es ist eben alles öffentlich. Aber Kirche ist kein Konzern. Es gibt also keinen Konzernabschluss über die Tausende von Einrichtungen und Aktivitäten. Wie soll man aus all dem eine Summe ziehen? Die wäre wissenschaftlich vielleicht interessant, aber zweitrangig für die kirchliche Arbeit. Sie wird nämlich nicht wie ein Konzern gesteuert. Oder nehmen Sie meine Rolle als Beispiel. Die Medien nennen mich regelmäßig, den "Finanzchef der EKD". Aber ich bin nur Finanzabteilungsleiter im Kirchenamt der EKD. Es kann gar keinen Finanzchef geben, dazu fehlt die gemeinsame juristische Struktur. Die evangelische Kirche ist eine Gemeinschaft, die aus eigenverantwortlich agierenden Strukturen besteht. Das Verbindende ist der Antrieb, den wir aus unserem Glauben ziehen.

Es gibt allerdings auch Zahlen, die wir selbst nicht kennen. Wie wollen Sie zum Beispiel den Wert von Kirchengebäuden bestimmen? Kirchengebäude lassen sich nur schwer verkaufen – dazu sind sie ja auch gar nicht da. Sie haben also keinen Handelswert. Allerdings haben sie einen Gestehungswert, auch wenn man das über tausend Jahre sehen muss. Wollten wir sie heute alle neu errichten, bräuchten wir sicher einen dreistelligen Milliardenbetrag. Es kommt also immer darauf an, was man mit einer Zahl sagen will, wozu man sie braucht.

Frerk schreibt selbst: "Nur einzelne, öffentlich zugängliche Teile eines Finanzpuzzles können dargestellt werden." Demnach wäre ja zumindest ein so umfangreiches Zahlenmaterial frei einsehbar, dass sich auf dieser Basis ein Buch schreiben lässt. Hat Herr Frerk nun auf Basis unvollständiger Informationen die richtigen Schlüsse gezogen oder sind seine Interpretationen auf Basis des veröffentlichten Zahlenmaterials falsch?

Begrich: Viele seiner Schlussfolgerungen sind erkennbar interessengeleitet. Das Buch ist ja auch kein Sachbuch, sondern eine Streitschrift.

Sie sind Jurist und Kaufmann, ein Finanzexperte also; als solchen möchte ich Sie fragen, ob Sie persönlich Möglichkeiten sehen, Leistungen der Kirche, für die diese staatliche Zuwendungen erhält, effizienter anzubieten? In einigen Bereichen steht Kirche ja bereits sozusagen in Wettbewerb zu anderen Anbietern. Agieren diese kostengünstiger?

Begrich: Bei uns gibt es einen klaren Kodex, wie unsere Mitarbeitenden bezahlt werden sollen. Bei der zunehmenden Kommerzialisierung wird es immer schwerer, das umzusetzen. Andere Dienstleister sind manchmal deswegen kostengünstiger, weil sie ihren Mitarbeitern weniger bezahlen. Die Frage ist auch, ob der Ansatz, den andere verfolgen, sich mit unserem vergleichen lässt. Das ganzheitliche Menschenbild steht bei uns im Mittelpunkt. Und wenn irgendwo kirchliche Arbeit nicht gut gemacht wird, dann reagieren die Menschen darauf verständlicherweise besonders enttäuscht - weil der Anspruch sehr hoch ist.

Schüler haben ein Anrecht auf Religionsunterricht, Gefangene und Soldaten auf Seelsorge. Ist es recht und billig, dass dies finanziell vom Staat getragen wird? Oder will Herr Frerk dieses Recht und weitere von ihm aufgeführte Leistungen schlicht abschaffen?

Begrich: Vermutlich will er es abschaffen, weil er glaubt, dass Religion nicht nötig sei. Weil Frerk davon überzeugt ist, denkt er, dass andere Menschen Religion auch nicht brauchen und wünschen. Religion ist aber ein wichtiger Bestandteil unseres gesellschaftlichen Lebens und nützt unserer Gesellschaft in vielerlei Hinsicht. Vor allem sind es ja die Menschen, die an Gott glauben und sich von diesem Glauben getragen in die Gesellschaft einbringen.

Frerk schreibt davon, dass die "Religionsgesellschaften den Staat finanziell in die Pflicht nehmen". Welche Pflichten ergeben sich daraus für die Kirche?

Begrich: Dass wir den Staat in die Pflicht nehmen, ist eine etwas seltsame Formulierung. Das können wir gar nicht. Unsere Pflicht als Kirche besteht darin, sich so zu verhalten, dass unser Handeln der Gesellschaft dient. Davon bin ich fest überzeugt.

Im Schlusswort stellt der Autor die Frage nach dem "Cui bono", danach, wem das von ihm Aufgezeigte nutze. Frerk antwortet selbst, nur die Kirchen hätten einen Nutzen. Ohne die staatliche Finanzierung würde es "die meisten Aktivitäten ... weitestgehend nicht mehr geben". Was meinen Sie, will Herr Frerk das? Möchte er all das, wo Kirchen sich engagieren, abschaffen?

Begrich: Es geht ihm sicher um eine Gesellschaft ohne Gott und ohne Kirche. Meine Sorge wäre, dass das dann auch eine Gesellschaft ohne Barmherzigkeit wird.


Thomas Begrich ist Abteilungsleiter Finanzen im Kirchenamt der EKD.