Atomstreit: Greenpeace steigt der CDU aufs Dach

Atomstreit: Greenpeace steigt der CDU aufs Dach
Unmittelbar vor der Abstimmung des Bundestages über längere Atomlaufzeiten haben Greenpeace-Aktivisten am Donnerstagmorgen das Dach der CDU-Zentrale in Berlin besetzt. Im Parlament kam es unterdessen zu einem heftigen Schlagabtausch zwischen Regierung und Opposition.

Mehrere Greenpeace-Anhänger entrollten an der CDU-Bundesgeschäftsstelle Transparente, wie die Polizei berichtete. Auf das Dach gelangten sie mit Hilfe von Kränen, die an dem Gebäude stehen. Zunächst war unklar, wie lange die Aktion dauern soll. Zwölf Kletterer der unabhängigen Umweltorganisation Greenpeace haben sich nach eigenen Angaben an der Außenfassade der CDU-Parteizentrale ein 10 mal 7,5 Meter großes Fotobanner aufgehängt. Unter der Überschrift "CDU – Politik für Atomkonzerne" prosten sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der Vorstandsvorsitzende des Atomkonzerns RWE, Jürgen Großmann, mit Schnapsgläsern zu.

Greenpeace warf der CDU "Klientelpolitik" für die vier Atomkonzerne RWE, E.on, EnBW und Vattenfall vor. Die Organisation forderte jeden einzelnen CDU-Abgeordneten auf, bei der Abstimmung im Bundestag gegen die Laufzeitverlängerung zu votieren. "Heute werden wir sehen, ob die CDU Politik für die Menschen in diesem Land oder für die vier Atomkonzerne macht", sagte der Greenpeace-Energieexperte Tobias Münchmeyer. 

Gutachten: Koalition verringert AKW-Sicherheit

Entgegen ihrer Ankündigungen schafft die schwarz- gelbe Koalition einem Gutachten zufolge weniger Sicherheit bei den 17 deutschen Atomkraftwerken. Von den ursprünglich vorgesehenen 50 Milliarden Euro für das Nachrüstungsprogramm sei nach dem Vertrag der Bundesregierung mit den Energieversorgungsunternehmen nur eine halbe Milliarde für jede Anlage übrig geblieben, heißt es in dem Gutachten für die Grünen-Fraktion. Es wurde vom langjährigen Abteilungsleiter für Reaktorsicherheit im Umweltministerium, Wolfgang Renneberg, erstellt. Auf einen Schutz gegen Flugzeugabstürze sei ganz verzichtet worden, heißt es.

Die Regierung hatte wiederholt betont, dass an der Sicherheit nicht gespart werde. Auch seien die Nachrüstkosten von 500 Millionen Euro pro Atomkraftwerk nur ein Richtwert, natürlich seien auch höhere Kosten möglich, wenn dies erforderlich sei. Am Donnerstag will der Bundestag die im Schnitt 12 Jahre längeren Atomlaufzeiten beschließen. Auch die Sicherheitsregeln werden dann verabschiedet.

Kritik an Sicherheitsbestimmungen

Das Gutachten kritisiert, dass die Nachrüstungsliste von Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) keine konkreten Maßnahmen zu den einzelnen Anlagen enthalte. Es sei nicht erkennbar, welche Anlage betroffen sei und welche nicht. Besonders wird der neue Paragraf 7d im Atomgesetz kritisiert, der laut Röttgen ein Mehr an Sicherheit schafft und die Vorsorgepflicht der AKW-Betreiber erweitert. Das Gutachten kommt zu dem Schluss, dass es die von Röttgen erwähnte "dynamische Schadensvorsorge" seit 50 Jahren im Atomgesetz gebe, deshalb sei der Paragraf 7d überflüssig.

Dessen Zweck sei vielmehr, das bisher einklagbare Recht von AKW-Anwohnern auf Nachrüstungen, wie einen Schutz vor Flugzeugabstürzen, auszuhebeln. Die genannte Grundvorsorge enthalte nicht mehr das, worauf es dem Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil 2008 angekommen sei, nämlich dass ein Angriff auf Atomkraftwerke nicht mehr dem von den Bürgern zu duldenden Restrisiko zuzurechnen ist.

Gabriel: Atomgesetz hat Restlaufzeit bis zur Wahl

SPD-Chef Sigmar Gabriel räumt der geplanten Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke keine Zukunft ein. Er sagte am Donnerstag im ARD-"Morgenmagazin", die heutige Bundestagsentscheidung sei keinesfalls historisch. "Die Restlaufzeit ist maximal bis zur nächsten Bundestagswahl", sagte der SPD-Chef. Ein Großteil des Atomgesetzes werde am Bundesverfassungsgericht scheitern. "Der Bundesrat wird umgangen, obwohl Juristen und auch der Bundestagspräsident gesagt haben, ihr müsst den Bundesrat beteiligen."

Durch die Laufzeitverlängerung werde der Ausbau neuer Energien "ausgebremst", kritisierte Gabriel. "Kein Mensch investiert in Windparks in der Nordsee, wenn er nicht weiß, ob er den Strom ins Netz kriegt." Seine Partei werde auf jeden Fall in Karlsruhe klagen.

FDP-Fraktionschefin Birgit Homburger verteidigte dagegen das Vorhaben. Sie sagte in der ARD, das Konzept der Regierung sei "rund". Die Notwendigkeit einer Zustimmung des Bundesrates sieht Homburger nicht. Wenn der rot-grüne Atomausstieg nicht durch die Länderkammer musste, stelle sich die Frage, warum das bei der Laufzeitverlängerung der Fall seien sollte, sagte die FDP-Politikerin.

Bundestag entscheidet

Der Bundestag wollte am Donnerstag über die Laufzeitverlängerung für die 17 deutschen Atomkraftwerke entscheiden. Begleitet von massiver Kritik der Opposition wollen Union und FDP die Betriebszeit der vor 1980 gebauten sieben Anlagen um acht Jahre verlängern, die der zehn übrigen Akw um 14 Jahre. Trotz mindestens fünf Abweichlern im Unionslager gilt eine Mehrheit der schwarz-gelben Koalition als sicher.

Im Parlament, wo um 10 Uhr die Debatte begann, kam es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen der schwarz-gelben Regierungsmehrheit und der Opposition. Die Grünen bekräftigten vor der Entscheidung über längere Laufzeiten ihre Forderung nach einer kurzfristigen Absetzung der Debatte. Im Umweltausschuss habe die Union am Mittwoch wichtige Anträge und Fragen zum neuen Atomgesetz einfach abgebügelt, sagte Fraktionschef Jürgen Trittin. Es könne nicht sein, dass die Entscheidung durch den Bundestag gepeitscht werde.

"Rüpelbande der Union"

Sollten die im Schnitt zwölf Jahre längeren Atomlaufzeiten mit der Mehrheit von Union und FDP beschlossen werden, wollen die Grünen laut Trittin "aller Voraussicht nach" klagen. Schwarz-Gelb will die Atomlaufzeiten wegen fehlender Mehrheit ohne Zustimmung des Bundesrat beschließen. Im Umweltausschuss sei die Vorsitzende Eva Bulling-Schröter (Linke) so von "einer Rüpelbande der Union" gemobbt worden, "dass sie unter Tränen den Saal verlassen musste", kritisierte Trittin. Diese Darstellung wurde allerdings von der Linkspartei als unzutreffend zurückgewiesen.

Trittin sagte weiter, der Vorwurf des Unions-Fraktionsgeschäftsführers Peter Altmaier (CDU), die Grünen seien nur auf Klamauk aus gewesen, sei lächerlich. Unter "Rädelsführerschaft" von Altmaier sei eine Debatte über die Anträge der Opposition und damit eine kritische Auseinandersetzung über die längeren Atomlaufzeiten verhindert worden. SPD-Fraktionsvize Ulrich Kelber sagte am Rande einer Menschenkette am Kanzleramt gegen die schwarze-gelbe Atompolitik: "Wir werden alle Kraft aufbringen, um diesen Rollback in der Energiepolitik zu verhindern."

Proteste vor dem Reichstagsgebäude

Die Generalsekretärin der Sozialdemokraten, Andrea Nahles, sagte mit Blick auf die Atompolitik der Regierung: "Deutschland leidet wirklich unter Fachkräftemangel. Und zwar an der Spitze der Bundesregierung." Vor dem Reichstagsgebäude starteten Umweltgruppen Proteste. SPD und Grüne hatten vor zehn Jahren einen Atomausstieg bis etwa 2022 beschlossen, der nun aufgekündigt werden soll. Da Union und FDP wegen einer fehlenden Mehrheit im Bundesrat das Gesetz ohne Zustimmung der Länderkammer in Kraft setzen wollen, haben SPD, Grüne und Linke Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht angekündigt.

Die Atomlaufzeiten sind Teil des Energiekonzeptes, das ebenfalls vom Bundestag behandelt werden wird. Es sieht große Anstrengungen zur Energieeinsparung vor. So sollen bis 2050 alle 18 Millionen Gebäuden auf moderne Energie- und Klimastandards gebracht werden. Außerdem will der Bundestag über wesentliche Teile des rund 80 Milliarden Euro schweren Sparpakets entscheiden. Dazu gehören die Einschnitte für Hartz-IV-Empfänger, die Abgabe auf Flugtickets und der Abbau der Ökosteuer-Subventionen für die Industrie.

dpa