Präses Schneider: "Wahrheit aus der Liebe heraus vertreten"

Präses Schneider: "Wahrheit aus der Liebe heraus vertreten"
Kirche im Dialog oder Seelsorger im Dialog, so könnte man wohl den evangelisch.de-Livechat mit Präses Nikolaus Schneider beschreiben. Eine Stunde lang beantwortete der amtierende Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland Fragen der Nutzer. Soll sich Kirche politisch äußern, wie steht es um den Krieg in Afghanistan und wie zeitgemäß ist die Ehe noch, waren nur einige Fragen, zu denen Präses Schneider sich geäußert hat. Hier eine kleine Zusammenfassung seiner Kernaussagen.

Es ging recht privat los. Was ein Präses so mache den ganzen Tag und worüber er lachen könne, wurde Nikolaus Schneider gefragt und berichtete von seinem Arbeitstag: "Ich hatte die Konferenz der Superintendenten/innen zu leiten. Dabei wurden aktuelle Fragen unserer Kirche besprochen. Danach habe ich mit den Vorsitzenden unserer Ausschüsse unsere nächste Synode vorbereitet und jetzt chatte ich mit Euch." Als wichtigste Aufgabe sieht Schneider allerdings die sonntägliche Predigt und das "Miterleben unserer Gemeinden vor Ort". Und auch Humor hat der Präses, so viel immerhin ist klar. Über Asterix und Obelix und die ersten Sprachübungen seines Enkelsohnes könne er herzhaft lachen, verriet Schneider im Chat, in dem es aber vor allem um ernste Themen und Anliegen ging.

Wie man die Situation junger Frauen verbessern könne, die mit Beruf, Erziehung und Partnerschaft womöglich überfordert seien, wollte eine Teilnehmerin des Chats wissen. Schneider sieht die Ansätze unter anderem in der Erziehung junger Männer dazu, sich später selbst stärker in der Kindererziehung zu engagieren. Es sei selbstverständlich, dass Frauen heute leitende Positionen in allen gesellschaftlichen Bereichen einnähmen und damit "auch einen ganz anderen Stress" aushalten müssten. "Da kann man nicht noch oben drauf laden."

Ein gut ausgebautes System der Kinderbetreuung sei wichtig, sagte Schneider. Der Ehe räumt der Präses weiter einen hohen Stellenwert ein. Sie bedeute, sich vor Gott und den Menschen – also vor aller Öffentlichkeit – zueinander zu bekennen und damit auch zu den "praktischen Konsequenzen" Ja zu sagen und auch ein Stück persönliche Freiheit aufzugeben.

Kirche und Politik

Viel diskutiert wurde die Frage, ob Kirche sich in politische Debatten einmischen solle. Ja, sagt dazu Präses Schneider. "Kirche kann sich nicht aus der Politik raushalten, denn das Evangelium will eine Wohltat für die Menschen sein. Und das gilt nicht nur für mein persönliches Erleben, sondern auch für das Zusammenleben in der Gemeinschaft." Allerdings habe Kirche dabei nur das Wort zur Verfügung und könne anders als Parteien, Verbände oder Gewerkschaften keine Machtmittel einsetzen. "Insofern müssen wir den richtigen Zeitpunkt treffen und aus dem Evangelium heraus argumentieren, denn wir sind keine Resonanzverstärker oder die bessere Gewerkschaft." Augenzwinkernd fügte Schneider hinzu: "Wir hoffen auf den Heiligen Geist – auch bei den Politikern."

Zur aktuellen Gesundheitsreform äußerte sich der Präses ebenfalls. Eine kleine Arbeitsgruppe von Fachleuten solle für die Kirche die Vorschläge der Regierung analysieren und dabei vor allem auf die Bereiche Bezahlbarkeit, Zugang für alle und Interessenausgleich zwischen gesetzlich und privat Versicherten achten. Deutlich wurde Schneider als er sagte: "Wir haben zwar faktisch schon eine Zweiklassenmedizin, aber das darf nicht so weiter gehen."

Krieg und Frieden

Ebenso deutlich wurde Schneider beim Thema Afghanistan beziehungsweise der Frage von Krieg und Frieden. "Ich kann mir nicht vorstellen, mit Jesus das Kriegführen zu rechtfertigen." Allerdings stellte Schneider klar, dass es zwar einem Einzelnen gelingen könne, ganz ohne Gewaltanwendung zu leben, es in der Welt aber Gewalt und Krieg gebe und die Gesellschaften sich damit auseinandersetzen müssten. Im äußersten Notfall sei kriegerische Gewalt denkbar, um schwersten Menschenrechtsverletzungen Einhalt zu gebieten.

Schneider nannte in diesem Zusammenhang auch das Beispiel Dietrich Bonhoeffers. "Wodurch lade ich größere Schuld auf mich, wenn anderen böses angetan wird? Durch Gewaltverzicht oder Gewaltanwendung? Dietrich Bonhoeffer stand genau vor dieser Frage und hat sich für den Tyrannenmord entschieden. Und war sich klar, dass er dadurch Schuld auf sich lud. Die größere Schuld war aber für ihn, dem Rad nicht in die Speichen zu greifen."

Mission und Ökumene

Theologisch wurde es in Fragen der Mission und der Ökumene. Die "Auskunftsfähigkeit der Christen in ihrem Alltag stärken", dazu forderte Schneider auf. Kirchen könnten nicht einfach ihren "Bestand" verwalten. "Wir laden zum Glauben ein, aber auch zur Mitgliedschaft in der Gemeinde." Als Hindernis für die Einheit der Kirchen sieht Schneider weiterhin das Papstamt. "Er ist nicht im Besitz der Wahrheit über den Glauben und es ist für mich undenkbar, mich ihm in absolutem Gehorsam zu unterwerfen." Nur Gott kenne die Wahrheit und theologische Erkenntnisse seien immer nur Annäherungen an die Wahrheit. Richtig sei es dabei, Wahrheit immer in der Liebe und Wahrheit immer aus der Liebe heraus zu vertreten.

Wer den Chat verpasst hat, bekommt eine neue Chance, sich zu beteiligen. Dem Präses hat der Dialog mit den Internetnutzern großen Spaß gemacht. Er wird auch künftig wieder bei evangelisch.de per Chat mit der Internetgemeinde in Kontakt treten.

hen