Alternativer Nobelpreis: Lehren für die Zivilgesellschaft

Alternativer Nobelpreis: Lehren für die Zivilgesellschaft
Der Alternative Nobelpreis wird 30 und hat sich selbst im malaysischen George Town ein nachhaltiges Geburtstagsgeschenk gemacht: das "Right Livelihood College" als "Brutstätte" zur Stärkung der weltweiten Zivilgesellschaft als Kontrollinstanz traditioneller politischer und wirtschaftlicher Machtinstanzen. Gründungsdirektor ist der Malaysier Anwar Fazal, der 1982 im gleichen Jahr wie Grünen-Mitbegründerin Petra Kelly mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet worden war.
10.09.2010
Von Michael Lenz

Die Universiti Sains Malaysia (USM) in George Town auf der Insel Penang ist schön gelegen. Von den Gebäuden der Universität, ehemals Kasernen der britischen Kolonialherren Malaysias, reicht der Blick über die Meeresstraße von Malakka hinüber auf das malaysische Festland. Auf der kurvenreichen Fahrt über den Campus hinauf zum "Right Livelihood College" erzählt Anwar Fazal schmunzelnd, dass die Briten den Hügel nach einer deutschen Stadt benannt haben: Minden.

Anwar weiß allerdings nicht, wie die Anhöhe zu dem Namen "Minden Heights" gekommen ist. Ein Blick in Wikipedia löst das Rätsel: Im siebenjährigen Krieg hatten die preußisch-britischen Truppen in Minden einen wichtigen Sieg gegen die Franzosen errungen. Es ist erstaunlich und beruhigend zugleich, dass Anwar Fazal mal etwas nicht weiß, ist doch der 69 Jahre alte Malaysier sonst ein Quell des Wissens und ein Meister des Networkings.

"Vater" der malaysischen Zivilgesellschaft

Als 2009 das Kolleg als akademischer Arm des "Right Livelihood Award", besser bekannt als "Alternativer Nobelpreis", gegründet werden sollte, hob Anwar schnell die Hand und rief "hier". Er ist selbst Träger des Awards und nicht nur ein Mann des Wortes, sondern auch ein Mann der Tat. Anwar nutzte sein Netzwerk in seiner Heimatstadt George Town, um die Universität davon zu überzeugen, dem Kolleg eine Heimat zu bieten. Der Zeitpunkt war ideal, findet Anwar: Die Zivilgesellschaft in Malaysia werde immer stärker und auch die Universitäten des multireligiösen und multiethnischen Landes würden sich langsam gesellschaftlichen Fragen öffnen und kritischer werden.

Der Aufbau und die Förderung der Zivilgesellschaft war zeitlebens das große Anliegen von Anwar Fazal. In seiner Heimat sehen ihn so manche als "Vater" der malaysischen Zivilgesellschaft, all jener Blogger und Macher unabhängiger Internetmedien, all der liberalen islamischen Vordenker, all der Streiter für ein gerechteres multiethnisches und multireligiöses Malaysia.

Das Land wird seit der Unabhängigkeit 1963 beherrscht von einer Koalition aus der nationalistisch-malaiischen Partei Umno und mehreren ethnischen Parteien. Wer für Pressefreiheit und gegen Korruption kämpft, läuft Gefahr, nach dem Gesetz über die innere Sicherheit verhaftet zu werden.

Anwar Fazal (Bild links) gilt als jemand, der der Regierung die Deutungshoheit über das Wesen Malaysias streitig machen kann. Er begann vor über 30 Jahren mit dem Aufbau der weltweiten Organisation "Consumers International". Dafür hat er 1982 den Alternativen Nobelpreis bekommen. "Ich habe Verbraucher nicht nur als Kunde auf einem Markt gesehen, sondern als jemanden, der Teil einer Kultur und Teil der Umwelt ist. Deshalb war ich auch immer mit Bewegungen eng verbunden, die sich der Umwelt, der Wirtschaft, der Kultur und dem Dialog mit Religionen verschrieben hatten", sagt Anwar, der selbst ein Muslim ist.

Malaysia auf der Suche nach sich selbst

Das sind alles Themen, die in Malaysia eine große Rolle spielen, einem Land, das 53 Jahre nach seiner Unabhängigkeit um seine Seele und seine Richtung ringt. Wie die Wahlen von 2008 gezeigt haben, sind viele Malaysier aller ethnischen Gruppen die Korruption, die Unfreiheit der Medien und die Privilegien der muslimisch-malaiischen Mehrheit gegenüber der chinesisch- und indischstämmigen Minderheit Leid. Die Oppositionskoalition "Pakatan Rakyat" (PR, Volksallianz) brachte die BN und Umno damals an den Rand einer Wahlniederlage.

Seitdem ist der politische Ton in Malaysia rauer geworden. Ministerpräsident Najib Razak gibt den "good guy", der mit ein wenig politischen und wirtschaftlichen Reformen die unzufriedenen Wähler zurückgewinnen will. Dazu gehört auch Najibs noch immer unklares Malaysia-Konzept, das die ethnische Spaltung Malaysias in die sozial und wirtschaftlich privilegierte muslimisch-malaiische Mehrheit und die sich zunehmend als Bürger zweiter Klasse fühlende Minderheit aus Chinesen, Indern und Ureinwohnern überbrücken soll.

Auf der anderen Seite stehen starke Kräfte in der Regierung und in der Umno, die ihre konservative muslimisch-malaiische Wählerschaft mit dem gefährlichen Spiel der rassistisch-religiösen Karte bei der Stange halten wollen. Chinesen und Inder werden als "Besetzer" und "Durchreisende" beschimpft, die die Malaien wirtschaftlich dominierten. Dem Oppositionsführer und ehemaligen stellvertretenden Ministerpräsidenten Anwar Ibrahim wird zum zweiten Mal nach 1999/2000 der Prozess wegen angeblicher Homosexualität gemacht. Bei einer Verurteilung droht ihm wieder eine lange Haftstrafe und der Verlust des Rechts, ein politisches Mandat ausüben zu dürfen.

Allah-Fall als Krisensymptom

Die religiös-rassistische Karte schlägt ein, vielleicht mehr, als die Umno es beabsichtigt hatten, wie die Brandanschläge auf elf christliche Kirchen im Januar dieses Jahres als Folge des "Allah"-Urteils zeigen. Die "Allah"-Debatte ist ein Symptom der Krise Malaysias. Malaysias Regierung hatte vor über zwei Jahren der katholischen Kirche im Land verboten, in ihren Publikationen in der Landessprache "Gott" mit dem arabischen Wort für "Gott", nämlich "Allah" zu übersetzen. Die Kirche klagte dagegen und bekam Ende Dezember 2009 Recht.

Die Regierung beharrt jedoch auf ihrem Standpunkt und hat Berufung gegen das Urteil eingelegt. Die Umno-Politiker geben sich islamischer als die islamische PAS, die als Mitglied der "Volksallianz" wiederholt erklärt hat, Angehörige aller Religionen könnten durchaus "Gott" mit "Allah" übersetzen, so wie es in allen anderen muslimischen Ländern problemlos üblich sei. Aktivist Anwar Fazal bescheinigt der PAS "progressive Werte". Vor allem das Eintreten der PAS für einen konsequenten Kampf gegen Korruption und ihr Bekenntnis zu einem Miteinander der Religionen hatten ihr im Wahlkampf 2008 auch eine Menge Stimme der christlichen, buddhistischen und hinduistischen Wähler eingebracht.

Anwar Fazal ist ein engagierte Streiter für den Dialog der Religionen in Malaysia, eine Idee, die bei den Umno-Muslimen nicht gut ankommt. "Der Islam sieht sich als die einzig wahre Religion und deshalb weigern sich die konservativ-islamischen Kräfte hier, anderen Religionen auf gleicher Augenhöhe zu begegnen", sagt Anwar. Erst nach den Brandanschlägen auf die Kirchen im Januar hat die Regierung einen interreligiösen Rat eingeführt, eine Forderung, die es in Malaysia schon seit Jahrzehnten gibt. Aber es bleibt abzuwarten, wieweit dieser sich zu einem wirklichen Dialogforum entwickeln darf oder ob es eine mehr kosmetische Maßnahme bleibt.

Akademischer Brüter auf den Minden Höhen

Beim "Right Livelihood College" ist dagegen nichts kosmetisch. Einen "Inkubator" nennt Anwar Fazal das Kolleg, einen Brüter für akademische Aktivisten, in dem die 137 bisherigen Träger des Alternativen Nobelpreises automatisch "Fellows" sind und ihr Wissen und ihr Können einer neuer Generationen mit Hilfe moderner Kommunikationstechnologien zur Verfügung stellen.

So ist der "alternative Brüter" in Georgetown einerseits ein virtuelles, andererseits ein ganz reales Kolleg, mit Workshops und Seminaren für malaysische und asiatische Stipendiaten und mit "Brüterfilialen" an der Universität im schwedischen Lund sowie an der Universität in Addis Abeba in Äthiopien. Brutstätten für Ideen und Aktionen auf anderen Kontinenten sollen folgen, so schnell wie sich Partneruniversitäten finden lassen. Dass in dem Inkubator in den Minden Heights, wie auch in der Idee des Alternativen Nobelpreis, auch ein Stück Anarchie steckt, freut Anwar, der auch mit 69 Jahren das Wort "Ruhestand" nicht in den Mund nimmt: "Das ist nicht in meinem Vokabular."


Michael Lenz ist freier Journalist in Südostasien.