Integration: Positive Beispiele in den Vordergrund stellen!

Integration: Positive Beispiele in den Vordergrund stellen!
Kritik wie Zustimmung an den Thesen von Thilo Sarrazin zeigen, dass die Fragen von Zuwanderung, Integration, Fremdheit und kultureller Identität in Deutschland keineswegs beantwortet und geklärt sind.
08.09.2010
Von Martin Affolderbach

Äußerungen des Vorstandmitglieds der Deutschen Bundesbank, Thilo Sarrazin, zu Zuwanderung und Integration, die er in seinem jüngst erschienenen Buch "Deutschland schafft sich ab" niedergeschrieben hat, füllen derzeit die Schlagzeilen der Presse. Kritik wie Zustimmung zeigen, dass die Fragen von Zuwanderung, Integration, Fremdheit und kultureller Identität in Deutschland keineswegs beantwortet und geklärt sind. Zahlreiche Denkmuster der Vergangenheit sind in vielen Köpfen noch bestimmender als man vermutet.

Die Vorurteilsforschung hat gezeigt, dass Meinungen und Urteile beispielsweise über gesellschaftliche Minderheiten nur zu einem Teil etwas über die faktische Situation der beschriebenen gesellschaftlichen Gruppe aussagen, zu einem sehr hohen Anteil aber etwas über die Urteilenden. Das sollte bei Meinungen und Bewertungen vorsichtig machen. Die Frage, was man selbst an Erwartungen und Befürchtungen auf andere projiziert, muss die stete selbstkritische Kontrollfrage sein selbst dann, wenn man glaubt, sich auf vermeintlich objektive Zahlen und Fakten berufen zu können.

"Islam in der Diskussion"? Muslimische Mitbürger würden sicherlich genau umgekehrt formulieren und den mehrheitlich gesellschaftlichen Umgang mit Fremdheit und religiöser Pluralität einer Diskussion wert erachten. So landet man unversehens bei der Frage, was denn mit welchem Recht "in der Diskussion" steht und wer was zum Problem erklärt.

Handreichung der EKD

Als die Evangelische Kirche in Deutschland Ende 2006 ihre Handreichung "Klarheit und gute Nachbarschaft" der Öffentlichkeit vorstellte, traf dies von etlichen Seiten auf Zustimmung. Es gab aber auch kritische Stimmen, insbesondere von muslimischer Seite. Ein wesentlicher Vorwurf gegenüber diesem Dokument war, dass der Islam nicht ausgewogen genug beschrieben werde, sondern negative Erscheinungsformen zum Anlass genommen werden, den Islam als ganzen kritisch darzustellen. Es würde von der Kirche aus einer Position des Rechthabens und Besserwissens geurteilt und dem Islam ein Mangel an ethischer Orientierung, Transparenz und Klarheit vorgehalten.

Die Denkschrift hatte in der Tat ein Hauptaugenmerk auf die "Spannungsbereiche gesellschaftlicher Integration" und die "Spannungsbereiche des praktischen Zusammenlebens" gelegt. Die öffentlichen Diskussionen der zurückliegenden Jahre um das Kopftuch im Schuldienst, um Geschlechterrollen, um religiös legitimierte Gewalt, die Stellung des Islam zu Religionsfreiheit und Konversion, zur Freiheit von Kunst und der Schutz religiöser Gefühle und weitere Themen sollten noch einmal aufgearbeitet und in einen Zusammenhang gestellt werden. Hintergrund für diesen Auftrag des Rates der EKD zur Erstellung dieser Handreichung war der Eindruck, dass die vorherige Handreichung vom Jahre 2000 "Zusammenleben mit Muslimen in Deutschland" etliche Konflikthemen ausgespart hatte. Andere sind erst durch Ereignisse oder öffentliche Diskussionen der folgenden Jahre in Prägnanz zu Tage getreten. Nicht zuletzt haben die Terroranschläge von New York, Washington, Bali, Madrid, London und anderen Orten die Stimmung und die Einschätzung des Islam offen oder unterschwellig beeinflusst.

Wechselseitiges Kennenlernen

Die Handreichung "Klarheit und gute Nachbarschaft" verfolgt eine Doppelstrategie. Auf der einen Seite sollte der Islam mit kritischen Anfragen konfrontiert werden, um, wie es im Titel formuliert ist, Klarheit über die Auffassungen von Muslimen in Deutschland zu erreichen. Nach einer Phase des wechselseitigen Kennenlernens sollte die sachliche Auseinandersetzung im Sinne eines öffentlichen zivilgesellschaftlichen Dialoges initiiert werden. Dieses stünde aber bewusst in der Zielsetzung der Verbesserung und Beförderung guter Nachbarschaft, dem im Titel genannten zweiten Ziel, das im hinteren Teil der Handreichung mit Anregungen zu Gespräch, Austausch und Zusammenarbeit ausdrücklich angeregt wird.

Der EKD vorzuhalten, sie würde den Islam an einer unangemessenen christlichen Messlatte messen, trifft nicht den wirklichen Kern der Handreichung. Bei genauem Hinsehen verbirgt sich in vielen dargelegten Argumentationen das Kriterium des ordre public, also das, was in anderen Zusammenhängen als der Geist und Buchstabe des Grundgesetzes bezeichnet wird. Dass in diesen Grundlagen der Verfassung christliche Werte und Überzeugungen im Hintergrund stehen, ist Teil und Ergebnis der Ideen- und Rechtsgeschichte dieses Teils von Europa. Dass eine Kirche, der eine Drittel der Bevölkerung in Deutschland angehören, dies gegenüber eine muslimischen Minderheit formuliert, mag von manchen als unangemessen und bevormundend betrachtet werden. Doch kehren die Sachthemen und auch die angesprochenen Konfliktpunkte in vielen Zusammenhängen wieder. Auch die von der Deutschen Islam Konferenz angesprochenen Themenbereiche sind an vielen Stellen durchaus deckungsgleich. Doch ist ebenso auch zutreffend, dass der Islam in Deutschland vielgestaltig und dadurch auch vielstimmig ist.

Gebot der Stunde

Welche Perspektiven lassen sich beschreiben? Trotz der Notwendigkeit, Problemthemen anzusprechen, muss in der Öffentlichkeit die positive und gelingende Zusammenarbeit mehr in den Mittelpunkt gestellt werden und in die Meinungsbildung einfließen. Die seit Jahren bestehenden Zusammenarbeit der christlichen Kirchen mit muslimischen und jüdischen Dachorganisationen beispielsweise in den Projekten "Lade deine Nachbarn ein!" und "Weißt du, wer ich bin?" müssen bekannter werden.

Zusammenarbeit erproben durch gemeinsame Ziele ist das Gebot der Stunde. Der Ratsvorsitzende der EKD hat vor wenigen Tagen in seinem Grußwort zum Ramadan angesichts von Armut und sozialer Ausgrenzung in Deutschland angeregt, den Einsatz für Menschen, die Solidarität, Unterstützung und Hilfe brauchen, zu einer gemeinsamen Aufgabe von Muslimen und Christen zu machen.


Oberkirchenrat Dr. Martin Affolderbach ist Referent für Islam und Weltreligionen im Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).