Tod dreier Babys: Debatte um politische Konsequenzen

Tod dreier Babys: Debatte um politische Konsequenzen
Mangelnde Standards oder tragischer Einzelfall - durch den Tod von drei Babys in Mainz steht die Hygiene an deutschen Krankenhäusern im Fokus. Gesundheitsminister Rösler will das Thema bei einer Konferenz mit seinen Fachkollegen aus den Ländern angehen.
25.08.2010
Von Andrea Barthélémy

Nach dem Tod dreier Babys im Mainzer Uniklinikum ist eine Debatte über die politischen Konsequenzen aufgeflammt. Es fehle an Hygienestandards, kritisierte der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach Krankenhäuser und Bundesländer. "Offenbar müssen erst Leichen auf der Straße liegen, bis einige Bundesländer aufwachen und ihrer Verantwortung gerecht werden", sagte Lauterbach dem "Kölner Stadt-Anzeiger" (Mittwoch). Den drei Säuglingen, die an schweren Vorerkrankungen litten, war eine mit Bakterien verunreinigte Infusionslösung gegeben worden. Als wahrscheinlich gilt, dass die Erreger beim Zusammenmischen in der Apotheke der Klinik in die Lösung gelangten.

Bisher gebe es in den meisten Ländern keinerlei verbindliche Hygienevorgaben für Kliniken, kritisierte Lauterbach weiter. In zahlreichen Häusern würden einfachste Regeln missachtet. Deshalb fordere die SPD-Bundestagsfraktion eine bundesweit verbindliche Hygieneverordnung für alle Kliniken.

Experten: Hygieneregeln und Standards ausreichend

Rudolf Henke, Vorsitzender der Ärztegewerkschaft Marburger Bund, warnte hingegen vor einer politischen Überreaktion. Es gebe keinen Mangel an Hygieneregeln und Standards, sagte Henke den "Ruhr Nachrichten" (Mittwoch). Zum Tod der Babys sagte er: "Hier scheint es sich um einen schrecklichen Einzelfall zu handeln." Ein Bundesgesetz sehe er nicht als notwendig an. "Kein Keim wird wegen eines bundesweiten Gesetzestextes sein Verhalten ändern."

Auch der Bundesverband Deutscher Krankenhausapotheker (ADKA) erachtet die Hygiene-Vorschriften in deutschen Klinikapotheken für ausreichend. "Ich halte die Sicherheitsstandards in Deutschland für sehr hoch", sagte ADKA-Geschäftsführer Klaus Tönne der "Leipziger Volkszeitung" (Mittwoch). "Das ist der erste schwerwiegende Zwischenfall, an den ich mich in den vergangenen 20 Jahren erinnern kann", sagte Tönne zu dem Fall in Mainz. "Ich kenne kein Krankenhaus, in denen die Sicherheitsstandards besser geregelt sind", sagte Tönne. "Die Apotheke der Universitätsklinik Mainz arbeitet auf einem sehr hohen und beispielhaften Niveau."

Am vergangenen Freitag war dort elf Kindern auf der Intensivstation eine verschmutzte Infusion verabreicht worden. Zwei Babys mit Herzfehlern starben am Samstag, das dritte, ein sehr junges Frühgeborenes, am Montagabend. Ob jeweils die Keime in der Infusionslösung den Tod verursachten, steht noch nicht fest.

Rösler will mehr Hygiene in Kliniken

Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) hat angekündigt, die Krankenhaus-Hygiene auf die Tagesordnung der Gesundheitsministerkonferenz von Bund und Ländern setzen zu wollen. Unterstützung erhielt er von der CSU. FDP- und CDU-Gesundheitsexperten setzen auf rasche bundesweite Regeln.

Die Bundesärztekammer forderte mehr Hygiene-Spezialisten an Krankenhäusern. "Es ist richtig, dass die Krankenhäuser Hygiene-Fachkräfte einstellen müssen, die immer Schwachstellen bei der Hygiene auf der Spur sind", erklärte Vizepräsident Frank Ulrich Montgomery der "Thüringer Allgemeine" (Mittwoch). "Es gibt ständig neue Analysemethoden, aber auch neue Technik, die unter die Lupe genommen werden muss."

Schleichende Gefahr durch Keime

Der Tod der Mainzer Säuglinge, für den vermutlich verkeimte Infusionen verantwortlich sind, wirft ein tragisches Licht auf ein Problem, das es in vielen deutschen Kliniken gibt: 500.000 bis zu einer Million Menschen erkranken dort jährlich an sogenannten Krankenhausinfektionen, schätzen Experten der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH). Bis zu 15.000 sterben nach Angaben der Berliner Universitätsklinik Charité sogar an den Folgen dieser Infektion. Häufig, aber längst nicht immer, sind Arzneimittel- resistente Erreger die Ursache. Bis zu ein Drittel der Krankenhausinfektionen wäre vermeidbar, sagen Hygiene-Fachleute.

Vor allem auf Intensivstationen ist das Problem mit den sogenannten nosokomialen Infektionen, die durch medizinische Maßnahmen auftreten, immens: "Rund vier Prozent aller stationären Patienten leiden an einer solchen Infektion. Auf Intensivstationen sind es sogar bis zu 15 Prozent", beschreibt Krankenhaushygieniker Prof. Markus Dettenkofer (Universität Freiburg).

In den meisten Fällen werden die Krankheitserreger von den Patienten selbst mitgebracht. Siedelten sie ursprünglich im Hals oder im Darm, so können die Keime durch eine Operation, einen Beatmungsschlauch oder eine Kanüle auch in die Wunde oder die Lunge gelangen - und den OP-geschwächten Körper durch eine Blutvergiftung (Sepsis) oder Lungenentzündung zusätzlich krank machen. In anderen Fällen springen diese Problemerreger auch auf unbelastete Patienten über.

Hauptüberträger: die Hand

Zwei Dinge sollten nach Ansicht von Prof. Petra Gastmeier vom Institut für Hygiene und Umweltmedizin der Charité nicht verwechselt werden: "Multiresistente Erreger, die eine spezielle Antibiotikabehandlung erfordern, machen nur zehn Prozent der Krankenhausinfektionen aus, andere Keime jedoch 90 Prozent." Deshalb ist eine bessere Hygiene das A und O im Kampf gegen die Krankmacher im Krankenhaus.

Etwa 80 bis 90 Prozent dieser Infektionen werden über die Hände übertragen, erläutert Frauke Mattner, Expertin für Krankenhaushygiene in der Deutschen Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie. Das gilt nicht nur für Deutschland. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat eine weltweite Kampagne für die Händehygiene im Krankenhaus aufgelegt. Dabei zeigte sich, dass das Klinikpersonal nur in etwa 30 bis 40 Prozent der Fälle ausreichend die Hände desinfiziere. Auch in Deutschland werde im Schnitt nur in rund der Hälfte der nötigen Fälle ausreichend auf die Händedesinfektion geachtet.

Unterschiedlich sind jedoch die Wege, die die Experten gehen wollen: Während am Charité-Institut seit Jahren ein bundesweites Überwachungsprogramm zu Krankenhausinfektionen (KISS) auf freiwilliger Basis läuft, fordert die DGKH eine staatliche Verordnung, die verbindlich die Festanstellung von Hygienefachpersonal vorsieht. Bislang gibt es sie nur in Berlin, Sachsen, Bremen, Nordrhein-Westfalen und dem Saarland.

"Die Einhaltung der Hygienestandards muss wirklich kontrolliert werden und zwar durch Fachpersonal, das ständig im Haus ist und den anderen auf den Wecker geht, weil es immer wieder nachhakt. Aber daran wird derzeit in Krankenhäusern gerne gespart, gerade weil kein Zwang da ist", kritisierte DGKH-Sprecher Klaus-Dieter Zastrow in einem dpa-Interview.

Charité-Professorin Gastmeier hält dagegen, dass die freiwillige KISS-Teilnahme bei den 1.000 teilnehmenden der rund 2.000 Kliniken in Deutschland die Zahl der Infektionen um bis zu 30 Prozent gesenkt habe. "Und das allein, weil die Kliniken sich mit den Zahlen der anderen vergleichen können." bessere Hygiene anstoßen zu wollen. Maßnahmen und Kontrollen seien jedoch Sache der Bundesländer.

dpa