Hoffnungsträger Windkraft ist kein Selbstläufer

Hoffnungsträger Windkraft ist kein Selbstläufer
Alle reden derzeit über Atom - aber selbst Umweltminister Röttgen sieht in der Windkraft den Hoffnungsträger in der Energiepolitik. Doch gerade auf hoher See machen Probleme den Ausbau schwierig.
17.08.2010
Von Wolfgang Heumer

Eine kräftige Meeresbrise soll zur treibenden Kraft für die Energieversorgung in Deutschland werden. "Bis Ende 2020 werden auf hoher See Windmühlen mit zehn Gigawatt Leistung installiert sein", schätzt der Geschäftsführer der Windenergieagentur Bremerhaven (WAB), Ronny Meyer, die rund 200 der wichtigsten Firmen und Institutionen der Offshore-Windindustrie vertritt.

Das entspräche der Leistung von etwa 15 konventionellen Kraftwerken. Doch noch hat die Windenergiebranche Schwierigkeiten, im tiefen Wasser Fuß zu fassen. Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) macht deswegen Druck. Ende 2011 müssten mindestens zehn Windparks im Bau sein. Während an Land vielfach Kommunen mit eigenen Windparks die Kasse aufbessern und sich von einer zentralen Strom- Versorgung unabhängiger machen, engagieren sich die großen Konzerne vor allem bei Offshore-Projekten, da die Windleistungen größer sind.

Infrastruktur fehlt noch, Technik macht Probleme

Im Jahr 2009 wurden in Deutschland laut Bundesumweltministerium 952 neue Windenergieanlagen errichtet. Damit waren Ende 2009 insgesamt 21.164 Windkraftanlagen mit einer elektrischen Leistung von 25,7 Gigawatt installiert - bis Ende Juni ist die installierte Leistung weiter 26,3 Gigawatt gestiegen. Um den Ausbau in Deutschland auf hohem Niveau aufrecht zu erhalten, wird neben dem Austausch älter Anlagen an Land durch neuere und leistungsstärkere Windräder (Repowering) vor allem auf den Ausbau auf See gesetzt.

Knapp 20 Rotoren ragen derzeit als Hoffnungsträger in den Himmel über Nord- und Ostsee. Die Wirklichkeit ist damit noch weit von jenem Wald von Windmühlen entfernt, den fantasievolle Vordenker der Branche bereits für die Mitte dieses Jahrzehnts angekündigt hatten. "Wir müssen noch jede Menge Erfahrungen sammeln; außerdem gibt es die Bau erforderliche Infrastruktur noch gar nicht in der notwendigen Fülle", sagt der Sprecher des Energieversorgers EWE, Christian Blömer.

Das in Relation kleine Stromunternehmen aus dem niedersächsischen Oldenburg ist größter Anteilseigner des Versuchswindparks "alpha ventus". Rund 45 Kilometer nordwestlich von Borkum erproben EWE sowie die Konzerne Eon und Vattenfall die Stromerzeugung auf hoher See. "Erstmals wurden Windkraftanlagen in 40 Meter tiefem Wasser errichtet", beschreibt Blömer eine der Besonderheiten.

Von Anfang hatten die Projektverantwortlichen mit erheblichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Erst verzögerte schlechtes Wetter den Baubeginn um Monate. Dann mussten sechs der zwölf Fünf-Megawatt- Windräder nach dem Projektstart wieder abgeschaltet werden: "Je tiefer das Wasser, desto größer werden die Probleme", meint Blömer.

Besonders die Wartung ist mitten im Meer schwierig

Kleine Ursache, große Wirkung: Gleitlagerschalen in den Getrieben dehnten sich um Bruchteile von Millimetern stärker aus als berechnet. Weil sie nicht vor Ort ausgetauscht werden können, müssen nun die kompletten, jeweils 200 Tonnen schweren Gondeln an der Spitze der 120 Meter hohen Türme ausgetauscht werden. "Wie lange die Arbeiten dauern, hängt auch vom Wetter ab", betont Blömer.

Derartige Probleme kommen für WAB-Chef Meyer nicht unerwartet. "Die Offshore-Technologie bedeutet mehr, als eine herkömmliche Windmühle ins Wasser zu stellen" sagt Meyer. Welchen Belastungen die Anlagen ausgesetzt sind, ist besonders deutlich auf dem Rotorenblatt-Prüfstand des Fraunhofer-Institutes für Windenergie und Energiesystemtechnik (IWES) in Bremerhaven zu beobachten.

Die 60 Meter langen Rotorblätter werden dort mit bis zu 50 Tonnen Gewicht belastet, so dass sich die Spitze bis zu 17,50 Meter Richtung Hallenboden verbiegt. Die Belastung entspricht der Maximalkraft, die eine Orkanböe auf das Blatt ausüben kann. "Gebrochen ist noch kein Rotorblatt", versichert Versuchsleiter Falko Bürkner. Ähnlich schwerwiegend sind die finanziellen Lasten der Offshore-Technologie: Die Anlagen kosten mit rund 2,5 Millionen Euro pro Megawatt Leistung bis zu vier Mal so viel wie herkömmliche Landanlagen.

Windkraft-Anlagen sind Exportschlager - China hat die Nase vorn

Ein Windpark auf hoher See mit 80 Windrädern stellt deshalb schnell eine Milliarden-Investition dar. "Die Finanzierungsprobleme haben bisher die Realisierung der Parks entscheidend verzögert", räumt der frühere baden-württembergische Wirtschaftsminister Walter Döring ein.

Als stellvertretender Vorstand der Windreich AG sammelt Döring derzeit Kapital für den Windpark Global Tech I, mit dem mehrere kommunale Energieversorger aus Süddeutschland in das windige Geschäft auf der Nordsee einsteigen wollen. Für mindestens ein Drittel der Parkkosten müsse Eigenkapital vorhanden sein, fordert Döring: "Das ist ganz wichtig für die Glaubwürdigkeit der noch jungen Branche." Dennoch trauen die Banken dem neuen Markt nicht so recht. Um ihre Bedenken zu zerstreuen, will Bundesumweltminister Norbert Röttgen Bundesbürgschaften in Milliardenhöhe bereitstellen lassen. Windpark-Betreibern der ersten Stunde winkt zudem der so genannte Sprinterbonus. Bis 2015 realisierte Windparks erhalten zwölf Jahre lang 15 Cent garantierter Einspeisevergütung pro Kilowattstunde, für später realisierte Parks gibt es nur noch 12 Cent.

Unabhängig vom Einsatz an Land oder auf See gelten Windkraft-Anlagen als Exportschlager auf einem Wachstumsmarkt - besonders China legt hier stark zu. Deutschland sei führend in der Entwicklung, argumentiert Röttgen: "Wir dürfen nicht den Fehler wie bei anderen Entwicklungen machen und anderen das Geschäft überlassen."

Wie groß der Kuchen ist, haben die US-Wissenschaftler Mark Z. Jacobsen und Mark A. Delucchi ausgerechnet: Um 51 Prozent des weltweiten Energiebedarfes zu decken, wären 3,8 Millionen Windkraftanlagen jener Größenordnung erforderlich, von denen bislang nicht einmal 20 in Nord- und Ostsee stehen.

dpa