Minus zwei Prozent: Die Gesundheitsreform schlägt hart zu Buche

Minus zwei Prozent: Die Gesundheitsreform schlägt hart zu Buche
Philipp Röslers Gesundheitsreform sieht vor, die Krankenkassenbeiträge zu erhöhen und den Kassen selbst gewählte Zuzahlungen zu erlauben. Das stellt nicht nur die Normalverdiener auf die Probe, für die die Reform richtig teuer wird. Auch die Lage der Hartz-IV-Empfänger ist ungeklärt. Zwar plant die Regierung einen Sozialausgleich, sobald der Zusatzbeitrag zwei Prozent des Bruttoeinkommens des Versicherten übersteigt - faktisch bedeutet das aber bis jetzt eine Hartz-IV-Kürzung um zwei Prozent.
16.07.2010
Von Katharina Weyandt

Petra H. (49) aus Chemnitz ist das Kopfrechnen gewohnt. Seit beim Verwaltungsstellenabbau auch ihre Stelle dran war und sie trotz diverser Umschulungen Hartz IV-Empfängerin wurde, zählt sie genau mit. "Alles wird teurer, die Energiekosten und wenn ich einkaufen gehe. Auch wenn das alles Eurobeträge im einstelligen Bereich sind, das läppert sich. Und wenn jetzt wieder die Verkehrsbetriebe ihre Preise erhöhen...", sie seufzt. "Das ist mitunter ganz schön hart." Auch die zehn Euro Praxisgebühr bei Arztbesuchen und notwendige Zuzahlungen bei Medikamenten sind kein Pappenstiel.

Erst wenn ihre gesammelten Quittungen zwei Prozent ihrer Einkünfte aus dem Regelsatz übersteigen, konkret die Summe von 83,28 Euro, kann sie sie bei der Krankenkasse einreichen und für den Rest des Jahres die Befreiung beantragen. So weit kam sie bisher nicht: "Ich habe mich da schon sehr zurückgehalten."

Sozialhilfeempfänger können befreit werden

Zuzahlen müssen auch die Sozialhilfeempfänger in Heimen – also die alten Menschen, deren Einkünfte trotz Pflegeversicherung nicht für den Heimplatz ausreichen. Nachdem 2004 bei der Einführung dieser Zuzahlungsregel das Sammeln der Quittungen und Einreichen eine riesige bürokratische Hürde war, hat es sich jetzt eingespielt: Die Pflegebedürftigen müssen als chronisch Kranke nur ein Prozent selbst tragen, das zieht ihnen die Sozialhilfe monatlich direkt vom Taschengeld ab. Dann bekommen sie wie andere Rentner, die ständig in ärztlicher Behandlung sind, einen Befreiungsausweis. Bettina Hillmer kennt die Verhältnisse genau. Sie arbeitet seit Jahren in der Verwaltung im Hamburger Heinrich-Sengelmann-Haus, in dem die Hälfte der 90 Bewohner Sozialhilfe beziehen.

Ob Zahnarzt, Brille, Hörgerät – über die Sozialhilfe, gute Beziehungen zu den Lieferanten und als Härtefall für die Krankenkasse erhalten die Bewohner das Nötigte, so dass der um ein Prozent gekürzte monatliche Barbetrag - 93,56 Euro - wirklich nur Taschengeld für persönliche Bedürfnisse sei. Selbst Kleidergeld könnte das Heim zwei Mal jährlich beim Sozialamt beantragen, "das muss man eben wissen." Bloß die Raucher hätten Probleme, mit dem Geld auszukommen, erlebt sie, und erklärt, wie ihnen beim Einteilen geholfen wird. Ihr Eindruck: "Es geht einem nicht schlecht als Sozialhilfeempfänger. Ich muss als Alleinerziehende mit 1.200 Euro monatlich beim Zahnarzt wesentlich mehr zuzahlen." Bei Hartz-IV-Empfängern sieht das allerdings anders aus.

Hartz-IV-Empfänger sollen die Kasse wechseln

Denn die neuen Zusatzbeiträge, die erste Kassen in diesem Jahr verlangten, wurden nur bei Soziahilfeempfängern direkt vom Amt übernommen. Hartz IV-Empfänger sollten den Betrag noch oben drauf legen – obwohl ihr Regelsatz dafür nicht berechnet ist. Die Betroffenen könnten ja die Kasse wechseln, um diesen Kosten zu entgehen, so beschied die Bundesregierung im April auf eine Anfrage der Grünen. "Die Bundesregierung geht davon aus, dass im Jahr 2010 den Versicherten eine Vielzahl von Wahloptionen für Kassen ohne Zusatzbeiträge zur Verfügung stehen werden", hieß es.

Die DAK, welche als eine der ersten Kassen pro Mitglied seit Februar acht Euro erhebt, habe von "einer besonders großen Gruppe" von Hartz IV-Empfängern Kündigungen erhalten, berichtet Pressesprecher Jörg Bodanowitz. Wenn sie bei der DAK allerdings erfahren hätten, dass der Betreffende von den Behörden direkt zum Kassenwechsel aufgefordert worden sei, und zwar unter Androhung von Leistungskürzungen, dann hätten die DAK-Juristen "mit sanftem Nachdruck" und mit Erfolg dies rechtswidrige Verfahren gestoppt. Besonders in Ostdeutschland sei das häufig vorgekommen.

Zuzahlungen sind eine Säule der Reform

Für Gesundheitsminister Philipp Rösler spielen die Zuzahlungen eine zentrale Rolle in der Finanzierung der Krankenkassen. Es ist daher durchaus möglich, dass es in absehbarer Zeit keine Kasse ohne Zuzahlung gibt, auch wenn die Bundesregierung es sich anders wünscht.

Was wird also, wenn das "Krankenkassen-Hopping" nichts mehr bringt, wie die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen Biggi Bender es nannte? Soll dann der Hartz IV-Regelsatz noch einmal um zwei Prozent für den Zusatzbeitrag verringert werden, bis - wie bei jedem - der Sozialausgleich greift? Während das Gesundheitsministerium zu dieser Frage tagelang schweigt, gibt Ursula von der Leyens Sprecher Christian Westhoff sofort Auskunft: "Das wird noch auszubuchstabieren sein". Das Ministerium für Arbeit und Soziales rechnet damit, dass die Regierung vor dem Inkrafttreten der aktuellen Gesundheitsreform die Regelung für Hartz IV neu klärt.

Und Klärungsbedarf besteht, kritisierte auch Diakonie-Präsident Klaus-Dieter Kottnik. "Nach dem Sparpaket ist das die zweite sozial ungerechte Maßnahme der Bundesregierung", sagte er nach Veröffentlichung der Pläne. Der DAK-Versicherten Petra H. haben die acht Euro übrigens bisher noch kein Loch ins Portemonnaie gerissen. Denn im Interview fällt ihr auf einmal ein: "Ich bin ja umgezogen und habe das bei der DAK noch gar nicht gemeldet!" Und Jörg Bodanowitz schimpft über den "bürokratischen Irrsinn", dass die Kassen diese Beträge bei 54 Millionen Versicherten einzeln eintreiben müssten. Es besteht also noch Klärungsbedarf.


Katharina Weyandt ist freie Autorin in Frankfurt.