Schwanger in Kabul: Nichts geht ohne Bestechung

Schwanger in Kabul: Nichts geht ohne Bestechung
In Afghanistan bedeutet eine Schwangerschaft Lebensgefahr: Zehntausende Frauen sterben dort jährlich mangels ärztlicher Versorgung. Es sei denn, sie haben Geld.
08.07.2010
Von Agnes Tandler

"Du bist nicht schwanger, du hast einfach zu viel gegessen", fuhr eine Schwester im Krankenhaus Zarmina an, als sie vor drei Monaten hochschwanger mit Wehen eingeliefert wurde. Zarmina arbeitet als Hebamme in der afghanischen Hauptstadt Kabul. "Wenn du niemanden in der Klinik kennst und kein Geld hast, kümmert sich hier keiner um dich", sagt die 30-Jährige. "Ich musste sogar 1.500 Afghanis (etwa 30 US-Dollar) zahlen, damit sie mich mit dem Neugeborenen nach Hause entlassen haben."

Auch über acht Jahre nach dem Sturz der Taliban ist das Gesundheitssystem des bettelarmen Landes kaum entwickelt. Etwa 26.000 Frauen sterben in Afghanistan pro Jahr an den Folgen von Schwangerschaft oder Geburt. Auf 100.000 Geburten kommen 1.600 Todesfälle. In abgelegenen Gebieten wie Badakshan, im Nordosten des Landes, liegt die Rate noch höher. Damit hat das Land die weltweit zweithöchste Sterblichkeitsrate von Müttern - nur Sierra Leone schneidet noch schlechter ab.

Lebensrettender Kaiserschnitt

Die Hauptgründe dafür sind Blutungen oder Komplikationen beim Geburtsverlauf, wo nur ein Kaiserschnitt das Leben von Mutter und Kind retten könnte. Denn immer noch bringen um die 80 Prozent der Frauen in Afghanistan ihre Kinder ohne jede professionelle Hilfe zur Welt. Die anderen bekommen Hilfe einer Hebamme. Während der Schwangerschaft wird nur ein Drittel der Frauen medizinisch versorgt, nur sehr wenige haben Zugang zu einer Klinik.

Eine Folge davon ist auch die hohe Säuglings- und Kindersterblichkeit des Landes. Jedes vierte Kind stirbt, bevor es fünf Jahre alt wird. Selbst in den beiden großen Geburtskliniken in der Hauptstadt Kabul werden die Frauen binnen zwei oder drei Stunden nach der Niederkunft entlassen. Zu früh, um den Gesundheitszustand des Neugeborenen festzustellen, sagt die Ärztin Noor Khanum, die in Kabul ein Hebammen-Hilfsprojekt für die Schweizer Organisation "Terres des Hommes" leitet.

Bevölkerung verzehnfacht

"Die Krankenhäuser sind besser geworden, sauberer, mit modernerer Ausstattung, aber das Personal hat sich nicht verändert", klagt die Hebamme Zarmina. Auch sie arbeitet im Auftrag von "Terres des Hommes". Sie betreut Frauen und Neugeborene in Slums und Flüchtlingslagern der afghanischen Hauptstadt. "90 Prozent der Bevölkerung von Kabul sind arm", sagt die Ärztin Khanum. Durch den Zustrom von Flüchtlingen und Arbeitssuchenden ist die Stadtbevölkerung in den letzten Jahren explodiert. Inzwischen sollen über fünf Millionen Menschen hier leben, 2001 hatte Kabul kaum eine halbe Million Einwohner.

Zarmina geht mit ihren 27 Kolleginnen in den armen Vierteln Kabuls von Tür zu Tür, um Schwangere zu besuchen und zu beraten. Oft sei es schwer, die Frauen zu überzeugen, zur Geburt in eine Klinik zu gehen. "Die Mehrzahl der Ehemänner erlaubt das nicht", sagt Zarmina. Viele Frauen hätten zudem schlechte Erfahrungen in den Kliniken gemacht.

Denn ohne Bestechung läuft nichts. "Ich habe neulich eine Nachbarin zur Entbindung ins Krankenhaus gebracht. Sogar mich haben sie nach Geld gefragt", erzählt Khanum. Schwestern und Ärzte verdienen sich so ein Zubrot zu ihrem schlechten staatlichen Gehalt. Kann eine Familie nicht zahlen, werde eine Frau auch schon mal geschlagen, gekniffen, schikaniert oder gleich aus der Klinik geworfen, berichtet Zarmina. "Wenn die Familie der Frau frische Wäsche in die Klinik bringt, fordert der Wächter noch Geld von den Leuten, um die Anziehsachen zu überbringen", erzählt die Hebamme. "Und die Erwartungen werden immer höher."

epd