Tibetischer Buddhismus: Schatten über dem Gottkönig

Tibetischer Buddhismus: Schatten über dem Gottkönig
Meistens sagt er freundliche Sachen über Frieden und Toleranz. Für seine Anhänger sind es die Worte eines "Gottes zum Anfassen". Seine Kritiker halten ihn für einen rückwärtsgewandten Autokraten. Und wie ist der Dalai Lama wirklich?

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Ein quadratisches Gestell umrahmt die Gläser seiner Brille. Die Augen sind verzerrt zu kleinen Schlitzen, weil er so viel lacht und wenn er nicht lacht, dann lächelt er. Der 14. Dalai Lama, Friedensnobelpreisträger, Seine Heiligkeit: Er wird geliebt und verehrt. Und, wie es sich für einen ungeklärten politischen Konflikt gehört, er wird auch gehasst und beschimpft, seine Autorität und Integrität wird in Frage gestellt.

In erster Linie von der chinesischen Regierung. Vor über 50 Jahren floh der Dalai Lama aus Tibet und lebt seitdem im Exil in Indien. Trotzdem besteht er auf seinen Status als geistlicher und weltlicher Führer seines Volkes. Die chinesische Regierung wünscht ihm dafür den Tod, nennt ihn einen "gefährlichen Separatisten". Die Chinesen machen ihn für die immer wieder aufkommenden Unruhen verantwortlich. Der Dalai Lama hingegen sagt, Tibet solle Teil von China sein. Aber ein autonomer Teil: Geschützt werden solle die religiöse, kulturelle und sprachliche Identität.

Er zeigt sich gerne mit Prominenten

1951 annektierte das kommunistische China das "Dach der Welt", Tibet. Das Land im Himalaya, die höchstgelegene bewohnbare Region der Erde. Der Himmel ist so nah - und der Frieden nach wie vor so fern wie der Dalai Lama einer Rückkehr in das Land seiner Jugend. Dennoch ist er beständig auf PR-Tour für sein Volk. Politiker und Schauspieler zeigen sich gerne mit ihm, denn er ist ein Mensch, der die Massen anzieht, für viele ein Vorbild. Und auch er zeigt sich gerne mit den Prominenten, denn sie haben ihm bereitwillig die Tür geöffnet in ihre Länder, wo er die Herzen und Portemonnaies der Menschen gewonnen hat, für seine Mission für Frieden und Menschenrechte und für seine Religion.

Ernsthafte Versuche westlicher Staaten, sich bei den Chinesen für das annektierte Tibet einzusetzen, gab es jedoch nicht. Stabile wirtschaftliche Beziehungen mit China waren schon immer wichtiger. Und so gibt es lediglich ab und zu kleine diplomatische Verwerfungen, wie im Februar 2010, als US-Präsident Barack Obama den Dalai Lama empfing und die Chinesen ihm daraufhin vorwarfen, er habe damit die Gefühle des chinesischen Volkes verletzt.

"Frauen als Menschen zweiter Klasse"

Buddhismus und Dalai Lama lösen bei vielen Menschen ein positives Lebensgefühl aus. Die schönen Seiten des Buddhismus haben im Westen schon längst einen Lebensstil geprägt. Der Hype um den Dalai Lama verblende Medien und Menschen, sagen dazu nicht nur die Chinesen, sondern auch gläubige Christen und Religionskritiker. Die einen wohl aus Angst, dass ihnen die Schäfchen davonlaufen. Außerdem sind sie empört, dass sie selbst ihre eigene dunkle Vergangenheit und konservativen Einstellungen immer wieder unter die Nase gerieben bekommen und der Buddhismus von solchen Angriffen verschont bleibt. Die anderen aus der grundlegenden Skepsis gegenüber Religionen und ihren Institutionen allgemein.

Die christliche Nachrichtenagentur Idea schrieb anlässlich der Deutschlandreise des Dalai Lama 2009:
"(…) viele schauen nicht hinter die glänzende Fassade (…) und sehen hinter dem Buddhismus nicht die Religion, die alles andere als Frieden schafft. (…) Die deutschen Fans scheinen auch nicht zu wissen, (…) dass Frauen als Menschen zweiter Klasse angesehen werden? Aber fernöstliche Bräuche und Religionen haben trotzdem einen Reiz, sind derzeit einfach angesagt."

Gewalttätige Vergangenheit

Wiederholt hat der Dalai Lama gesagt, dass seine Nachfolge auch eine Frau antreten könnte. Dazu sagt das Ehepaar Victor und Victoria Trimondi: Alles nur Koketterie. Nachdem Victor Trimondi auf seiner spirituellen Suche in den 1980er Jahren mehrere Veranstaltungen mit dem Dalai Lama organisiert hatte, damals noch unter dem Namen Herbert Röttgen, gehört er heute zusammen mit seiner Frau Victoria zu den größten Kritikern des tibetischen Oberhaupts. Die Trimondis haben 1999 ein Buch mit Namen "Der Schatten des Dalai Lama" herausgebracht. Es geht um die gewalttätige Vergangenheit des tibetischen Buddhismus, einer Religion, die im Westen vor allem mit Frieden verbunden wird. Und um den gegenwärtigen 14. Dalai Lama.

In der Einleitung des Buches schreiben die Trimondis: "Wenn wir vom 'Schatten' des Dalai Lama sprechen, dann meinen wir damit eine mögliche dunkle, düstere und 'schmutzige' Seite in seiner Person und in seinem politisch-religiösen Amt im Gegensatz zu der reinen und glänzenden Gestalt, in der er als der 'größte lebende Friedensheld unseres Jahrhunderts' das Bewusstsein von Millionen verzaubert."

"Spirituelle Verschwörungstheorie"

Dass der Dalai Lama für die Demokratie schwärme, sei nur ein Lippenbekenntnis, schreiben die Trimondis. Denn der "Gottkönig", wie sie spöttisch den Überschwang der Anhänger aufgreifen, sei immer noch ein nicht abwählbares Staatsoberhaupt, oberster weltlicher Chef von sieben Ministerien und einem Premier. Unter den Exiltibetern gebe es lediglich ein rudimentäres demokratisches Selbstverständnis.

Das Buch der Trimondis war und ist umstritten. In einer Analyse des Wissenschaftlers Jens Schlieter, am Institut für Religionswissenschaften in Heidelberg veröffentlicht, läuft das Buch der Trimondis unter "Spiritueller Verschwörungstheorie". Die Autoren legitimierten ihre Kritik vor allem durch eigene spirituelle Erfahrungen, schreibt Schlieter. Sprich: eigene spirituelle Enttäuschungen. Zudem legen die Trimondis die Schriften des tibetischen Buddhismus wortwörtlich aus.

Recht haben die Trimondis sicherlich damit, dass der Westen sich nur die Sahnehäubchen des Buddhismus pickt und weithin verschwiegen wird oder Unkenntnis darüber herrscht, dass auch der Buddhismus seine Schattenseiten hat. Die wahre vergangene und gegenwärtige Praxis in traditionell buddhistischen Kulturen wird im Westen kaum zur Kenntnis genommen. Sich die grausame Vergangenheit und unerfreuliche Gegenwart der eigenen Kultur zu vergegenwärtigen, ist für viele wohl schon Aufgabe genug.

Die Wahrheit über den Dalai Lama

Die Integrität des 14. Dalai Lama könne man deshalb doch nicht in Frage stellen, sagt Bettina Hilpert vom Dachverband "Deutsche Buddhistische Union" in München. "Die Trimondis diffamieren den Dalai Lama." Sie sei keine Anhängerin des tibetischen Buddhismus und stehe dem Dalai Lama neutral gegenüber. Aber die Kritik am geistlichen Oberhaupt der Tibeter könne sie trotzdem nicht verstehen. "Es gibt immer Leute, die es nicht ertragen, herausragenden Menschen zu begegnen."

Wie sieht sie aus, die Wahrheit über den Dalai Lama? Albert Einstein sagte einmal zu Fragen solcher Natur: "Wer es unternimmt, auf dem Gebiet der Wahrheit und der Erkenntnis als Autorität aufzutreten, scheitert am Gelächter der Götter." Dem "Gottkönig" würde das sicherlich gefallen. Schließlich ist er es, der Freund und Feind ins Gesicht lächelt. Fest steht jedenfalls: Der Dalai Lama ist ein Mann, der sein Leben lang unermüdlich sein Ziel verfolgt, die Hoffnung nicht aufgibt, auch wenn es hoffnungslos scheint. Und der vielen Menschen ein Lächeln ins oft alltagsmüde Gesicht zaubert.


Lilith Becker hat die Evangelische Journalistenschule besucht und arbeitet als freie Journalistin in Frankfurt am Main. Zurzeit absolviert sie ein Praktikum in der Redaktion evangelisch.de.