Kirchenbilder, Social Media und #DigitaleKirche (Teil 2)

Kirchenbilder, Social Media und #DigitaleKirche (Teil 2)
Wie denken Menschen sich die Kirche in einer vernetzten Welt? Und was ist das Gegenteil von einer Pyramide?

Was ist das Gegenteil einer Pyramide? Wenn man die gleichen Maßstäbe anlegt, dann ist es eine umgekehrte Pyramide. Das ist das genaue Gegenteil, und wenn man beide Spitze an Spitze aufeinanderstellt, gibt's in der Mitte einen Konfliktpunkt.

In der vergangenen Woche habe ich ein solches Bild gewählt, um darzustellen, dass ich Kirche ganz anders priorisieren würde als Altbischof Wolfgang Huber, der in seiner Kritik an Social Media ein ganz anderes Kirchenbild aufmachte als ich es wahrnehme. Ein wesentlicher Streitpunkt dabei ist die Frage, welche Begegungs- und Kommunikationsorte besonders relevant für Kirche sind. Altbischof Huber mag das anders sehen, aber Social Media sind ganz entscheidend für die Wirksamkeit von Kirche. (Und ich möchte ihn dazu auch noch direkt befragen.)

Das Bild hat wie gewünscht gute Diskussionen ausgelöst, deswegen gibt es heute das Update, Version 2 sozusagen. Das ist alles nicht neu, Diskussionen um Kirchenbild und wie sie sein soll und kann sind Jahrzehnte alt. Trotzdem ist es wichtig, dass wir Kirche in einer digitalisierten Gesellschaft nicht in Rahmenbedingungen denken, die heute nicht mehr gelten.

Ein paar Gedanken aus den Kommentaren auf evangelisch.de und von Twitter will ich hier weiter diskutieren, weiter unten habe ich dann die Weiterentwicklung der Grafik platziert. Spoiler: Es ist keine Pyramide mehr. :-)

Wofür stand die Pyramide?

Nordlicht und SG aus E haben in den Kommentaren beide gefragt: Wofür steht in meiner Pyramidengrafik eigentlich die X-Achse, also die Breite des Dreiecks? Für mich ist das die gefühlte Wichtigkeit für die Existenz und das Wesen von Kirche. Weil Wolfgang Huber den Sinn von Social-Media-Aktivitäten so pauschal infrage stellte, habe ich mir im Umkehrschluss die radikale Frage gestellt: Ohne was könnte ich mir "Kirche" am ehesten vorstellen? Da landete der klassische Kirchenraum dann in der niedrigsten Priorität. Gleichzeitig passte die Pyramidenform ganz gut dazu, dass die "Basis" (nämlich der Kontakt zu vielen) den Rest trägt.

Aber es ist völlig richtig, dass das auch wieder eine hierarchische Betrachtung ist, die dem Wesen von Kirche nicht gerecht wird. Carola Scherf (@PastorCara) hat das auf Twitter als erste angemerkt, und sie hat mit allen anderen, die diesen Gedanken hatten, recht. Die Version 2 (weiter unten) ist deshalb ein Kreis.

Eigene Social-Plattformen von Landeskirchen?

In den Kommentaren zum Blogeintrag fragte "De Benny" inwieweit soziale Plattformen, die von Firmen gesteuert werden (und Twitter und Facebook sind natürlich Firmen) tatsächlich "Öffentlichkeit" sind. Seine Idee: Eigene Mastodon-Instanzen für Landeskirchen und andere eigene Plattformen.

Letzteres ist nur eine gute Idee, wenn eine spezifische Community damit aufgebaut werden soll, und wenn die Zielgruppe sich tatsächlich auf eine solche eigene Nischenlösung einlassen will. Wir haben unsere eigenen Erfahrungen damit gemacht, wenn eine Community mit einem Ziel aufgebaut werden soll, das die Community selbst gar nicht will. Solche eigenen Plattformen von oben einzurichten funktioniert in der Regel nur am Arbeitsplatz, wo Menschen ein bestimmter Kommunikationsort angewiesen werden kann, und selbst da klappt das meistens nicht. Für Kirche ist es viel entscheidender, dort zu handeln, wo die Menschen schon sind, die sie ansprechen möchte. Ein Mindestmaß an Technik brauchen wir natürlich immer selbst, aber es ist Ressourcenverschwendung, Services und Plattformen zu replizieren, die andere schon deutlich besser gebaut haben. Der Aufwand, Nutzer*innen davon zu überzeugen, eine kircheneigene Plattform zu verwenden, steht in keinem Verhältnis dazu, sich auf Drittplatformen zu bewegen.

Gerade Twitter, Facebook (inkl. Instagram) und YouTube sind inzwischen so groß, dass sie definitiv nicht mehr nur als eigene Teilöffentlichkeiten gelten können. Dort sind so viele Menschen aktiv, dass sie innerhalb dieser Plattformen auch wieder eigene Teilöffentlichkeiten bilden. Das können Hunderte sein wie in unserer evangelisch.de-Facebook-Gruppe "Dein Glaube". Es können Hunderttausende sein, die sich unter #metoo und anderen Hashtags versammeln. Es können Millionen sein, die Katy Perry oder Barack Obama auf Twitter folgen. Das sind dann auch Teilöffentlichkeiten, die sich flexibel bilden und auflösen können; aber ja, ich zähle die großen Plattformen als wesentlichen Teil der öffentlichen Sphäre, allerdings auch nicht als einzigen Teil. Öffentlichkeit gibt es natürlich auch außerhalb der sozialen Medien.

Warum machen wir das eigentlich alles, diese "Kirche"?

Konrad Neuwirth (@Konrad) ergänzte auf Twitter die Frage nach dem Organisationsziel. Er hatte die Pyramide so gelesen, dass das Ziel des ganzen Aufbaus sei, Menschen in physikalische Kirchenräume zu bringen. So hatte ich es zwar nicht gemeint, aber die Frage nach dem Organisationsziel ist natürlich trotzdem ganz wichtig. Warum sind wir Christen, warum möchten wir uns als Kirche organisieren, was steht am Ende als Ziel dieses Zusammenschlusses? Darin steckt eine theologische Diskussion, die immer wieder geführt werden muss.

Ich kann aber benennen, was für mich Kirche im Kern ausmacht. Das - ich weiß es jetzt schon - ist den "Christus, Christus!"-Rufern wahrscheinlich zu banal und säkular. Trotzdem hier die knappe Zusammenfassung, was für mich Kirche ist und wofür sie da ist, in meinen Worten:

Kirche ist dort, wo Menschen Kirche sein wollen. Die Aufgabe ist, gemeinsam mit anderen Menschen auf der Basis der Nachfolge Jesu Christi die Welt zu einem besseren Ort für alle Menschen zu machen (oder es zumindest zu versuchen) und davon zu erzählen, so dass mehr Leute mitmachen.

Kirchenräume, nächste Version

Wie sieht also nach den Diskussionen die nächste Version meiner Grafik von den Kirchenräumen aus? Ich sagte es schon: Es ist ein Kreis. Ich habe die Zielgruppen der Hochverbundenen, Interessierten und Allen wieder ausgeblendet, unter anderem wegen des völlig berechtigten Hinweises von @marthori, dass gerade das Gemeindehaus ganz oft ein absoluter Insider-Ort ist, manchmal mehr als die Kirche.

Deshalb gibt es jetzt auch den Punkt ?. Kirche kann einem nämlich an ganz unerwarteten Orten begegnen.

Grafik zu Kirchenräumen

Wichtig ist auch für jeden einzelnen Menschen, der mit Kirche in Kontakt kommt, welchen Stellenwert dieser Raum für diesen Menschen hat. Für Wolfgang Huber ist Social Media offensichtlich ein besonderer Raum, kein Alltagsraum. Für Konfirmanden, die kurz vor der Konfirmation stehen, ist das Gemeindehaus kein besonderer Raum mehr - für neue Konfirmanden vielleicht schon. Für eine Pfarrerin ist die Kirche ein Arbeisplatz, vielleicht immer ein besonderer Raum, aber sie geht anders damit um als ein Kirchenbesucher.

Aus den Anteilen, die diese unterschiedlichen Begegnungsräume für jede*n Einzelne*n einnehmen, und ob sie Alltags- oder Sonderraum sind, lassens sich sehr schnell unterschiedliche Profile bilden. Wer schon einmal mit "Personas" gearbeitet hat, kennt das: Prototypische Annahmen über Einzelpersonen, die zu Angebotsideen für ähnliche Gruppen führen sollen. Niemand hat 25 % seiner Kontakte mit Kirche (und Glaube) in jedem der vier Bereiche. Wenn ihr euch Gedanken macht, wie das bei euch aussieht, kommen dabei sicher sehr unterschiedliche Bilder raus. Das hilft dabei, zu visualisieren, dass Kirche für viele Menschen eben doch vor allem auf Social Media stattfindet, oder im Kirchenraum, oder anderswo; wie viele das jeweils sind, lohnt sich auch nach der KMU V noch weiter zu erforschen, denn daran hängt dann wieder die Frage, wie viel Energie und Ressourcen wohin fließen.

Das hier ist eine sehr raue Version solcher Aufteilungen (die dickere orange Linie hat keine Bedeutung, ich hatte nur gerade kein Photoshop parat):

Zusammenstellung von Begegnungsanteilen mit Kirche

Zum Weiterdenken: Auf welche Menschen könnte welche Grafik passen? Findet ihr euch irgendwo wieder, oder wie sieht das bei euch aus? Ich freue mich wirklich auf weitere Diskussionen dazu.

Vielen Dank für’s Lesen & Mitdenken!


Im Blog Confessio Digitalis schreibe ich meine Beobachtungen, Links und Interviews zu den Themen Digitalisierung, Digitale Kirche und digitalisierte Welt auf. Ich bin erreichbar auf Twitter als @dailybug.

P.S.: Leser*innen haben mich darauf hingewiesen, dass "Digitalis" auch der Name der Fingerhut-Pflanzen ist, die zu Gift verarbeitet werden können. Das lässt den Blogtitel "Confessio Digitalis" natürlich ein bisschen fies klingen. Andererseits behandelt man mit Digitalis-Präparaten auch Herzprobleme. Und dass das digitale Herz der Kirche besser schlägt, ist mir ein Anliegen. Deswegen lasse ich den Namen des Blogs so - nehmt es als Präparat!

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