Gestern, heute und morgen: Der alltägliche Wahnsinn

Gestern, heute und morgen: Der alltägliche Wahnsinn

Aufstehen, Essen, Arbeiten, Schlafen. Aufstehen, Essen, Arbeiten, Schlafen. Aufstehen, Essen, Arbeiten, Schlafen. Tag für Tag das gleiche Spiel. Immer die gleichen ausgetretenen Pfade, immer die gleichen alltäglichen Lasten. Das Karussell dreht und dreht sich – jedes Jahr schneller. Bloß nicht umschauen, sonst wird einem schwindelig. Also läuft man weiter. Und weiter. Und weiter. Bloß nicht anhalten. Bloß nicht nachdenken. So ist das Leben nun mal. Ein riesiges Karussell, das nie aufhört sich zu drehen. Oder?


Auf meinem Weg zur Uni saß ich jeden Tag mindestens zwei Stunden in der S- und U-Bahn. Hunderte von Menschen, die jeden Morgen, jeden Abend und zu jeder anderen Tageszeit von einer Station zur nächsten rennen, geistesabwesend aus dem Fenster starren oder im Sitzen schlafen. In den Gesichtern sah ich Erschöpfung, Lustlosigkeit, Verzweiflung, Unzufriedenheit. An manchen Tagen habe ich die Menschen um mich herum bewusst wahrgenommen und mir vorgestellt, was für eine Geschichte hinter diesen Gesichtern lebt. Aber an manchen Tagen war ich selbst eine von ihnen – und spulte mein alltägliches Programm ab.


Wie viele Menschen laufen jeden Tag aufs Neue die ausgetretenen Pfade ihrer alltäglichen Routine ab in der Hoffnung, dass bald die viel versprechende und alles ändernde Zukunft anbricht. Jetzt ist alles eintönig und unbedeutend, aber bald schon wird alles anders werden. Wer so denkt – und dabei muss ich mich leider auch selbst an die Nase fassen – nimmt dem Heute jegliche Bedeutung. Die Zukunft kann unserem Leben keine Tiefe geben – sie kann uns höchstens anspornen. Doch die Tiefe in unserem Leben entspringt aus dem, was wir aus dem scheinbar so „unbedeutenden“ Alltag machen. Aus dem, was wir aus unserer Routine, aus den lästigen alltäglichen Pflichten und aus den Menschen machen, die mit uns im Karussell unterwegs sind.


Und trotzdem bedeutet das nicht, dass wir uns mit unserer Routine abfinden müssen oder sollten. Sicher sind viele unserer alltäglichen Pflichten unumgänglich. Gewisse Strukturen gehören zum Leben dazu – und machen auch vieles einfacher. Gefährlich wird es jedoch immer dann, wenn wir ein ums andere Mal unsere abgetretenen Pfade ablaufen und dabei stupide auf den Boden starren. Auch wenn es uns oft unmöglich erscheint: Aus dem Karussell auszusteigen tut manchmal Wunder. Ich spreche da aus Erfahrung. Dazu muss es nicht immer gleich ein Urlaub sein. Schon ein oder zwei Stunden „Auszeit“ an einem ganz normalen Wochentag können einen neu beleben. Mit etwas Abstand betrachtet verlieren viele Dinge, die vorher lebenswichtig erschienen, an Bedeutung. Und wenn das Karussell zum Stillstand kommt, wundern wir uns wie bunt und klar die Welt ist. Gar nicht so diffus wie es schien. Wenn man immer wieder mal frische Luft einatmet (sprich: das Karussell von außen beobachtet), dann kann sogar die Fahrt in der S-Bahn belebend sein. Es gibt so vieles zu sehen, zu erleben und zu bewundern. Ich möchte nicht wie betäubt durchs Leben laufen. Die Fähigkeit wahrzunehmen, zu fühlen und zu staunen möchte ich mir nicht nehmen lassen – auch nicht vom alltäglichen Wahnsinn.


Wie geht es euch dabei? Kennt ihr das Gefühl, dass sich euer Leben immer schneller dreht und ihr alles nur noch verschwommen wahrnehmt?

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