Einsatz des Strafrechts gegen Klimakleber "politisch motiviert"

© dpa/Armin Weigel
Polizisten entfernen einen Aktivisten der "Letzten Generation" von einer Straße in Passau (Archivbild). Die strafrechtliche Bewertung der Aktionen von Klimaaktivisten wird unter Juristen derzeit diskutiert.
Jurist zu Klimaaktivisten
Einsatz des Strafrechts gegen Klimakleber "politisch motiviert"
An der Einstufung der Aktionen der "Letzten Generation" scheiden sich die Geister - am Vorgehen gegen die Aktivistinnen und Aktivisten aber auch. Der Frankfurter Jurist Singelnstein sieht einen politisch motivierten Einsatz des Strafrechts.

Der frühere Verfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle sieht bei den Klimaaktivisten, die sich auf Straßen festkleben, im historischen Vergleich keine extremen Ansätze. Verglichen mit Aktionen der Anti-Atom-Bewegung oder der Hausbesetzerszene "veranstalten die Straßenkleber heute harmlose Sandkastenspiele", sagte der Jurist und Hochschullehrer der "Rheinischen Post" (27.5.).

Die aktuellen Zeiten seien nicht besonders ideologisch geprägt, so Voßkuhle. Es gebe eher eine gewisse Orientierungslosigkeit. "Im Zeitalter der Globalisierung und Digitalisierung ist alles unübersichtlicher, komplexer und schneller geworden", erklärte er. "Man muss lauter werden, um sich in dem damit verbundenen Klangbild durchsetzen zu können." Voßkuhle war von 2010 bis 2020 Präsident des Bundesverfassungsgerichts.

Am 24.5. waren im Auftrag der Generalstaatsanwaltschaft München und des Bayerischen Landeskriminalamts in sieben Bundesländern Wohnungen und Geschäftsräume von Aktivisten der "Letzten Generation" durchsucht worden. Der Klimaschutzgruppe, die mit Aktionen wie der Blockade von Straßen für mehr Klimaschutz protestiert, wird die Bildung einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen. Das Vorgehen der Justiz ist umstritten.

Die Frage, ob die "Letzte Generation" eine kriminelle Vereinigung ist, ist nach Auskunft des Rechtswissenschaftlers Tobias Singelnstein ungeklärt. Aktivistinnen und Aktivisten der "Letzten Generation" übten einerseits legalen Protest aus, sagte der Professor der Frankfurter Goethe-Universität dem Evangelischen Pressedienst. Sie seien Teil einer sozialen Bewegung, die sich am politischen Meinungsbildungsprozess beteilige.

"Andererseits haben Teile dieser Bewegung auch Aktionsformen gewählt, die rechtliche Grenzen überschreiten", sagte der Jurist. Dazu gehöre Sachbeschädigung oder Nötigung. Ob friedliche Straßenblockaden eine strafbare Nötigung seien, werde ebenfalls in der Rechtswissenschaft diskutiert und müsse immer im Einzelfall geprüft werden.

Starke Ausweitung der Befugnisse

"Was wir gerade erleben, ist ein gesellschaftlicher Aushandlungsprozess darüber, wie mit solchen Klimaprotesten umgegangen werden soll", erklärte Singelnstein. Teile der Politik positionierten sich mit drastischen Worten gegen die "Letzte Generation". Der zunehmend schärfere Einsatz des Strafrechts und die Kriminalisierung des Protests seien weitere Schritte in diese Richtung. Insofern könne durchaus von einem politisch motivierten Einsatz des Strafrechts gesprochen werden, erklärte Singelnstein.

Das Besondere am Paragrafen 129 des Strafgesetzbuchs über die Bildung krimineller Vereinigungen sei, dass er eine starke Ausweitung und Vorverlagerung der Strafbarkeit vorsehe. Schon die Bildung einer solchen Vereinigung und die Mitgliedschaft darin sei strafbar, nicht nur konkrete schädigende Handlungen wie Sachbeschädigungen oder Nötigungen. Außerdem seien auf Grundlage dieses Paragrafen sehr weitreichende Ermittlungsbefugnisse möglich.